Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat die Nutzung von zwei Malaria-Medikamenten bei COVID-19 in Notfällen erlaubt – trotz umstrittener Effektivität und schwerer Nebenwirkungen.
Die Malaria-Medikamente Chloroquin und Hydroxychloroquin dürfen nun an im Krankenhaus liegende Jugendliche oder Erwachsene verschrieben und herausgegeben werden. Die schnelle Zulassung ist in den USA möglich, wenn es keine Alternative gibt, Studien nicht zeitnah durchgeführt werden können und der Nutzen die Risiken überwiegt. Die Hoffnung in Chloroquin ist groß, das mit der Einnahme verbundene Risiko aber auch.
Das Department of Health and Human Services (HHS) hat derweil 30 Millionen Dosen Hydroxychloroquinsulfat als Spende von Sandoz (ein Teilkonzern des Pharmakonzerns Novartis) und eine Million Dosen Chloroquinphosphat von Bayer Pharmaceuticals angenommen. Diese werden nun national verteilt. 1.100 Patienten in New York sollen bereits mit Hydroxychloroquin behandelt werden. Informationen über bekannte Risiken und Wechselwirkungen werden den Ärzten in einer Liste bereitgestellt.
Donald Trump bezeichnete das Medikament als möglichen „Game Changer“. Der Chef der World Health Organization (WHO) Tedros Adhanom Ghebreyesus warnt jedoch vor dem Einsatz, denn die Effektivität des Mittels ist umstritten. „Die Geschichte der Medizin ist voller Beispiele von Mitteln, die auf dem Papier und im Reagenzglas funktionierten, aber nicht beim Menschen, oder die sogar schädlich waren“, gab er zu bedenken. Des Weiteren könnten unkontrollierte Versuche Engpässe bei Medikamenten entstehen lassen, die andere Patienten dringend bräuchten.
Wissenschaftler der US-amerikanischen Task Force bezeichnen Studien, die für die Wirksamkeit plädieren, als anekdotisch, wie beispielsweise eine Studie aus Frankreich. Neben weiteren Experten verwies unter anderem auch Virologe Christian Drosten darauf, dass zwar bekannt sei, dass Chloroquin gegen das alte SARS-Coronavirus in Zellkulturen wirke. Dies müsse jedoch nicht zwangsläufig auf SARS-CoV-2-infizierte Zellen der Lunge von COVID-19-Patienten zutreffen. Auch gebe es einige Schwächen im Studiendesign.
Ein Internist der University of Nebraska warnt zudem vor Nebenwirkungen wie Verlängerungen der QT-Zeit, Hepatitis, akute Pankreatitis sowie Neutropenie. Auch eine chinesische Studie an 30 Patienten konnte keinen Beweis für die Wirksamkeit von Hydroxychloroquin erbringen. Und kürzlich warnten nun auch französische Behörden vor dem Einsatz von Chloroquin bzw. dem weniger toxischen Metabolit Hydroxychloroquin bei COVID-19-Patienten. „Einige wenige Fälle von schwerwiegenden Nebenwirkungen wurden gemeldet und werden derzeit analysiert“, heißt es seitens der französischen Behörde für Arzneimittelsicherheit (ANSM). Besonders warnt sie in diesem Zusammenhang vor Herzrhythmusstörungen. „Wir fordern die Verantwortung eines jeden, unnötige Krankenhausaufenthalte aufgrund des Missbrauchs dieser Medikamente zu vermeiden.“
Die Behandlung von COVID-19-Patienten mit Hydroxychloroquin sowie dem HIV-Medikament Kaletra® (der Fixkombination aus Lopinavir und Ritonavir) ist in Frankreich nur bei schweren Verläufen und nach Abstimmung von mehreren Ärzten erlaubt. Laut ANSM-Generaldirektor Dominique Martin hätten Kliniken bei Corona-Patienten bisher rund 30 Fälle schwerer therapiebedingter Nebenwirkungen festgestellt. Diese würden jetzt von Forschern analysiert. Es gibt außerdem drei Todesfälle, die mit der Therapie in Zusammenhang stehen könnten. „Wir erinnern daran, dass bis heute kein Medikament formell als wirksam für die Behandlung oder Prävention von COVID-19 nachgewiesen wurde“, so die Behörde. Der Einsatz experimenteller Behandlungsmethoden sei in Ausnahmesituationen wie der aktuellen Pandemie normal, doch müsste er von Experten überwacht werden.
Besondere Vorsicht gilt laut Martin bei der Kombination mit einem bestimmten Antibiotikum: Die gleichzeitige Gabe von Hydroxychloroquin und Azithromycin potenziere das Risiko für Herzrhythmusstörungen, die zu einem plötzlichen Herztod führen könnten.
Novartis hingegen sieht Hydroxychloroquin als größte Hoffnung und fährt die Produktion hoch. In Europa und den USA sollen Teilnehmer für Studien gesucht werden und auch in der Schweiz wird um die Zulassung gekämpft. Zudem werden weitere Medikamente wie unter anderem ein Krebsmittel sowie ein Multiple-Sklerose-Medikament auf einen möglichen Einsatz geprüft.
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