Wächterlymphknoten geben Auskunft darüber, ob sich ein Tumor bereits über das Lymphsystem ausgebreitet hat oder nicht. Nun haben Forscher untersucht, welches Verfahren am besten geeignet ist, um diese Lymphknoten bei Frauen mit Zervixkarzinom sicher nachzuweisen.
Frauen mit Gebärmutterhalskrebs im Anfangsstadium haben gute Heilungschancen. Doch die Prognose hängt wesentlich davon ab, ob der Tumor schon Tochterzellen in die benachbarten Lymphknoten gestreut hat oder nicht. Chirurgen haben deshalb bis vor kurzem nicht nur den Primärtumor, sondern fast immer auch alle Lymphknoten im Beckenbereich entfernt, um diese zu untersuchen. Bei der Mehrzahl der betroffenen Patientinnen ließen sich jedoch keine Metastasen in den Lymphknoten nachweisen, sodass diese Frauen unnötigen Risiken ausgesetzt waren. Mittlerweile gibt es aber eine Möglichkeit, die Komplikationen zu vermeiden, die durch die Entnahme aller Lymphknoten auftreten können. Dabei identifizieren Chirurgen im Rahmen der Operation zuerst die sogenannten Wächterlymphknoten und untersuchen diese auf Metastasen. Die Wächterlymphknoten befinden sich beidseitig in der Nähe des Tumors und sind die ersten Lymphknoten, in denen sich normalerweise wandernde Tumorzellen ansiedeln. Wenn dies nicht der Fall sei, so die Befürworter der Methode, könne auf weitere Behandlungsschritte wie eine Radiochemotherapie und eine Entnahme der restlichen Lymphknoten verzichtet werden. Kritiker bemängeln dagegen die nicht ausreichende Sensitivität des Verfahrens, insbesondere wenn nicht alle Wächterlymphknoten gefunden würden.
Um die Wächterlymphknoten sichtbar zu machen, wird eine Kombination eines blauen Farbstoffs und einer schwach radioaktiven Substanz in den Gebärmutterhals gespritzt. Die Markermoleküle verteilen sich über die Lymphgefäße und reichern sich am stärksten in den Lymphknoten an, die dem Tumor am nächsten liegen. Die Identifizierung der Wächterlymphknoten mit Patentblau und 99Technetium hat sich in den vergangenen Jahren bei der Diagnose und Therapie von Brustkrebs und Prostatakrebs etabliert. Auch bei Gebärmutterhalskrebs liefert die Methode gute Ergebnisse, wie eine Studie einer französischen Arbeitsgruppe 2011 zeigte. Bei 136 von 139 Patientinnen mit einem frühen Zervixkarzinom fanden die Forscher damit mindestens einen Wächterlymphknoten. Doch das bisherige Verfahren hat einige Nachteile: Es gilt nur als verlässlich, wenn auf beiden Seiten im Lymphabflussgebiet des Tumors Wächterlymphknoten gefunden werden. Wenn nicht, steigt das Risiko deutlich, dass weiter entfernte Lymphknoten von Metastasen befallen sind, obwohl der untersuchte Wächterlymphknoten nicht davon betroffen war. Auch die Handhabung des Verfahrens ist nicht einfach: „Mit Patentblau angefärbte Lymphknoten erkennt man erst, wenn die Lymphgefäße im Beckenbereich vollständig freigelegt sind. Wenn man dabei Lymphknoten übersieht, kann das zu hohen Fehlerraten führen“, sagt Rainer Kimmig, Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Universitätsklinikum Essen. „Die Detektion der radioaktiven Markierung in den Lymphknoten mithilfe eines kleinen Geigenzählers kann zwar bereits vor der Freilegung des Lymphsystems stattfinden und hat eine geringere Fehlerrate, doch der Umgang mit dem radioaktiven Technetium erfordert einen hohen organisatorischen Aufwand und kostet entsprechend viel.“
Ein grün fluoreszierender Farbstoff könnte jedoch schon bald Patentblau und 99Technetium verdrängen und dabei helfen, die Wächterlymphknoten bei Frauen mit Gebärmutterhalskrebs einfacher als bisher aufzuspüren: Wie Forscher des Inselspitals Bern um Michael Mueller in einem Artikel im Fachmagazin Annals of Surgical Oncology berichten, ließen sich Wächterlymphknoten besser erkennen, wenn Isocyaningrün (ICG) verwendet wurde. Mueller und seine Kollegen testeten die neue Substanz im Rahmen einer klinischen Studie mit 58 Teilnehmern, die alle an einem Zervixkarzinom im frühem Stadium litten und deren Tumor per Laparoskopie entfernt werden sollte. Bei den 36 zuerst behandelten Patientinnen detektierten die Forscher die Wächterlymphknoten mit dem radioaktiven 99Technetium, zumeist in Kombination mit Patentblau. Bei den 22 zuletzt behandelten Patientinnen kam ICG zum Einsatz, die ersten sieben Frauen dieser Gruppe erhielten den Farbstoff zusammen mit 99Technetium. Mueller und sein Team injizierten ICG am Beginn der Operation in den Gebärmutterhals, von wo aus sich der Farbstoff in die Lymphgefäße ausbreitete. Die Farbstoff-Moleküle lassen sich durch die Bestrahlung mit kurzwelligem Infrarotlicht anregen. Einen großen Teil der aufgenommenen Energie geben sie in Form von grünem Licht anschließend wieder ab und leuchten kurz auf. Das Fluoreszenz-Signal wird von einer hochauflösenden Kamera aufgezeichnet und ist in den Lymphknoten am stärksten zu erkennen, die dem Tumor am nächsten liegen. „Letztendlich müssen der Arzt und sein Team selbst entscheiden, welcher Lymphknoten ein Wächterlymphknoten ist und welcher nicht“, sagt Mueller, Co-Direktor der Klinik für Frauenheilkunde am Berner Inselspital.
Er und seine Kollegen fanden bei 95,5 Prozent der Patientinnen aus der ICG-Gruppe mindestens einen Wächterlymphknoten auf jeder Beckenseite. In der Kontrollgruppe dagegen konnten die Forscher nur bei 61 Prozent der Patientinnen mindestens einen Wächterlymphknoten auf jeder Beckenseite identifizieren, bei weiteren 22 Prozent immerhin mindestens einen Wächterlymphknoten auf einer der beiden Beckenseiten. Bei insgesamt 14 Frauen aus beiden Gruppen ließen sich Metastasen in den Wächterlymphknoten nachweisen. Alle anderen Frauen, deren Wächterlymphknoten frei von Metastasen waren, hatten auch keine Metastasen in den nachfolgenden Lymphknoten. Bei keiner der Teilnehmerinnen löste die Injektion von ICG Nebenwirkungen aus. Laut Mueller kann der Farbstoff eventuell allergische Reaktionen auslösen, die in der Studie aber nicht beobachtet wurden. „Die Anfärbung mit ICG führt zu einer genaueren Erfassung der Wächterlymphknoten als es mit dem bisherigen Standard möglich ist“, fasst Mueller die Ergebnisse zusammen. Er geht davon aus, dass sich die neue Methode nicht nur deshalb durchsetzen wird, sondern auch weil sie wesentlich günstiger als das radioaktive Verfahren ist.
Andere Experten beurteilen die Studie skeptischer: „Eine Schwäche der Untersuchung ist die geringe Teilnehmerzahl und das Studiendesign, da beide Verfahren nicht parallel getestet wurden“, so Rainer Kimmig. „Statistisch lässt sich deswegen nicht sicher sagen, ob das neue Verfahren dem alten wirklich überlegen ist. Müller und seine Mitarbeiter zeigen in ihrer Studie, dass die Anfärbung mit ICG bei Patientinnen mit laparoskopisch operiertem Zervixkarzinom in ihrem Klinikum funktioniert hat und sie zu besseren Ergebnissen als die radioaktive Methode führte. Ob die Ergebnisse allerdings auf andere Kliniken und andere Operationsmethoden übertragbar sind, müssten zukünftig kontrollierte Studien beweisen.“ Für die Methode, so der Mediziner, spreche aber, dass sie bei Frauen mit Brustkrebs in den vergangenen Jahren in mehreren kontrollierten Studien mit größeren Teilnehmerzahlen ihr Potenzial schon gezeigt habe. Im Rahmen einer kürzlich im Fachmagazin Annuals of Oncology veröffentlichten Untersuchung wurden alle diese Studien analysiert. Der Autor John Benson kam dabei zum Schluss, dass man wahrscheinlich auf das radioaktive Verfahren verzichten und sich ausschließlich auf die Lokalisierung der Wächterlymphknoten mit ICG verlassen kann. Bei Zervixkarzinom, so Kimmig, gehe die Entwicklung in die gleiche Richtung, auch wenn aufgrund der deutlich geringeren Fallzahl als beim Mammakarzinom der endgültige Nachweis für die Überlegenheit der neuen Methode noch fehle. Originalpublikation: A Comparison of Radiocolloid and Indocyanine Green Fluorescence Imaging, Sentinel Lymph Node Mapping in Patients with Cervical Cancer Undergoing Laparoscopic Surgery S. Imboden et al.; Ann Surg Oncol.; 2015