Krisen in der Kindheit oder der Tod des Ehepartners – manche Menschen meistern trotz schweren Schicksals ihr Leben. Sie gelten als resilient, verfügen also über eine gute psychische Widerstandskraft. Kann man Resilienz trainieren? Zwei Psychologen streiten.
Psychische Widerstandskraft – oder auch Resilienz genannt: Dieses Phänomen ist derzeit in aller Munde. Es gibt Selbsttests im Internet, die angeblich Auskunft darüber geben, wie belastbar man ist und wie gut man mit Problemen umgehen kann. In Mainz wurde sogar ein Sonderforschungsbereich zum Thema Resilienz eingerichtet, der mit mehr als zwölf Millionen Euro gefördert wird. Zugleich bieten zahllose mehr oder weniger seriöse Coaches ihre Dienste an. Auch die Krankenkassen sind auf den Zug aufgesprungen: Die Barmer Ersatzkasse (BEK) bietet ihren Mitgliedern zum Beispiel einen Online-Kurs an. „Einmal umgefallen, steht das Stehaufmännchen immer wieder auf und schafft es aus eigener Kraft wieder in die Balance“, heißt es in ihrem Angebot, „Im Online-Kurs Resilienz erfahren Sie, wie Sie Ihre seelische Widerstandskraft stärken können. Außerdem erlernen Sie mittels praktischer Tipps, Informationen und Übungen, wie Sie wieder in einen Zustand des allgemeinen Wohlbefindens zurückfinden.“
Doch kann man psychische Widerstandfähigkeit überhaupt erlernen? „Resilienz bezeichnet die Fähigkeit eines Menschen, Krisen oder Zeiten starker Herausforderung zu begegnen und mit ihnen gut umzugehen“, erklärt Psychologe Klaus Fröhlich-Gildhoff, der am Zentrum für Kinder- und Jugendforschung an der Evangelischen Hochschule in Freiburg lehrt. Die Idee, dass eine starke Psyche erlernbar ist, sei verführerisch, sagt er. So schützt sie uns doch vor den Schwierigkeiten des Lebens und hilft uns, erfolgreich und glücklich zu sein. Doch bleibt es zweifelhaft, ob Fähigkeiten – die vor allem im Kinder- und Jugendalter erworben wurden – auch im Nachhinein als Erwachsener erlernt oder neu konditioniert werden können. Und das angeblich auch noch in wenigen Stunden oder Tagen. „Aus meiner Sicht werden Resilienz-Coachings extrem inflationär angeboten“, sagt Fröhlich-Gildhoff: „Es ist schlichtweg ein Versuch, Geld zu machen.“
Eine Ansicht, die am Deutschen Resilienz Zentrum Mainz nicht geteilt wird: „Es gibt die unterschiedlichsten Resilienztrainings“, erklärt dessen wissenschaftliche Leiterin Dr. Donya Gilan. „Viele von ihnen werden auch bei uns angeboten. Durch Resilienztrainings kann man Faktoren wie Optimismus, Selbstwirksamkeit oder Zukunftsplanung stärken und so der Entwicklung von stressinduzierten Erkrankungen vorbeugen, etwa Depressionen, Angst- und Abhängigkeitserkrankungen.“
Laut Fröhlich-Gildhoff gibt es in der Wissenschaft zwei unterschiedliche Strömungen, um Resilienz zu definieren: „Die Einen sagen, die Resilienz eines Menschen zeige sich ausschließlich, wenn ein Trauma auftritt. Die anderen sagen, Resilienz ist ein Bündel von Fähigkeiten, mit denen man besser in der Lage ist, mit schwierigen, belastenden oder traumatischen Situationen umzugehen.“ Wesentliche Bestandteile von Resilienz unterteile man in zwei Säulen, so der Psychologe. Die eine sei ein außerpersonaler Schutzfaktor: „Ich muss die Erfahrung mindestens einer Halt gebenden, stärkenden, schützenden und unterstützenden Beziehung in meinem Leben gehabt haben“, sagt er: „Ich muss erlebt haben, dass es jemanden gibt, der mich liebt und auf den ich mich in jeder kritischen Situation absolut verlassen kann. Diese Erfahrung wirkt sich positiv auf mein Selbstbild und mein Selbsterleben aus.“ Tatsächlich hatten die US-Psychologinnen Emmy Werner und Ruth Smith schon in den siebziger und achtziger Jahren knapp 700 Kinder untersucht, die teils seit ihrer Geburt schweren Belastungen ausgesetzt waren. Diejenigen Kinder, die sich in späteren Jahren alsresilient erwiesen, hatten alle mindestens eine stabile Bezugsperson gehabt.
Coachings und Trainings zielen auf die personalen Resilienz-Faktoren ab. „Auf dieser Ebene handelt es sich um einen Komplex aus sechs Fähigkeiten“, sagt Fröhlich-Gildhoff und erklärt sie:
„Als Erwachsener zu ändern, was als Kind erlernt wurde, ist schwierig“, meint Resilienz-Forscher Fröhlich-Gildhoff.
Forscher der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) veröffentlichten im März 2017 eine Studie, in der rund 2.500 Menschen in Deutschland auf ihre Resilienz hin untersucht wurden. Jeder sechste unter ihnen war als Kind vernachlässigt, misshandelt oder missbraucht worden. Doch nicht alle hatten als Erwachsene unter den Folgen zu leiden: „Studienteilnehmer, die dazu neigten, negative Ereignisse mit Hartnäckigkeit, Zuversicht, aktivem Problemlösen und positivem Wachstum zu meistern, hatten keine erhöhten Ängste, Depressionen oder Körperbeschwerden bei vergleichbaren Kindheitsbelastungen“, so das Fazit der Forscher. „Wir wissen, dass liebevolle, unterstützende Erfahrungen mit wichtigen Bezugspersonen in der Kindheit helfen, Selbstvertrauen und einen positiven Umgang mit Emotionen im Erwachsenenalter zu entwickeln“, heißt es in einer Erklärung weiter: „In unserer Klinik konnten wir zeigen, dass durch Psychotherapie im Erwachsenenalter eine stabile und vertrauensvolle Bindung zu anderen Menschen selbst dann aufgebaut und somit die Fähigkeit zur Resilienz erlernt werden kann, wenn Menschen diese wichtigen Erfahrungen in der Kindheit fehlten. Auf der Grundlage unserer aktuellen Ergebnisse wollen wir in künftigen Studien untersuchen, wie Menschen angesichts von Belastungen im Leben resilient werden und wie wir das gezielt fördern können.“
Resilienztrainings basieren auf unterschiedlichen psychotherapeutischen Ansätzen, erklärt Dr. Gilan aus Mainz: „Solche mit kognitiv-verhaltenstherapeutischen Elementen bieten Übungen zur kognitiven Umstrukturierung, also zu einer Veränderung von gedanklichen Konzepten. Andere Interventionen trainieren zum Beispiel die psychische Flexibilität. Hier werden das engagierte Handeln nach selbstgewählten Wertvorstellungen und die Akzeptanz von negativen Situationen und Gefühlen gestärkt.“ Achtsamkeitsbasierte Programme versuchten, ein Bewusstsein für das Hier und Jetzt zu schaffen, ohne Bewertung der Situation, so Gilan. Zum Beispiel könnten Menschen, die an einer Depression litten, das regelmäßige Erleben positiver Gefühle trainieren: „Dabei lernen sie, ihre Emotionen präzise zu analysieren und Regulationsstrategien zu entwickeln, um sich schneller wieder durch bestimmte Gedanken und Handlungen in positive Stimmung zu bringen.“
Fröhlich-Gildhoff ist da skeptischer: „Wir Menschen sind prinzipiell immer lernfähig, daher ist es grundsätzlich schon möglich, Resilienz nachträglich zu trainieren. Doch je älter wir sind und je weiter das Leben fortgeschritten ist, desto höher ist der Aufwand, diese Resilienzfaktoren selbst aufzubauen“. Aus seiner Sicht brauche es viele positive Erfahrungen, die sich über einen langen Zeitraum hinweg aufbauen müssten. Mit Kindern und Jugendlichen allerdings sei es natürlich möglich, durch eine Begleitung oder Förderung die Resilienz und die dahinterstehenden Fähigkeiten zu erlernen, so der Psychologe: „Mit Erwachsenen ist der Aufwand höher. Um wirklich psychische Veränderungen zu bewirken, muss ein Mensch in seinen Alltagserfahrungen begleitet werden. In wenigen Tagen ist das nicht möglich, und auch eine Psychotherapie müsste sich auf Resilienzfaktoren fokussieren.“ Diese seien ja nicht nur bei Krisen wie einer Vergewaltigung oder einer plötzlichen Arbeitslosigkeit gefordert: „Wir stehen in unserem Alltag immer wieder vor einer Vielzahl von Herausforderungen“, sagt Fröhlich-Gildhoff. „Da ist immer die Frage, wie man damit umgeht und ob es gelingt, in diesen Situationen das, was ich an Potenzialen habe, einzusetzen. So etwas als Erwachsener zu erlernen, ist schwerer.“ Ob die Kurse tatsächlich etwas bewirken, ist auch am Resilienz-Zentrum Mainz noch nicht eindeutig bewiesen. Ob die Trainings eine Langzeitwirkung und Effekte auf den Umgang mit Stressoren hätten, sei bisher weitgehend ungeklärt, sagt Gilan: „Resilienztrainings, deren theoretische Fundierung und Gestaltung heterogen sind, erzielen geringe bis mittlere Effekte auf die psychische Gesundheit.“ Also bleibt derzeit noch schwer einzuschätzen, welche Kurse und Coaches wirklich hilfreich sind und welche nicht.