Kurz vor dem Examen liegen die Nerven aller Medizinstudenten blank. In diesem Jahr war nicht mal klar, ob die Prüfung überhaupt stattfindet. Die erhoffte deutschlandweite Regelung blieb aus. Was bleibt, ist ein Flickenteppich.
Nach wochenlangem Hin- und Her steht fest: Zehn Bundesländer führen das vom 15. bis 17. April geplante zweite Staatsexamen für das Fach Medizin durch, drei haben sich für flexible Lösungen entschieden und nur Bayern und Baden-Württemberg verpflichten ihre Studierenden alternativlos, ein Hammerexamen aus schriftlicher und mündlicher Prüfung 2021 nach dem PJ zu absolvieren. Jetzt hast du den Überblick verloren? Da bist du sicher nicht allein! Der entstandene Flickenteppich ist das bittere Ende einer wochenlangen Hängepartie für rund 4.600 Medizinstudenten, die sich seit Monaten auf das große Abschlussexamen ihres klinischen Studienabschnitts vorbereiten.
Tag für Tag mussten die Studenten weiterlernen – in völliger Ungewissheit, ob sie das Examen überhaupt schreiben oder doch direkt ins PJ berufen werden. Von reinstem Psychoterror sprechen hier viel, nicht wenige sind mit ihren Nerven völlig am Ende. Kaum jemand hat sich im Umgang mit den Studenten mit Ruhm bekleckert. Schon gar nicht unser Gesundheitsminister Jens Spahn, dessen „Verordnung zur Abweichung von der Approbationsordnung für Ärzte bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ eine große Portion Krisen-Aktionismus enthielt. Bei der Umsetzung seiner Verordnung ließ er hingegen jegliche Führungsstärke vermissen, indem er die Entscheidung über die Verschiebung des M2 wieder an die Länder zurückgab. Auch deren Regierungen, der medizinische Fakultätentag und das Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) müssen kritisch hinterfragen, warum sie sich nicht schneller festlegen konnten – und vor allem, warum es jetzt noch nicht mal eine bundeseinheitliche Lösung gibt!
Seinem Namen wird das „Staatsexamen“ somit dieses Jahr überhaupt nicht gerecht. „Jens Spahn hat viel Vertrauen bei uns verloren“, sagt Tobias Löffler, Bundeskoordinator für medizinische Ausbildung bei der Bundesvertretung der Medizinstudierenden (bvmd). Wäre dies alles wirklich nötig gewesen?
Wenn es am Ende doch 13 von 15 Bundesländern, in denen es Unis mit medizinischen Fakultäten gibt, trotz Corona-Krise schaffen, die Prüfung durchzuführen, wo lag eigentlich das Problem? Klar, die Durchführung der Prüfung wird eine logistische Meisterleistung: Sie kann nicht, wie sonst üblich, in großen Sälen mit hunderten Prüflingen stattfinden. Viele kleine Gruppen müssen gebildet, deutlich mehr Betreuer organisiert werden. Doch all dies wird dem immensen Lernaufwand, den die Studierenden in den letzten Monaten betrieben haben, mehr als gerecht. Schließlich wurden ja auch die Abiturprüfungen nicht abgesagt, warum sollte dann ein Medizinexamen nicht möglich sein?
Und die Idee, die Examenskandidaten ohne Prüfung schon ein paar Wochen früher ins PJ zu schicken, um die Personalengpässe in den Krankenhäusern auszubessern, war blanker politischer Betätigungsdrang. Nach Angaben der bvmd haben sich in den letzten Wochen über 20.000 Medizinstudenten anderer Semester freiwillig zum Dienst im Gesundheitssystem gemeldet. Da hätten die 4.600 Prüflinge noch in Ruhe zu Ende lernen können, während jüngere Semester dieselben Aufgaben übernehmen, die auch ein frisch ins PJ startender Examensabsolvent nicht besser bewältigen könnte.
„Ich bin den Medizinstudierenden sehr dankbar, dass sie in dieser schwierigen Lage in der medizinischen Versorgung mit anpacken“, sagte Jens Spahn bei der Vorstellung seiner Verordnung am 30. März. Warme Worte, die sicherlich nicht auf Gegenliebe bei den Examenskandidaten stießen. Eine Entschuldigung dafür, dass die Corona-Krise unter anderem auf dem Rücken der Prüflinge ausgetragen wird, wäre hier angebrachter gewesen.
Der wochenlange Eiertanz hat viele Medizinstudierende an den Rand des Nervenzusammenbruchs gebracht. Anstelle von frischen und ausgeruhten Kräften, die noch Zeit hatten, ihr Fachwissen zu vertiefen, werden nun müde und ausgelaugte PJler auf die Stationen geschickt und können das Gesundheitssystem nicht mit der Energie unterstützen, die in der Krise nötig wäre.
Immerhin: Das Bundesgesundheitsministerium empfiehlt den Krankenhäusern inzwischen, die PJler mit einer Aufwandsentschädigung für ihren Einsatz in den Kliniken zu entlohnen. Ob die Kliniken dies flächendeckend umsetzen werden, darüber herrscht aber natürlich mal wieder Ungewissheit.
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