Der aktuelle Hype ums Selftracking reicht Biohackern wie Tim Cannon nicht aus. Sich einen Chip unter die Haut zu setzen, der die eigenen Körperfunktionen überwacht, entspricht viel eher seiner Vorstellung davon, wie sich der fehlerhafte Mensch optimieren lässt.
Die evolutionäre Ausbesserung der menschlichen Unvollständigkeit dauert den Anhängern der Biohacking-Bewegung zu lange. Ihrer Meinung nach könne man durch die Verschmelzung von Mensch und Technologie viele Macken ausbessern. Tim Cannon, Gründer eines Biotechnologie-Startups, hat sich deshalb vor etwa eineinhalb Jahren einen Chip in den Unterarm transplantieren lassen – völlig ohne Betäubungsmittel. Schon als Kind erzählte Cannon, er wolle ein Roboter sein, berichtet er im Interview mit dem amerikanischen Technikportal „The Verge“. Diesem Wunsch ist er nun vielleicht einen Schritt näher gekommen. Das kleine Gerät unter seiner Haut misst regelmäßig seine Körpertemperatur und sendet diese Informatioen via Bluetooth an sein Handy.
Inwiefern ein Cyborg, also ein Mensch-Maschine-Mischwesen, Vorteile gegenüber dem rein biologischen Organismus haben soll, leuchtet nicht auf Anhieb ein. Eher hört sich das ganze nach einer weiteren gruseligen Sammlung unserer Daten an. Für die Optimierung muss man noch einen Schritt weiterdenken. „Ich habe meine Körpertemperatur-Regulation sozusagen outgesourced“, erklärt Cannon im Interview während des M.E.S.H.-Camps 2015. „Ich habe ein Thermostat zu Hause, das die Raumtemperatur an die Informationen aus dem Chip anpasst.“ Langfristig sollen mit der Fusion von Mensch und Maschine die Grenzen der Evolution überwunden werden. Er wolle leben, um tausende von Jahren alt zu werden, so Cannon im Interview mit Motherboard, „ich möchte nicht sterben und ich verstehe nicht, warum irgendwer das wollen sollte“. Die Technologisierung des Menschen mit dem Ziel der Unsterblichkeit klingt nach einem dystopischen Science-Fiction-Roman. Kritiker befürchten, dass der Datenklau durch Biochips völlig neue Dimensionen erlangen könnte. Aber auch darauf hat Cannon eine Antwort: Durch das Prinzip der Open-Source-Technologie würde kein kommerzielles Interesse hinter den biotechnologischen Innovationen stecken. Da es hier um eine Community geht, die zusammen an der menschlichen Selbstoptimierung arbeitet, sei die Gefahr der Korruption nicht gegeben, so Cannon. Aber einen ethischen Rahmen für die Biotechnologien abzustecken, möchte Cannon sowieso lieber den Philosophen überlassen. Erst wenn die moralische Debatte geführt wurde und das Implantieren keine Schmerzen mehr mit sich bringt, wird sich Biohacking aus der Body-Modification-Szene emanzipieren, meint Cannon. Bis der Cyborg in der Mitte der Gesellschaft ankommt, wird es also vermutlich noch etwas dauern.