Nach der Präsentation erster Ergebnisse der Heinsberg-Studie wird jetzt Kritik laut. Experten stellen Methodik und Resultate infrage, Politiker bemängeln Finanzierung und PR-Begleitung der Arbeit. Die Vorwürfe im Detail.
Die Ergebnisse der Heinsberg-Studie zu SARS-CoV-2 machten Hoffnung: 15 % Immunisierte, eine überraschend niedrige Mortalität von 0,37 % (DocCheck berichtete). Die Arbeit des Teams um Virologe Hendrik Streeck schien die Forderungen nach einer Lockerung der Corona-Maßnahmen zu bestätigen. Jetzt kritisieren Experten aber die Methodik der Bonner Forscher und stellen die tatsächliche Aussagekraft der Studie infrage.
Das größte Problem: Die vor Ort verwendeten Antikörpertests. Es ist nicht klar, wie zuverlässig die derzeit erhältlichen Tests sind (DocCheck berichtete). Einige Antikörpertests differenzieren nicht zwischen dem neuartigen Coronavirus und anderen Varianten, die ebenfalls zirkulieren. Eine Person, die gar keine Infektion mit SARS-CoV-2 durchgemacht hat, könnte also trotzdem positiv getestet werden. „Diese Labortests haben eine hohe Rate an falsch positiven Signalen, rein technisch“, gibt auch Virologe Christian Drosten im Interview mit dem Heute Journal zu bedenken.
Noch scheint insgesamt zu wenig über das methodische Vorgehen der Forscher bekannt zu sein, um Aussagen aus den Studienergebnissen ableiten zu können. „Wir brauchen ganz schnell ein Manuskript, das wir wirklich beurteilen können, sodass wir das Design der Studie verstehen“, betonte Drosten. Es sei unklar, welche Variante des Antikörpertests verwendet und ob weitere Tests im Labor gemacht wurden.
Auch sei die Berechnung der Immunität irreführend. Streecks Team habe die Testergebnisse aller Personen eines Haushalts in Prozent umgerechnet – dabei dürfe eigentlich nur eine Person pro Haushalt in diese Statistik einfließen, kritisiert ein Epidemiologe in der Süddeutschen Zeitung. Denn innerhalb eines Haushalts sei das Infektionsrisiko viel höher als allgemein. Der Prozentsatz der Immunität werde bei Berücksichtigung aller Personen eines Haushalts also deutlich überhöht und insgesamt verfälscht.
Streeck äußerte sich gestern gegenüber dem Spiegel: „Ich sage noch mal deutlich: Wir haben ein Zwischenergebnis präsentiert. Ich kann mich derzeit nicht zu weiteren Ergebnissen äußern. Wir arbeiten daran, das Endergebnis so schnell, aber selbstverständlich auch so verlässlich wie möglich zu präsentieren.“ Das klingt im Vergleich zur ersten Präsentation der Ergebnisse aus Heinsberg deutlich vorsichtiger.
Auch die Finanzierung und PR-Begleitung der Studie stößt auf Kritik. Laut Spiegel Wissenschaft ist die Landesregierung Nordrhein-Westfalens mit über 65.000 Euro an der Finanzierung der Forschungsarbeit in Heinsberg beteiligt. Das habe eine Kleine Anfrage der SPD im NRW-Landtag ergeben. Die Gelder werden für Antikörpertests und Hilfskräfte verwendet – die PR-Firma, die die Studie dokumentiert, werde davon aber nicht bezahlt.
Trotzdem steht der Verdacht eines unlauteren Wettbewerbsvorteils im Raum. „Hier fließen öffentliche Gelder in ein öffentliches Projekt. Da kann es keine Privatentscheidung […] sein, wer die Öffentlichkeitsarbeit und PR-Vermarktung dazu macht“, wird SPD-Landtagsabgeordnete Sarah Philipp zitiert. Es sei auffällig, dass einer der Mitgründer der PR-Firma ein Bekannter von Streeck und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet sei.
Die Heinsberg-Studie ist dennoch ein wichtiger Beitrag zur Forschung am neuartigen Coronavirus. Drosten wehrt sich auf Twitter gegen Wertungen wie „Verriss“ oder „Disput“. Die Medien sollten keinen „Gelehrtenstreit“ heraufbeschwören. Bleibt also abzuwarten, wie die Arbeit der Bonner Forscher im weiteren Verlauf der COVID-19-Pandemie zu bewerten sein wird.
(Sollte der Tweet nicht angezeigt werden, bitte Seite neu laden.)
Bildquelle: Sunyu, Unsplash