Aufgrund vielversprechender Labordaten setzen einige Ärzte im Kampf gegen SARS-CoV-2 auf alte Wirkstoffe. Der Einsatz von Chloroquin etwa wird derzeit kontrovers diskutiert – auch weil es erhebliche Nebenwirkungen gibt. Was wissen wir?
Malariamedikamente zwischen Hoffnung und Hype: In belgischen und sükoreanischen vorläufigen Behandlungsrichtlinien wird der Einsatz von Chloroquin beziehungsweise Hydroxychloroquin bei stationären COVID-19-Patienten empfohlen. Auch die US Food and Drug Association (FDA) gab im Eilverfahren grünes Licht für die Anwendung. Ehemalige FDA-Führungskräfte kritisieren die Entscheidung scharf. Auch die European Medicines Agency (EMA) rät Ärzten davon ab, beide Wirkstoffe jenseits klinischer Studien anzuwenden. Was wissen wir über Chloroquin?
Zu Beginn standen wie so oft Laborexperimente. Forscher aus dem chinesischen Wuhan, dem Corona-Epizentrum, untersuchten verschiedene zugelassene Pharmaka auf ihre Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2-Isolate. Sie infizierten Vero-Zellen, eine Zelllinie aus Nierenzellen von Grünen Meerkatzen, mit Coronaviren. Dann setzten sie verschiedene Pharmaka zu und bestimmten deren Einfluss auf die Virusreplikation.
Hydroxychloroquin als 3D-Modell
„Vorher war bekannt, dass Chloroquin Virusinfektionen blockiert, indem es den für die Virus-Zell-Fusion erforderlichen endosomalen pH-Wert erhöht und die Glykosylierung von zellulären Rezeptoren von SARS-CoV stört“, schreiben die Autoren. Bei SARS-CoV, dem Auslöser von SARS, fungiert das Angiotensinkonversionsenzym 2 (ACE2) in der Lunge als Rezeptor. Genomanalyse der neuen Viren zeigen, dass es funktionale Analogien zu SARS-CoV gibt. Chloroquin verhindert wahrscheinlich die terminale Glykosylierung von ACE2, und der Rezeptor wird für Erreger wertlos.
Die Forscher untersuchten verschiedene Wirkstoffkonzentrationen. Als EC90-Wert von Chloroquin ermittelten sie 6,90 μM. Unter dem EC90-Wert versteht man eine Wirkstoffkonzentration, bei in 90 Prozent der Fälle eine therapeutische Wirkung erzielt wird. Laut der Forscher ist der Wert 6,90 μM „klinisch erreichbar, wie im Plasma von Patienten mit rheumatoider Arthritis gezeigt wurde, denen 500 mg verabreicht wurden“.
Eine weitere Forschergruppe bestätigte die Laborbefunde und fand heraus, dass Hydroxychloroquin in vitro sogar wirksamer als Chloroquin ist. Basierend auf ihrem Modell schlägt sie vor, Patienten initial mit zweimal täglich 400 mg Hydroxychloroquin zu behandeln, gefolgt von einer Erhaltungsdosis von 200 mg zweimal täglich über vier Tage hinweg.
Mit der Übertragbarkeit von Labordaten ist das immer so eine Sache. Seit den späten 1960er Jahren untersuchen Forscher die antivirale Aktivität von Chloroquin beziehungsweise Hydroxychloroquin in Kulturen verschiedener Säugetier-Zelllinien, etwa gegen Influenza- oder Herpes-simplex-Viren. Bei SARS hemmten sie – wieder in vitro – den Erreger mit Konzentrationen, die man aus der Malariatherapie kennt. Auch bei Mausmodellen zeigten sich wünschenswerte Effekte, etwa gegen das humane Coronavirus OC43, das Enterovirus EV-A71, das Zika-Virus und gegen Influenza A H5N1. Was liegt näher, als den gut bekannten Wirkstoff einfach in klinischen Studien am Menschen zu testen?
Solche Schnellschüsse können auch nach hinten losgehen, wie das Beispiel des Chikungunya-Virus zeigt. Chloroquin zeigt in vitro eine vielversprechende antivirale Aktivität gegen das Chikungunya-Virus. Höchstwahrscheinlich aufgrund von immunmodulatorischen und entzündungshemmenden Eigenschaften verstärkt der Wirkstoff aber die virale Replikationen in verschiedenen Tiermodellen. Bei nichtmenschlichen Primaten verschlimmerte sich das Fieber, und die Immunantwort gegen Viren trat nur verzögert ein. Eine klinische Studie während des Chikungunya-Ausbruchs 2006 auf der Insel La Réunion zeigte, dass Chloroquin den Verlauf der akuten Erkrankung nicht verbesserte. Wirkstoffe, die in vitro überzeugen, müssen das nicht in vivo tun.
Prof. Dr. Didier Raoult von der IHU Méditerranée Infection in Marseille ist großer Befürworter von Chloroquin. In einem Video-Statement berichtete er öffentlichkeitswirksam über die oben genannten In-vitro-Untersuchungen aus China:
Raoult schlug vor, diese Medikamente in großem Maßstab zu verschreiben, und beschloss, selbst eine Studie durchzuführen. Vorläufige Ergebnisse hat er gerade veröffentlicht.
Die Forscher schlossen 26 Patienten mit PCR-diagnostisch nachgewiesener SARS-CoV-2-Infektion ein. Alle Teilnehmer waren im Schnitt 51 Jahre alt. Zwei Patienten hatten keine Beschwerden, bei weiteren zwölf Personen beschränkten sich die Symptome auf die oberen Atemwege. Nur sechs Teilnehmer hatten Infektionen der Lunge. Von allen 26 Personen mussten sechs auf die Intensivstation verlegt werden, und einer starb. Basis der Publikation waren damit 20 Patienten.
Sie erhielten zehn Tage lang insgesamt 600 mg Hydroxychloroquin pro Tag und bei unteren Atemwegsinfektionen prophylaktisch Azithromycin gegen bakterielle Superinfektionen. Dies geschah unter EKG-Kontrolle, weil beide Pharmaka zu Verlängerungen des QT-Intervalls führen können. Als Kontrolle dienten Daten von 16 Personen mit SARS-CoV-2-Infektion ohne dieses Therapieprotokoll. Nach zehn Tagen konnten Ärzte bei 14 von 20 Patienten der Therapiegruppe (70,0 Prozent) versus zwei von 16 Patienten (12,5 Prozent) in der Kontrollgruppe keine Viren mehr nachweisen.
Die Studie hat mehrere Schwächen:
Ärzte am Renmin Hospital in Wuhan bestätigen Raoults Ergebnisse. Sie rekrutierten 62 Patienten mit COVID-19 randomisiert in zwei Gruppen, nämlich Hydroxychloroquin oder Standardtherapie ohne den Wirkstoff. Sie waren im Mittel 47 Jahre alt, hatten Pneumonien, aber keine Vorerkrankungen. Im Therapiearm erhielten Studienteilnehmer fünf Tage lang den Wirkstoff. Bei 25 von 31 Patienten (80,6 Prozent) war es zu einer in der CT bestätigten Verbesserung gekommen, verglichen mit 17 von 31 Patienten (54,8 Prozent) in der Kontrollgruppe.
Auch hier gab es methodische Schwächen:
Alle derzeit veröffentlichten Daten machen es schwierig, einen möglichen Nutzen von Chloroquin oder Hydroxychloroquin zu bewerten. Nicht zu vernachlässigen sind kardiale Nebenwirkungen, speziell Verlängerungen des QT-Intervalls und Kardiomyopathien. Das ist besonders kritisch, denn Patienten mit schwerem CODID-19-Verlauf haben neuen Daten zufolge ein generell erhöhtes Risiko, schwere Schäden des Herzmuskels zu entwickeln. Eine brasilianische Studie musste abgebrochen werden, weil es bei mehreren Patienten zu tödlichen Arrhythmien oder zu Herzmuskelschäden gekommen war.
Doch davon lassen sich Forscher nicht beirren. Die WHO hat in ihre SOLIDARITY-Studie Chloroquin und Hydroxychloroquin eingeschlossen. Auch die EMA sieht in beiden Pharmaka potenzielle Kandidaten für klinische Studien. In Deutschland gab das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) grünes Licht für vier klinische Prüfungen mit Hydroxychloroquin. Zwei schließen Patienten mit leichter COVID-19-Erkrankung im ambulanten Bereich ein, die beiden anderen Studien befassen sich mit moderat bis schwer erkrankten, stationär behandelte Patienten.
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