Eine aktuelle Studie unterstreicht das Gefahrenpotential regelmäßiger Lärmbelastung. Mithilfe eines experimentellen Modells wurden Zusammenhänge zwischen Lärm und Dysfunktionen des Endothels nachgewiesen.
„Wir konnten im Rahmen der Arbeitsgruppe Lärmwirkungsforschung an der Universitätsmedizin in Mainz in einem experimentellen Modell Zusammenhänge zwischen Lärmbelastung und einer Dysfunktion des Endothels nachweisen“, berichtete Prof. Dr. Thomas Münzel (Mainz) bei der Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) in Berlin. „Schon bei gesunden Probanden führte eine Simulation von Nachtfluglärm von 30 bzw. 60 Überflügen zu einer endothelialen Dysfunktion, die interessanterweise durch Vitamin C korrigiert werden konnte, sowie zu einem grenzwertigen Blutdruckanstieg und zu Schlafstörungen“, so Münzel. „Bei Patienten mit einer bekannten koronaren Herzerkrankung waren die Auswirkungen noch deutlicher und die Blutdruckanstiege ausgeprägter. Bemerkenswert war, dass die Gefäßfunktion schlechter wurde, unabhängig davon, ob die Probanden angaben, sich über den Lärm geärgert zu haben oder nicht.“
Laut Schätzungen der WHO gehen in Westeuropa pro Jahr eine Million gesunde Lebensjahre durch Lärm verloren. „Allein auf dem Weg von kardiovaskulären Erkrankungen verursacht Lärm jährlich den Verlust von 61.000 gesunden Lebensjahren“, rechnete Münzel vor. „Gemäß einem 2014 publizierten Modell tötet Lärm sowohl durch direkte als auch indirekte Wirkungen. Gemeinsam ist beiden, dass sie Stressreaktionen im Organismus verursachen. Die Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System gehen meist auf indirekte Lärmwirkungen zurück.“ Lärmbelastungen ab 35 dBA in der Nacht und mehr als 45–50 dBA am Tag führen zu einer Störung der Kommunikation, des Schlafs und zu emotionalen Reaktionen im Sinne von Ärger. Dies wiederum führt zu Stress. Die chronischen Stressreaktionen führen letztlich zur Ausbildung von kardialen Risikofaktoren.
„Damit ist Fluglärm, ebenso wie Feinstaub, ein neuer Herz-Kreislauf-Risikofaktor, der durch die Umwelt bedingt ist. Angesichts solcher Daten sollten Luftverschmutzung und Lärm als Risikofaktoren für die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen anerkannt und entsprechend auch in den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) berücksichtigt werden.“ Die ESC nimmt sich des Themas mittlerweile durchaus an. Am Weltherztag hat die europäische Fachgesellschaft dem EU-Gesundheitskommissar eine Petition zum Thema Luft- und Lärmbelastung als kardiovaskulärer Risikofaktor übergeben, berichtet Münzel: „Im Rahmen ihres kürzlich in London abgehaltenen Kongresses, der ebenfalls dazu einen thematischen Schwerpunkt setzte, wurden aktuelle Daten vorgestellt, die signifikante Korrelationen zwischen Luftverschmutzung und dem akuten wie auch dem chronischen kardiovaskulären Risiko zeigen.“
So konnte eine belgische Gruppe anhand von Registerdaten zeigen, dass bereits nach einem kurzen Anstieg der Luftschadstoffe mehr Herzinfarkte auftreten. Für die Studie wurden die Daten aller Patienten verwendet, die zwischen 2009 und 2013 im belgischen STEMI-Register erfasst wurden. Diese Daten wurden mit den lückenlos dokumentierten Schadstoffwerten korreliert. Bekannte Risikofaktoren für den Herzinfarkt wurden in der Statistik berücksichtigt und das Modell entsprechend korreliert. Die Auswertung zeigte, dass jeder Anstieg von Feinstaub und NO2 von jeweils 10 µg/m3 mit einem geringen, aber signifikanten Anstieg des relativen Herzinfarkt-Risikos assoziiert war. Für Ozon wurde keine vergleichbare Wirkung beobachtet. Eine andere, im Rahmen des ESC vorgestellte Studie zeigte, dass Umweltverschmutzung bei jungen Menschen für ein Ansteigen der Entzündungswerte im Körper verantwortlich gemacht werden kann. Diese „systemische Inflammation“ gilt ebenfalls als Risikofaktor für zahlreiche Krankheiten, darunter kardiovaskuläre Erkrankung und Herzinfarkt. Für die Studie wurden Probanden im Alter von 16 bis 22 Jahren aus dem stark verschmutzten Krakau mit Kontrollpersonen aus dem weniger belasteten Lubin verglichen. Dabei zeigten sich zwar keine signifikanten Differenzen bei Blutdruck und Herzfrequenz, dafür jedoch bei den Markern für chronische, systemische Inflammation, die bei Teilnehmern aus Krakau deutlich höher lagen. Originalpublikationen: Cardiovascular effects of environmental noise exposure Thomas Münzel et al.; European Heart Journal, doi: 10.1093/eurheartj/ehu030; 2015 Particulate matter and NO2 air pollution trigger ST-elevation myocardial infarction: a case cross over study of the Belgian STEMI registry Jean-Francois Argacha et al.; ESC Congress 2015 Risk of hypertension and chronic low grade inflammation among healthy young subjects living in the cities with different ambient air pollution Krzysztof L. Bryniarski et al.; JASH, doi: 10.1016/j.jash.2015.03.284; 2015