Trump teilt aus. Dieses Mal trifft es die Weltgesundheitsorganisation. WHO-Funktionäre sollen bei China nicht objektiv gehandelt haben. Auch andere Aktionen sorgen für Kritik. Was treibt die WHO an?
Amerikas umstrittener Präsident Donald Trump dreht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Geldhahn zu. Er habe seine Regierung angewiesen, Beitragszahlungen zu stoppen, während überprüft werde, welche Rolle die WHO bei der „schlechten Handhabung und Vertuschung der Ausbreitung des Coronavirus“ gespielt habe.
Die Maßnahme ist drastisch. Nur verbirgt sich dieses Mal ein Funken Wahrheit hinter der Kritik.
Trump kritisiert vor allem das zögerliche Vorgehen der WHO beim COVID-19-Ausbruch. Ein zeitlicher Überblick belegt, dass er in der Sache Recht hat:
Hinzu kommt die unkritische Haltung zu China. WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus lobte Maßnahmen vor Ort – und verließ sich vor allem auf chinesische Daten. Das führte selbst in den eigenen Reihen zu Widerspruch.
John MacKenzie, ein beratender Experte der WHO, kritisierte Chinas Salami-Taktik: Informationen würden immer nur scheibchenweise weitergegeben. Und Mareike Ohlberg vom China-Forschungszentrum Merics in Berlin bestätigt, man habe sich bei wissenschaftlichen Fragen, etwa der Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch, „sehr stark an dem orientiert, was China offiziell hören wollte“.
Chinas Einfluss ist es auch zu verdanken, dass Taiwan ausgeschlossen wurde und selbst als Beobachter bislang nicht an Sitzungen teilnehmen kann. Auch in dieser Angelegenheit legte kürzlich ein WHO-Funktionär einen überaus peinlichen Auftritt hin. Die Rede ist von Bruce Aylward, einem Berater des WHO-Generaldirektors. In einem Online-Video-Interview mit Radio Television Hong Kong wurde er plötzlich ganz still, als er gefragt wurde, ob die WHO die Mitgliedschaft Taiwans überdenken würde. Nach 8 Sekunden fragte die Interviewerin: „Hallo?“ – aber Aylward tat so, als sei die Verbindung schlecht. Sie wollte die Frage wiederholen, doch Aylward sagte: „Nein, schon okay, machen wir mit einer anderen Frage weiter.“ Kurz darauf brach die Verbindung ab. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass der Funktionär keine Antwort geben wollte.
© mothership.sg /Screenshot Doccheck
Es lohnt sich, das ganze Interview hier anzugucken.
Trumps Boykott wird die WHO finanziell hart treffen. Denn die USA zählt zu den wichtigsten Financiers.
Zum Hintergrund: Die Organisation finanziert sich über Pflichtbeiträge und freiwillige Zahlungen ihrer Mitgliedstaaten. Auch NGOs beziehungsweise Stiftungen können sich beteiligen.
Für ihren Zweijahreshaushalt 2018-2019 verfügte die WHO über Mittel in Höhe von rund 5,84 Milliarden US-Dollar. Dem letzten Jahresbericht zufolge gehörten folgende Länder bzw. Organisationen zu den wichtigsten Geldgebern:
© WHO / Screenshot: DocCheck
Wofür setzen Gremien finanzielle Mittel ein? Im letzten Zwei-Jahres-Bericht nennt die Organisation folgende Schwerpunkte ihrer Arbeit:
Kritiker bemängeln das zunehmende Mitspracherecht privater Akteure wie der Bill & Melinda Gates Foundation beziehungsweise der Global Alliance für Vaccines and Immunizations (GAVI) auf Inhalte dieser Programme. Denn NGOs stellen ihre hohen Zuwendungen meist nur zweckgebunden zur Verfügung und sichern ihren Einfluss. Das wäre per se nicht schlimm, doch Stiftungen erhalten teilweise Gelder von der Lebensmittel- oder Pharmaindustrie. Sprich: Hersteller können über Umwege die WHO-Strategie zu ihren Gunsten beeinflussen.
Genau das ist möglicherweise passiert; solche Vorwürfe wurden ab 2009 immer lauter. WHO-Expertengremien hatten damals die „Schweinegrippe“, eine Influenza-Erkrankung des Subtyps A (H1N1), überraschend schnell als Pandemie eingestuft. Auch hat die WHO selbst Kriterien für Pandemie-Warnungen herabgesenkt, um den Ernstfall schneller auszurufen.
Unter Mitgliedern und Beratern der Impfkommission seien auch Wissenschaftler gewesen, die Verträge mit den Herstellerfirmen von Tamiflu und anderen Pharmaka gehabt hätten, berichtete damals die Deutsche Welle. Die WHO selbst dementierte nach internen Recherchen alle Anschuldigungen.
In einer anderen Causa ging es um WHO-Resolutionen, die längeres Stillen von Babys fördern sollten. US-Delegierte sollen laut New York Times versucht haben, Abgesandte anderer Länder zu beeinflussen. Ziel sei gewesen, den Markt für Ersatzprodukte nicht zu gefährden. Das ist letztendlich nicht gelungen, aber der Versuch alleine zeigt, dass die WHO bei Lobbyisten hoch im Kurs steht.
Ähnlich lief die Sache bei Empfehlungen zur Menge an freiem Zucker in Speisen und Getränken ab. Ab 2003 wurden „weniger als 10 Prozent“ als Zielwert formuliert, sehr zum Ärger von Herstellern. Kurz darauf begann die Lobbyarbeit, und die WHO selbst hat eigene Empfehlungen zwar zahlenmäßig beibehalten, aber hinsichtlich ihrer Evidenz relativiert („schlechte Datenlage der Empfehlung“). Doch der gesellschaftliche Druck hat sich weiter erhöht – Diabetes und Adipositas ließen sich nicht aufhalten. Ab 2014 wurde der Wert dann auf weniger als 5 Prozent angepasst.
Die beschriebenen Szenarien von Impfung über Ersatzmilchnahrung bis hin zum Zucker zeigen: Hat ein gesundheitliches Thema keine Lobby, scheint das Interesse von WHO-Gremien gering zu sein. Ein Beispiel: Nach dem Ebola-Ausbruch 2013 bis 2016 in Westafrika wurde die Organisation wegen ihrer Bürokratie in der Finanzpolitik heftig kritisiert.
Zum Vergleich: 2016/2017 waren 494 Millionen US-Dollar für solche Notfälle vorgesehen. Im gleichen Zeitraum haben die Industrienationen mehrere Milliarden US-Dollar gegen Ebola- und Zika-Infektionen ausgegeben. Damit wurden Versorgungsstrukturen vor Ort aufgebaut, aber auch Therapeutika und Impfstoffe entwickelt.
Bleibt als Fazit, dass die WHO in dieser Form dringend zu reformieren ist. Sie ist in Teilen zum politischen und wirtschaftlichen Spielball geworden. Trump vergreift sich – wie so oft – im Ton. Doch die politische Weltbühne sollte genauer hinsehen und ihre Schlüsse nach der Corona-Pandemie ziehen.
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