Nicht nur der Mund-Nasen-Schutz ist ein emotionales Thema. Auch über Handschuhe und ihre korrekte Anwendung wird in Zeiten von Corona gestritten.
Anstoß dieses Beitrags war der Artikel „Kloake an den Händen“ auf unserem Portal, in dem ein Arzt seinem Ärger über das öffentliche Tragen von Handschuhen Luft macht. Er heißt Marc Hanefeld und ist Facharzt für Allgemeinmedizin und Anästhesie. „Hört auf, medizinische Handschuhe in der Öffentlichkeit zu tragen. Das ist eine hygienische Sauerei großen Ausmaßes“, kritisiert er auf Twitter. „Weder Träger noch Patient/Berührter werden durch medizinische Handschuhe geschützt. Vor und nach Gebrauch ist eine hygienische Händedesinfektion notwendig. Würde schätzen, das machen mindestens 50 % des Gesundheitspersonals falsch. Nicht-Profis wohl 99 %“, so seine Einschätzung.
In den Kommentaren diskutierten unsere Leser wild über den Handschuhgebrauch und die Behauptungen des Arztes. „Selbst die hochwertigeren OP-Handschuhe werden nach kurzer Benutzung porös und damit instabil. Das ist ein Grund für zwei Handschuhe übereinander“, sagt eine Allgemeinmedizinerin. „Empfehle jedem, Handschuhe anziehen und dann die Hände in eine mit Lebensmittelfarbe versehene Flüssigkeit zu tauchen. Dann Handschuhe ausziehen und sich wundern …“, fügt ein Zahnarzt hinzu.
„Leider wird einem im Praktikum anscheinend häufig beigebracht, die vorherige Handdesinfektion zu lassen, ‚es sei nicht nötig‘“, sagt ein Medizinstudent über den Gebrauch von Handschuhen. „Dass Dr. Hanefeld vermutet, dass wenigstens die Hälfte im medizinischen Bereich daher solche Fehler macht, wundert mich leider nicht.“ Für welchen Zweck sollten Mediziner also Handschuhe verwenden? Sind Handschuhe per se undicht? Und sollte man Handschuhe desinfizieren? Diesen Fragen wollen wir hier auf den Grund gehen.
Grundsätzlich gilt, dass das Tragen von medizinischen Einmalhandschuhen nicht die hygienische Händedesinfektion ersetzt. Darin sind sich auch unsere Leser einig. Neben der Händedesinfektion gehören Handschuhe zur wichtigsten Infektionsprophylaxe in Klinik und Praxis.
Nicht ganz so sicher scheint man sich bei der Frage zu sein, ob medizinische Handschuhe tatsächlich dicht sind oder nicht. Im Beitrag selbst und in den Kommentaren wird mehrfach drauf hingewiesen, dass viele Schutzhandschuhe porös seien. Stimmt das?
Grob lassen sich die Handschuhe für den medizinischen Gebrauch in zwei Kategorien einteilen: Die nicht sterilen Schutzhandschuhe und die sterilen Schutzhandschuhe. Die eingesetzten Materialien sind unter anderem Latex, Nitril, PVC, Polyethylen (PE) und Neopren. So weit, so gut.
Bei den nicht sterilen Schutzhandschuhen geht die Verwirrung aber schon bei der Bezeichnung los. Je nachdem welches Regelwerk man in den Händen hält, heißen die nicht sterilen Schutzhandschuhe entweder „medizinische Handschuhe zum einmaligen Gebrauch“ (DIN EN 455), „Schutzhandschuhe“ (TRBA 250) oder „keimarme Handschuhe“ (KRINKO-Empfehlung).
Eine mögliche Porösität – auch vor Gebrauch – trifft auf Schutzhandschuhe zu, die nicht als Medizinprodukt deklariert sind oder definitionsgemäß dem Personalschutz dienen. So weisen die vergleichsweise günstigen unsterilen PVC-Handschuhe eine geringe Materialstärke auf, die gerade so an der untersten Grenze der amerikanischen Norm kratzt. Die geringe Materialstärke führt zu einer hohen Perforationsrate nach dem Tragen – und vermutlich auch schon währenddessen. Inbesondere im Bereich der Fingerkuppen ist die Fehlerlokalisation hoch, heißt es in der Leitlinie „Anforderungen an Handschuhe zur Infektionsprophylaxe im Gesundheitswesen“.
Die Leitlinie empfiehlt PVC- oder PE-Handschuhe für nicht-klinische Tätigkeiten, wie z.B. in der Küche, im technischen Dienst oder bei der Reinigung (sofern nicht mit infektiösen Materialien umgegangen wird). Auch für einfache Tätigkeiten am Patienten ohne Erfordernis einer hohen Tastgenauigkeit und Griffigkeit sind diese Handschuhe zu empfehlen.
Bei „medizinischen Handschuhen“ nach DIN EN 455 sollte man davon ausgehen können, dass die Handschuhe zumindest ab Werk dicht sind. Diese werden als Medizinprodukt eingestuft, weil sie dem Schutz des Patienten dienen. Hier gelten besondere Anforderungen an die Handschuhe, sie werden u.a. auf Dichtheit und Freiheit von Löchern, Reißfestigkeit und Haltbarkeit (EN 455/1-4) geprüft. Es lohnt der Blick auf die Verpackung: Schutzhandschuhe, die als Medizinprodukte eingestuft werden, müssen neben der CE-Kennzeichnung den Hinweis auf die EU-Richtlinie 93/42/EWG auf der Verpackung tragen. Welche Prüfanforderungen von den jeweiligen Handschuhen genau erfüllt werden, muss ebenfalls auf der Verpackung angegeben sein.
Da die Perforationsrate aber trotzdem mit zunehmender Tragedauer zunimmt, müssen die Handschuhe regelmäßig gewechselt werden. Die AWMF empfiehlt den Wechsel von Nitrilhandschuhen nach 15 Minuten. Zudem muss der Handschuhträger die für seine Tätigkeit passenden Handschuhe auswählen. Im Rettungswesen etwa sind strapazierfähige und reißfeste Handschuhe notwendig (Cave PVC!). Auch die Lagerung der Handschuhe spielt eine Rolle: UV-Strahlung oder große Hitze können die Reißfestigkeit von Naturlatexprodukten verringern.
Im OP-Bereich empfiehlt die Leitlinie den Einsatz puderfreier OP-Handschuhe aus Naturlatex, da gleichwertige Eigenschaften hinsichtlich Tragekomfort, Passgenauigkeit, Griffigkeit und mechanische Belastbarkeit von keinem anderen Material erreicht werden. OP-Handschuhe dienen dem Schutz des Personals und der Patienten vor Infektionen. Sie sind per Definiton ein Medizinprodukt und müssen steril sein. Operative Abteilungen müssen intern festlegen, wann doppelte Handschuhe oder Handschuhe mit einem Perforationsindikatorsystem getragen werden sollen.
Die Autoren der Leitlinie weisen daraufhin, dass häufig für aseptische Tätigkeiten OP-Handschuhe verwendet werden, obwohl sterile Untersuchungshandschuhe (die in der Regel wesentlich preisgünstiger sind) völlig ausreichen würden. Je nach Tätigkeit genügen auch einzeln verpackte sterile Handschuhe, dies gilt z.B. für das endotracheale Absaugen von Beatmungspatienten.
Die Leitlinie „Anforderungen an Handschuhe zur Infektionsprophylaxe im Gesundheitswesen“ bietet eine Übersicht über die verschiedenen Handschuhe und zu welchem Zweck sie getragen werden sollten:
*Anm. bei längerfristiger Anwendung sind chemikalienbeständige Handschuhe zu verwenden¹ PE-Handschuhe als Unterziehhandschuhe
Ein weiterer Punkt, der in den Kommentaren angesprochen wird: Sollten Handschuhe desinfiziert werden?
Eine allgemeine Aussage lässt sich dazu nicht treffen, da die Materialien unterschiedlich auf Desinfektionsmittel reagieren. Es ist allerdings laut Leitlinie inzwischen belegt, dass einige Handschuhfabrikate mehrmals mit 60 % Isopropanol desinfiziert werden können, ohne dass es dabei zu Undichtigkeiten der Handschuhe kommt. Einschränkend heißt es: „Eine Desinfektion ist nur vertretbar, wenn Desinfizierbarkeit und Dichtheit für einen bestimmten Handschuh reproduzierbar geprüft wurden. Die Empfehlung, Handschuhe generell zu desinfizieren und für unterschiedliche Patienten zu verwenden, ist strikt abzulehnen.“
Im Fall von chemikalienbeständigen medizinischen Nitril-Untersuchungshandschuhe (EN 374) weicht man davon allerdings ab. Diese dürften desinfiziert werden, wenn sie bei der vorgehenden Untersuchung bzw. Behandlung nicht mit Blut, Sekreten oder Exkreten verunreinigt wurden. „Somit kann bei einem Wechsel von reinen und unreinen Arbeiten an einem Patienten, auf einen Handschuhwechsel verzichtet und eine Desinfektion der Handschuhflächen mit entsprechendem Händedesinfektionsmittel durchgeführt werden“, heißt es in der Leitlinie. Es gilt aber, dass maximal 5 Desinfektionen und eine maximale Tragezeit der Handschuhe von 30 Minuten zulässig sind.
Über all diese Punkte macht sich der Laie vermutlich keine Gedanken, wenn er sich Handschuhe für den Wocheneinkauf überstülpt. Ärzte sollten es besser wissen.
Bildquelle: Dominic Mitchell, flickr