Bei Ebola-Infektionen brachte der Arzneistoff wenig. Jetzt ist Remdesivir zu einem der Hoffnungsträger gegen COVID-19 geworden. Doch viele Fragen bleiben offen. Stellt Gilead seine Studienergebnisse besser dar, als sie tatsächlich sind?
Vor wenigen Tagen sind über das Portal Stat News frühe Daten einer klinischen Phase-3-Studie zu Remdesivir in die Medien durchgesickert. „Die beste Nachricht ist, dass die meisten unserer Patienten bereits entlassen wurden, was großartig ist“, so Dr. Kathleen Mullane von der University of Chicago in einem Video, das Stat News aus unbekannter Quelle erhalten hat.
„Die Video-Diskussion zu den Studienergebnissen wurde aufgenommen und STAT behielt eine Kopie der Aufnahme“, heißt es im Beitrag von Stat News. Das Video selbst veröffentlichte das Medium nicht. Behandelt wurden 125 Personen mit COVID-19, darunter 113 schwer Erkrankte. Nur zwei Patienten seien gestorben. Ist das der lang erwartete Durchbruch? Oder vielmehr Taktik, um in den Schlagzeilen zu bleiben?
Mit Remdesivir hat sich unter anderem Prof. Dr. Stephen Evans umfassend beschäftigt. Im Auftrag des Science Media Centre London hat er alle aktuell verfügbaren Informationen zu Remdesivir bewertet. Er forscht an der London School of Hygiene & Tropical Medicine. Evans: „Es gibt drei von Gilead gesponserte Studien auf clinicaltrials.gov. Bei einer sind jetzt vorab Daten zu schwer erkrankten Patienten medial in Umlauf gekommen.“
„In jeder dieser Studien beruhen Angaben zu Vor- und Nachteilen von Remdesivir auf externen, nicht randomisierten Vergleichen", so Evans weiter. „Diese sind immer schwer zu interpretieren, weshalb Arzneimittelbehörden in praktisch allen Fällen einen randomisierten Vergleich mit dem aktuellen Behandlungsstandard fordern, einschließlich einer Placebogruppe.“ Insofern seien auch die neuen Daten schwer zu interpretieren.
Doch randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) mit Remdesivir gebe es derzeit nicht. „Das Fehlen eines Kontrollarms in der Studie könnte die Interpretation der Ergebnisse noch erschweren“, ergänzt der Experte.
Was die Behandlung von COVID-19 mit Remdesivir betrifft, lässt sich bislang nur die im NEJM publizierte Studie bewerten. Gilead stellte Remdesivir im Rahmen sogenannter Härtefallprogramme (Compassionate Use) zur Verfügung. Unter Compassionate Use wird eine Ausnahmeregelung verstanden. Wenn es bei einer schwerwiegenden Erkrankung keine therapeutischen Optionen gibt, können Behörden zustimmen, dass Arzneistoffe ohne Zulassung eingesetzt werden.
Die Forscher rekrutierten 61 Patienten mit bestätigter SARS-CoV-2-Infektion und mittelschwerem bis schwerem Verlauf. Ausgewertet wurden nur Daten von 53 Patienten. Von ihnen befanden sich 22 in den USA, 22 in Europa oder Kanada und 9 in Japan. Zu Studienbeginn erhielten 30 Patienten (57 Prozent) eine mechanische Beatmung und 4 (8 Prozent) eine extrakorporale Membranoxygenierung. Ihre Pharmakotherapie bestand am ersten Tag aus 200 mg Remdesivir und am zweiten bis zehnten Tag aus jeweils 100 mg des Wirkstoffs.
Während einer Nachbeobachtungszeit von durchschnittlich 18 Tagen besserte sich bei 36 Patienten (68 Prozent) die Sauerstoffversorgung. Unter ihnen waren 17 von 30 Patienten (57 Prozent), die keine mechanische Beatmung mehr benötigten und extubiert werden konnten. Insgesamt 25 Patienten (47 Prozent) wurden entlassen, 7 Patienten (13 Prozent) starben.
Nicht nur Evans hat sich mit der Publikation befasst. Dr. Joshua D. Farkas, Pneumologe am University of Vermont Medical Centre, Burlington, widmet dem Paper sogar einen Blogbeitrag. Er kommt auf sage und schreibe 11 Gründe, warum Ärzte vorsichtig sein sollten:
Gilead hat Remdesivir eigentlich zur Behandlung von Ebola entwickelt, nur waren Vergleichstherapien deutlich besser. Jetzt bietet die COVID-19-Pandemie gute Chancen, den eingemotteten Wirkstoff doch noch zu Geld zu machen. Auf wissenschaftliche Ankündigungen reagierten Gilead-Aktien mit einem Freudensprung.
Doch die Zeit drängt: Kommen ab Ende 2020 bis Anfang 2021 wirklich Impfstoffe, würde ein möglicher Markt schnell einbrechen. Zum Vergleich: An Chloroquin, dem anderen kontrovers diskutierten Kandidaten zur COVID-19-Therapie, hat niemand großes wirtschaftliches Interesse. Umso schneller kamen Forscher auf gefährliche, teilweise zu erwartende Nebenwirkungen.
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Bildquelle: Markus Spiske, unsplash