Von Favipiravir bis Remdesivir – viele Behandlungsansätze bei COVID-19 werden derzeit getestet. Hier der zweite Teil unserer Wirkstoff-Trilogie.
Nachdem im ersten Teil des Überblicks die aktuelle Datenlage zu Chloroquin, Hydroxychloroquin sowie verschiedenen antiviralen und antiretroviralen Wirkstoffen vorgestellt wurde, geht es im zweiten Teil der Fibel um weitere Therapieansätze im Kampf gegen SARS-CoV-2. Die Daten beruhen auf der Zusammenstellung von Sanders et al. im Fachjournal JAMA Networks.
Ein Ansatzpunkt, der auf der Suche nach möglichen Therapien gegen COVID-19 ebenfalls untersucht wird, ist die Wirkung von Interferon-α und –β. Laut Sanders und Kollegen zeigte sich, dass Interferon–β eine Aktivität gegenüber MERS-CoV aufweist. Demnach sei in den meisten veröffentlichten Studien mit vielversprechenden Ergebnissen die Therapie in Kombination mit Ribavirin und oder Lopinavir/Ritonavir eingesetzt worden. Allerdings könne es zu einer verzögerten Wirksamkeit kommen, wenn die Behandlung erst spät im Krankheitsverlauf begonnen wird.
Bisherige In-vitro-Daten sowie Daten aus Tierversuchen zeigen, den Autoren zufolge, in Bezug auf die Wirksamkeit gegenüber SARS-CoV-2 widersprüchliche Daten. Darüber hinaus gebe es bisher keine klinischen Studien. Deshalb sei der Einsatz von Interferonen zur Behandlung von SARS-CoV-2 derzeit nicht empfohlen. Nach Angaben der Wissenschaftler werden in chinesischen Richtlinien Interferone jedoch als Alternative zur Kombinationstherapie aufgeführt. Auch mehrere andere immunmodulierende Wirkstoffe, die traditionell für nichtinfektiöse Indikationen eingesetzt werden, zeigen laut der Wissenschaftler eine In-vitro-Aktivität oder besitzen Mechanismen, die angeblich SARS-CoV-2 hemmen. Dies gelte einschließlich, aber nicht beschränkt auf Baricitinib, Imatinib, Dasatinib und Cyclosporin. Allerdings merken Sanders und Kollegen an, dass bisher keine Tier- oder Humandaten vorliegen, die den Einsatz dieser Therapien für COVID-19 empfehlen würden. Deshalb bliebe abzuwarten, ob diese auch in Bezug auf SARS-CoV-2 einen Schutz für Patienten bieten.
Derweil gibt es auch Ansätze, schwer an COVID-19 erkrankte Personen mit erhöhtem IL-6-Spiegel mit IL-6-Antikörpern zu behandeln. Erste Daten einer großen internationalen Phase-II/-III-Studie wurden nun von Sanofi und Regeneron Pharmaceuticals in einer Pressemitteilung veröffentlicht (DocCheck berichtete).
Camostatmesylat ist ein in Japan zur Behandlung von Pankreatitis zugelassener Wirkstoff. Er verhindert In-vitro den Eintritt von Coronaviren durch Hemmung der Serinprotease des Wirts-Serins, TMPRSS2. Dieser neuartige Mechanismus stelle ein zusätzliches Angriffsziel für künftige Forschungsarbeiten dar, so die Forscher in ihrer Zusammenfassung.
Nitazoxanid ist traditionell ein Anthelminthikum. Es hat zudem eine breite antivirale Wirkung und ein relativ günstiges Sicherheitsprofil. Laut Sanders und Kollegen zeigte die Substanz In-vitro eine antivirale Aktivität gegen MERS und SARS-CoV-2. Aufgrund der antiviralen Aktivität, der immunmodulatorischen Wirkungen und des Sicherheitsprofils seien, so die Autoren, weitere Untersuchungen als Behandlungsoption für SARS-CoV-2 gerechtfertigt.
Da SARS-CoV-2 den ACE2-Rezeptor für den Eintritt in die Wirtszelle nutzt, wird auch darüber diskutiert, ob ACE-Hemmer und/oder Angiotensin-Rezeptorblocker möglicherweise zur Behandlung von COVID-19 eingesetzt werden oder umgekehrt die Krankheit verschlimmern könnten. Diese Medikamente regulieren die ACE2-Rezeptoren hoch, was theoretisch zu schlechteren Ergebnissen führen könnte, wenn der Eintritt des Virus verstärkt würde. Im Gegensatz dazu könnten Angiotensin-Rezeptorblocker durch die Blockade der ACE2-Rezeptoren theoretisch einen klinischen Nutzen bringen, wie die Forscher schreiben. Auch hier seien die In-vitro-Daten jedoch widersprüchlich. Deshalb sei es schwierig festzustellen, ob diese Wirkstoffe bei Patienten mit COVID-19 eine schädigende oder schützende Wirkung haben. Neuere Studienergebnisse untermauern jedoch, dass ACE-Hemmer im Hinblick auf SARS-CoV-2 sicher sind (DocCheck berichtete).
Und auch klinische Gesellschaften und Praxisleitlinien empfehlen, nach Angaben der Autoren, die Fortsetzung der Therapie für Patienten, die bereits einen dieser Wirkstoffe einnehmen.
Remdesivir ist ein Monophosphat-Vorläufer-Medikament, das zu einem aktiven C-Adenosin-Nukleosid-Triphosphat-Analogon metabolisiert wird. Der Wirkstoff wurde im Rahmen eines Screening-Prozesses auf antimikrobielle Wirkstoffe mit Aktivität gegen RNA-Viren wie Coronaviridae und Flaviviridae entdeckt. Gegenwärtig ist Remdesivir eine vielversprechende potenzielle Therapie für COVID-19 aufgrund seines breiten Wirkspektrums und seiner starken In-vitro-Aktivität gegen mehrere nCoVs, darunter SARS-CoV-2. In Infektionsmodellen der Mauslunge mit MERS-CoV verhinderte Remdesivir Lungenblutungen und reduzierte die viralen Lungentiter stärker als Vergleichsstoffe, so Sanders und Kollegen.
Die Sicherheit und Pharmakokinetik von Remdesivir wurde, den Autoren zufolge, in klinischen Studien der Phase 1 mit Einzel- und Mehrfachdosen untersucht. Intravenöse Infusionen zwischen 3 mg und 225 mg seien gut vertragen worden, Anzeichen von Leber- oder Nierentoxizität seien dabei nicht aufgetreten. So ist der Zusammenfassung zu entnehmen, dass Remdesivir in diesem Dosisbereich eine lineare Pharmakokinetik und eine intrazelluläre Halbwertszeit von mehr als 35 Stunden zeigte. Nach Verabreichung mehrerer Dosen seien Erhöhungen der reversiblen Aspartat-Aminotransferase und der Alanin-Transaminase aufgetreten. Zu diesem Zeitpunkt würden jedoch keine Leber- oder Nierenanpassungen empfohlen. Allerdings werde bei Patienten mit einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate von weniger als 30 ml/min die Anwendung nicht empfohlen.
Die erste klinische Anwendung von Remdesivir erfolgte zur Behandlung von Ebola, es gibt jedoch auch Fallberichte, in denen die erfolgreiche Anwendung von Remdesivir für COVID-19 beschrieben wurde. Klinische Studien zur Untersuchung der Sicherheit und antiviralen Aktivität von Remdesivir bei Patienten mit leichtem bis mittelschwerem oder schwerem COVID-19 laufen derzeit, so Sanders und Kollegen. Von besonderer Bedeutung sei, dass die National Institutes of Health eine adaptive, randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Studie sponsern, die Aufschluss über die Wirksamkeit von Remdesivir im Vergleich zur unterstützenden Behandlung geben solle. Seit der Veröffentlichung von Sanders et al. wurden indes weitere Ergebnisse aus Versuchen mit Remdesivir bekannt. So wurden auf der Website der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor wenigen Tagen versehentlich Daten einer klinischen Studie aus China veröffentlicht, deren Ergebnisse enttäuschten (DocCheck berichtete). Demnach verbesserte sich der Zustand der mit Remdesivir behandelten Patienten nicht.
Kürzlich gab es wiederum Vorab-Ergebnisse des bisher größten Trials zu Remdesivir mit vielversprechenden Ergebnissen:
Favipiravir ist ein Prodrug eines Purinnukleotids, Favipiravir-Ribofuranosyl-5′-triphosphat. Der Wirkstoff hemmt die RNA-Polymerase, wodurch die virale Replikation gestoppt wird. Die meisten präklinischen Daten von Favipiravir wurden in Zusammenhang mit der Therapie von Influenza- und Ebola gesammelt. Der Wirkstoff zeigte jedoch auch eine breite Aktivität gegen andere RNA-Viren.
Der Wirkstoff hat, laut Sanders et al., ein mildes Nebenwirkungsprofil und sei insgesamt gut verträglich, obwohl das Nebenwirkungsprofil bei höheren Dosierungen begrenzt sei.
Ihnen zufolge liegen begrenzte klinische Erfahrungen vor, die den Einsatz von Favipiravir für COVID-19 unterstützen würden. So wurde in einer prospektiven, randomisierten, multizentrischen Studie Favipiravir mit Arbidol für die Behandlung von mittelschweren und schweren COVID-19-Infektionen verglichen. Unterschiede in der klinischen Genesung am siebten Tag wurden bei Patienten mit mittelschweren Infektionen beobachtet (71,4% Favipiravir und 55,9% Arbidol, P = 0,019), wie die Autoren in ihrer Zusammenfassung schreiben. Bei den schweren oder schweren und mittelschweren (kombinierten) Versuchsarmen wurden, ihnen zufolge, keine signifikanten Unterschiede beobachtet. Diese Daten unterstützten die weitere Untersuchung der Wirksamkeit von Favipiravir für die Behandlung von COVID-19 mit RCTs.
Die Autoren der Zusammenfassung betonen, dass es sich, bei den in ihrem Artikel genannten Wirkstoffen, natürlich nur um eine Auswahl handele. Darüber hinaus gebe es noch zahlreiche weitere potenzielle Wirkstoffe, die, wie sie hoffen, weitere Kandidaten für Therapeutika im Wettlauf um eine wirksame Behandlung oder präventive Strategie gegen SARS-CoV-2 hervorbringen könnten.
Mehr zum Thema:
Bildquelle: Sonny Ravesteijn, unsplash