Von Kortikosteroiden zu Immunglobulin – hier der letzte Teil unserer pharmakologischen Serie. Diesmal geht es um Begleittherapien bei COVID-19.
Angesichts des Fehlens einer erprobten Therapie für SARS-CoV-2 bleibt der Eckpfeiler der Behandlung von Patienten mit COVID-19 nach wie vor die unterstützende Versorgung, die von der ambulanten Behandlung der Symptome bis hin zur vollständigen intensivmedizinischen Betreuung reicht. Laut Sanders und Kollegen verdienen jedoch drei Begleittherapien eine besondere Erwähnung: Kortikosteroide, Antizytokine oder immunmodulierende Mittel sowie die Immunglobulintherapie.
Der Grund für den Einsatz von Kortikosteroiden ist die Verringerung der entzündlichen Reaktionen in der Lunge. Diese können zu einer akuten Lungenverletzung und zum akuten Atemnotsyndrom (ARDS) führen. Allerdings, so schreiben die Autoren, könne dieser Nutzen durch unerwünschte Wirkungen, einschließlich einer verzögerten viralen Clearance und eines erhöhten Risikos von Sekundärinfektionen, aufgewogen werden. So seien die Ergebnisse bei anderen viralen Pneumonien aufschlussreich, obwohl die direkte Evidenz für Kortikosteroide bei COVID-19 begrenzt ist.
Beobachtungsstudien bei Patienten mit SARS und MERS zeigten demnach keinen Zusammenhang zwischen Kortikosteroiden und einer verbesserten Überlebenszeit, wurden jedoch in Zusammenhang mit einer verzögerten viralen Clearance aus den Atemwegen und dem Blut sowie mit hohen Komplikationsraten wie Hyperglykämie, Psychosen und avaskulärer Nekrose gestellt. Darüber hinaus habe eine 2019 durchgeführte Meta-Analyse von zehn Beobachtungsstudien mit 6548 Patienten mit Influenza-Pneumonie ergeben, so Sanders, dass Kortikosteroide mit einem erhöhten Sterblichkeitsrisiko und einem zweifach erhöhten Risiko für Sekundärinfektionen einhergehen.
Während die Wirksamkeit von Kortikosteroiden bei ARDS und septischem Schock im Allgemeinen weiterhin diskutiert wird, gebe es, den Autoren zufolge, auch Agumentationen, dass Kortikosteroide am ehesten denjenigen zugute kämen, die eher an bakteriellen als an viralen Infektionen leiden. Eine kürzlich durchgeführte retrospektive Studie an 201 Patienten mit COVID-19 in China ergab demnach, dass für diejenigen, die an ARDS erkrankt waren, die Behandlung mit Methylprednisolon mit einem verringerten Sterberisiko verbunden war. Die Autoren dieser Studie stellten jedoch fest, dass Verzerrungen und Residualverwechslungen zwischen denjenigen, die Steroide erhielten oder nicht, bestehen könnten, wie Sanders und Kollegen schreiben.
Daher warne der potenzielle Schaden und das Fehlen eines nachgewiesenen Nutzens von Kortikosteroiden vor der routinemäßigen Anwendung bei Patienten mit COVID-19 außerhalb einer randomisierten kontrollierten Studie (RCT), es sei denn, es liege eine begleitende zwingende Indikation vor, wie z.B. die Verschlimmerung einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung oder ein refraktärer Schock.
Antizytokine oder immunmodulierende Wirkstoffe
Monoklonale Antikörper, die gegen wichtige entzündliche Zytokine oder andere Aspekte der angeborenen Immunantwort gerichtet sind, stellen, so die Autoren in ihrer Zusammenfassung, eine weitere potenzielle Klasse von Begleittherapien für COVID-19 dar. Der Grund für ihren Einsatz liege darin, dass die zugrundeliegende Pathophysiologie signifikante Organschäden in der Lunge und anderen Organen verursachen kann. Die Ursache liege in einer verstärkten Immunantwort und Zytokinfreisetzung, auch als "Zytokinsturm" bezeichnet. Dabei scheint IL-6 ein Hauptgrund für diese dysregulierte Entzündung zu sein, vermuten die Wissenschaftler, basierend auf frühen Fallserien aus China. Deshalb könnten, wie sie schreiben, monoklonale Antikörper gegen IL-6 diesen Prozess theoretisch dämpfen und die klinischen Ergebnisse verbessern.
Tocilizumab, ein IL-6-Rezeptorantagonist mit monoklonalen Antikörpern, ist von der FDA zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis (RA) und des Zytokinfreisetzungssyndroms nach chimärer Antigenrezeptor-T-Zell-Therapie zugelassen. Angesichts dieser Erfahrung wurde Tocilizumab in wenigen Fällen schwerer COVID-19-Erkrankungen mit ersten Erfolgsberichten eingesetzt. So schreiben Sanders und seine Kollegen, dass ein Bericht über 21 Patienten mit COVID-19 gezeigt habe, dass die Einnahme von Tocilizumab, 400 mg, bei 91 % der Patienten mit einer klinischen Verbesserung verbunden war. Diese wurde gemessen an einer verbesserten Atemfunktion, einer raschen Deferveszenz und einer erfolgreichen Entlassung, wobei die meisten Patienten nur eine Dosis erhielten.
Allerdings, so die Wissenschaftler, schränke das Fehlen einer Vergleichsgruppe die Interpretation der medikamentösen Wirkung ein und erfordere Vorsicht, bis strengere Daten vorliegen. Derzeit sind in China mehrere RCTs mit Tocilizumab, allein oder in Kombination, bei Patienten mit COVID-19 mit schwerer Lungenentzündung im Gange, und es wird in den aktuellen nationalen chinesischen Behandlungsrichtlinien aufgegführt, so die Forscher in ihrer Zusammenfassung.
Inzwischen ist auch eine placebokontrollierte Doppelblindstudie gestartet, an der weltweit rund 330 Patientinnen und Patienten teilnehmen sollen. Auch in Deutschland sind mehrere Kliniken an der Studie beteiligt (DocCheck berichtete).
Derweil wird, laut Sanders und Kollegen, Sarilumab, ein weiterer bei RA zugelassener IL-6-Rezeptorantagonist, in einer multizentrischen, doppelblinden Phase-2/3-Studie für hospitalisierte Patienten mit schwerem COVID-19 untersucht und mittlerweile liegen erste Ergebnisse vor. So war eine klinische Besserung unter Behandlung mit Sarilumab nur bei kritisch kranken Patienten zu beobachten. Zudem profitierten Patienten vor allem dann, wenn sie die höhere Dosis Sarilumab erhalten hatten. Deshalb wurde das Design der Studie an die neuen Ergebnisse angepasst (DocCheck berichtete).
Weitere monoklonale Antikörper oder immunmodulierende Wirkstoffe, die sich in klinischen Studien in China befinden oder in den USA für einen erweiterten Zugang verfügbar sind, sind Bevacizumab (Medikament gegen VEGF), Fingolimod (für Multiple Sklerose zugelassener Immunmodulator) und Eculizumab (Antikörper gegen den Komplementfaktor C5).
Immunglobulin-Therapie
Eine weitere mögliche Begleittherapie für COVID-19 ist die Verwendung von Rekonvaleszenzserum oder Hyperimmun-Immunglobulinen. Der Grund für diese Behandlung liegt darin, dass Antikörper von genesenen Patienten sowohl bei der freien Virus- als auch bei der Immun-Clearance infizierter Zellen helfen können. So gibt es Berichte oder Protokolle über Rekonvaleszenzplasma als "Rettungstherapie" bei SARS und MERS, wie die Wissenschaftler schreiben.
Ihnen zufolge zeigte eine prospektive Beobachtungsstudie aus dem Jahr 2009 an 93 schwerkranken Patienten mit Influenza-A-(H1N1), von denen 20 Rekonvaleszenzplasma erhielten, dass der Erhalt von Rekonvaleszenzserum im Vergleich zum Nicht-Erhalten mit einer Verringerung der Mortalität verbunden war. Im Rahmen einer systematischen Übersicht aus dem Jahr 2015 führten Forscher ebenfalls eine Post-Hoc-Metaanalyse von acht Beobachtungsstudien durch, darunter 714 Patienten mit SARS oder schwerer Grippe. Die Verabreichung von Rekonvaleszenzserum und Hyperimmun-Immunglobulin war, so das Ergebnis, mit einer Reduktion der Mortalität mit relativ geringem Schaden verbunden.
Allerdings sei die Studienqualität in Bezug auf diese Therapien im Allgemeinen gering und das Risiko einer Verzerrung gegeben, wie Sanders und die anderen Wissenschaftler schreiben. Theoretisch seien die Vorteile dieser Therapie vor allem innerhalb der ersten sieben bis zehn Tage nach der Infektion gegeben, wenn die Virämie ihren Höhepunkt erreicht habe und die primäre Immunantwort noch nicht eingetreten sei.
Nach Angaben der Forscher rechtfertigen die Ergebnisse weitere Sicherheits- und Wirksamkeitsstudien, obwohl es den derzeitigen kommerziellen Immunglobulinpräparaten wahrscheinlich an schützenden Antikörpern gegen SARS-CoV-2 fehlt, da die Zahl der Patienten, die sich von COVID-19 erholt haben, weltweit erst zunimmt. Am 24. März 2020 veröffentlichte die FDA zudem eine Leitlinie zur Notfalluntersuchung für die Beantragung eines neuen Arzneimittelzulassungsantrags und zum Screening von Spendern für COVID-19-Konvaleszenzserum.
Auch die Asklepios Klinik Altona in Hamburg geht den Weg, Rekonvaleszenten-Plasma als Arzneimittel herzustellen. Dem Antrag der Klinik auf die Herstellung wurde durch die Hamburger Gesundheitsbehörde kurzfristig stattgegeben (DocCheck berichtete).
Die wirksamste langfristige Strategie zur Verhinderung künftiger Ausbrüche dieses Virus wäre jedoch die Entwicklung eines Impfstoffs, der eine schützende Immunität bietet, so Sanders und Kollegen. Allerdings seien mindestens 12 bis 18 Monate erforderlich, bevor der Impfstoff in großem Umfang eingesetzt werden könnte.
Aktuelle Erfahrungen und Empfehlungen zur klinischen Behandlung
Die veröffentlichten klinischen Behandlungserfahrungen, abgesehen von den wenigen erwähnten klinischen Studien, bestehen, den Autoren zufolge, zumeist aus deskriptiven Berichten und Fallserien aus China sowie anderen früh von dieser Pandemie betroffenen Ländern. Daher müssten die Ergebnisse, einschließlich der Mortalitätsraten, mit Vorsicht interpretiert werden. Es gebe Verwechslungs- und Selektionsverzerrungen und die demografische Entwicklung sowie die Test- und Behandlungsansätze würden sich ändern, wie sie weiter schreiben.
Ihnen zufolge wird in den aktuellen Leitlinien der Centers for Disease Control and Prevention für die klinische Versorgung von Patienten mit COVID-19 (Stand 7. März 2020) hervorgehoben, dass keine spezifische Behandlung für COVID-19 zur Verfügung steht, und betont, dass die Behandlung "die unverzügliche Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen zur Prävention und Eindämmung von Infektionen sowie die unterstützende Behandlung von Komplikationen" umfassen sollte. Laut Sanders und Kollegen wird in diesen Leitlinien ausdrücklich erwähnt, dass Kortikosteroide vermieden werden sollten, sofern sie nicht aus anderen Gründen angezeigt sind.
Weiter schreiben die Wissenschaftler, dass es in ähnlicher Weise im aktuellen Leitliniendokument der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur klinischen Behandlung (Stand 13. März 2020) heiße, dass derzeit keine spezifische Anti-COVID-19 Therapie für erkrankte Patienten empfohlen werden könne. Die Leitlinie betone die Rolle der unterstützenden Behandlung auf der Grundlage des Schweregrades der Erkrankung, die von der symptomatischen Behandlung leichter Verläufe über die evidenzbasierte Beatmungssteuerung bei ARDS bis zur Früherkennung und Behandlung bakterieller Infektionen und Sepsis bei schwerkranken Patienten reicht.
Sie würden empfehlen, "außerhalb klinischer Studien keine systemischen Kortikosteroide zur Behandlung der viralen Lungenentzündung routinemäßig zu verabreichen" und angeben, dass "Prüfpräparate gegen COVID-19 nur in zugelassenen, randomisierten, kontrollierten Studien eingesetzt werden sollten".
Des Weiteren, so Sanders in seinem Artikel, habe die WHO in diesem Zusammenhang vor kurzem Pläne für ein "Megatrial" namens SOLIDARITY angekündigt (DocCheck berichtete). In diesem sollten bestätigte Fälle entweder in die Standardbehandlung oder in eine von vier aktiven Behandlungsgruppen (Remedesivir, Chloroquin oder Hydroxychloroquin, Lopinavir/Ritonavir oder Lopinavir/Ritonavir plus Interferon-β) randomisiert werden, je nach lokaler Medikamentenverfügbarkeit.
Mit Stand vom 21. April 2020 arbeiten, laut WHO, über 100 Länder zusammen, um über SOLIDARITY so schnell wie möglich wirksame Therapeutika zu finden.
Weitere Informationen und Anmerkungen
Im weiteren Verlauf ihrer Zusammenfassung haben die Autoren wichtige Links zu Leitlinien für die klinische Behandlung und andere nützliche Ressourcen aufgeführt und geben Antworten auf einige wichtige Fragen zum klinischen Management von COVID-19.
Sie betonen jedoch auch, dass es bei ihrer Übersicht ein paar Einschränkungen zu beachten gebe. Demnach bedeute der enorme Umfang und die Schnelligkeit der veröffentlichten Literatur zur Behandlung von COVID-19, dass sich die Forschungsergebnisse und Empfehlungen ständig weiterentwicklen, sobald neue Erkenntnisse vorliegen. Des weiteren würden die bisher publizierten Daten ausschließlich aus kleinen klinischen Studien sowie Beobachtungsdaten stammen. So könne es zu Verzerrungen oder Ungenauigkeiten hinsichtlich des Ausmaßes von Behandlungseffekten kommen. Zudem habe sich die Überprüfung nur auf erwachsene Patienten beschränkt und auch nur englischsprachige Publikationen berücksichtigt.
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Quelle: © Sanders JM et al. / JAMA Network
Bild: © Dương Nhân / pexels