Während der COVID-19 Pandemie gibt es Versuche, HIV-Medikamente zur Behandlung von SARS-CoV-2-Infektionen einzusetzen. Aber obwohl die beiden Viren Gemeinsamkeiten aufweisen, gibt es entscheidende Unterschiede.
Das HI-Virus greift die T-Lymphozyten des menschlichen Immunsystems an. Eine unbehandelte HIV-Infektion führt zum Verlust dieser Immunzellen und damit zu einer verminderten Funktionsfähigkeit des Immunsystems. Da es auch bei SARS-CoV-2 zur Schädigung von T-Lymphozyten kommt, liegt es nahe, dass es Ähnlichkeiten zwischen den beiden Viren gibt.
Seit Mitte der 1990er Jahre gibt es äußerst wirksame Therapien gegen HIV, mit denen AIDS verhindert wird und die Betroffenen bei guter Lebensqualität eine fast normale Lebenserwartung haben. Die Therapien gegen das HI-Virus erweckten auch die Hoffnungen, dass das SARS-CoV-2 gut zu bekämpfen sei. Was aus diesen Hoffnungen geworden ist, erklärt Mario Sarcletti, leitender Oberarzt im HIV/AIDS-Bereich der Innsbrucker Universitätsklinik.
Haben das HI-Virus und das SARS-CoV-2 Ähnlichkeiten?
Beide Viren sind RNA-Viren. Die RNA ist eine besondere Form des genetischen Codes, während wir Menschen die DNA als genetischen Code haben. Trotzdem gibt es zwischen den beiden Virenarten ganz entscheidende Unterschiede: Bei beiden umgibt zwar eine Proteinkapsel die RNA, jedoch ist beim HIV der Vermehrungszyklus in der menschlichen Zelle komplexer. Ein weiterer Aspekt ist die unterschiedliche Ansteckungsart. Während es bei dem HI-Virus vergleichsweise schwieriger ist, sich anzustecken, nistet sich SARS-CoV-2 auch im Rachenraum ein und kann so, etwa durch Niesen oder Husten, viel leichter verbreitet werden. Das HIV wird nicht durch Tröpfcheninfektion übertragen.
Was bedeuten diese Unterschiede in der Praxis?
Alle diese Viren brauchen in den Zellen einen Oberflächenmarker – Ausstülpungen, um die Zelle zu erkennen und um dort einzudringen. Während sich nun das SARS-CoV-2 mit einem bestimmten Protein auf seiner Hülle einen entsprechenden Rezeptor auf der Zelle sucht (dies ist der ACE2-Rezeptor, der auch hauptsächlich auf Lungenzellen zu finden ist), braucht hingegen das HI-Virus die sogenannte CD4-Ausstülpung auf den Zellen, um anzudocken.
Auch in den Zellen reagieren die beiden Viren nur teilweise ähnlich: Grundsätzlich zwingen Viren, sobald sie ihre Erbsubstanz in die Zelle transportiert haben, die Zelle viele Viren zu produzieren. Beide Viren richten gerade bei den T-Lymphozyten, dem zellulären Abwehrbereich, Schaden an. HIV macht es über Jahre hinweg relativ langsam und nur bei einer bestimmten T-Lymphozyten-Gruppe, den Helferzellen. Hier unterscheiden sich die beiden Viren: Das HI-Virus programmiert die T-Lymphozyten um und breitet sich so im ganzen Körper aus. Das Besondere bei HIV ist, dass das Virus seine Erbsubstanz in den Zellen übersetzt und in unserer Erbsubstanz einbaut. Das ist in der Behandlung ein großes Problem, denn dieses eingebaute „Erbstück“ des Virus bekommt man aus unserer Erbsubstanz derzeit nicht mehr heraus. Das ist das Hauptproblem, weswegen HIV noch nicht heilbar ist. SARS-CoV-2 ist nicht fähig, seine Erbsubstanz in unsere einzubauen und die Infektion kann daher bei den meisten Menschen wirklich geheilt werden. Glücklicherweise verstärken sich HIV und SARS-CoV-2 nicht gegenseitig.
Es wird in absehbarer Zeit auch keine HIV-Impfung geben, obwohl das Virus seit 40 Jahren erforscht wird, dafür aber voraussichtlich relativ bald eine SARS-CoV-2-Impfung. Hat es auch damit zu tun, dass nun enorm viel Energie und Geld in die Erforschung des CoV-2 Virus gesteckt wird?
Weil wir wissen, dass nur eine Impfung HIV auf Dauer gänzlich bekämpfen kann, ist das Engagement bei der Entwicklung eines HIV-Impfstoffes seit Jahren extrem hoch. Sowohl was finanzielle Mittel als auch Energie und Manpower anbelangt. Es liegt eher, wie bereits beschrieben, in der biologischen Struktur der Viren selber. Wenn man es durch eine Impfung schafft, gegen SARS-CoV-2 eine ausreichende Antikörperproduktion zustande zu bringen, dann ist davon auszugehen, dass sie vor dieser Virusinfektion schützen kann.
Bei HIV ist zwar eine hohe Antikörperbildung vorhanden das schützt allerdings trotzdem nicht vor einem Fortschreiten der Erkrankung. Das entscheidende Hindernis ist auch, dass HIV sehr variabel ist und enorm viele Mutationen aufweist. HIV verändert sich sogar in derselben Person ständig. Das erschwert die Angreifbarkeit durch eine Impfung. SARS-CoV-2 mutiert, aber sehr viel seltener als HIV.
Zu Beginn der Pandemie hat es Versuche gegeben, HIV-Medikamente bei COVID-19 anzuwenden. Was wurde daraus?
Das liegt wiederum an den Gemeinsamkeiten der Viren: Beide Viren haben Proteasen, die im Verlauf des Vermehrungszyklus eine wichtige Rolle spielen – bei SARS 2004 wurde beobachtet, dass ein bestimmter HIV Protease-Hemmer einen günstigen Effekt bei einer Infektion mit dem SARS-Virus hatte. Nun besteht immer noch die Hoffnung, dass dieser Protease-Hemmer auch auf SARS-CoV-2 ebenso hemmend wirkt.
Es gab Berichte, dass unter dem HIV-Protease-Hemmer Kaletra (Lopinavir/Ritonavir) Verläufe von SARS-CoV-2-Infektionen etwas günstiger waren, andere Berichte wiederum haben das nicht bestätigen können. Eine kürzlich veröffentlichte Studie hat allerdings gezeigt, dass mit dem besagten Wirkstoff (Lopinavir/Ritonavir) keine wesentliche Verbesserung im Vergleich zur Standardtherapie registriert wurde (beschrieben im New England Journal of Medicine).
Die Proteasen der beiden Viren kommen zudem aus verschiedenen Protease-Familien. Sie sind in der Wirkung ähnlich, aber in der Struktur unterschiedlich. Das könnte die Erklärung sein, wieso das bei HIV wirksame Medikament bei SARS-CoV-2 nicht so wirksam ist.
PCR-Testungen können beide Viren nachweisen. Wieso aber ist bei SARS-CoV-2 der Antikörpertest so schwierig, während dieser bei HIV tadellos funktioniert?
Das Problem ist, dass es verschiedene Typen von Coronaviren gibt. Es gibt Corona-Antikörpertests, die nicht ganz klar zwischen harmlosen Coronaviren, von denen es auch einige gibt, die mit Erkältungserkrankungen einhergehen, und eben diesen gefährlichen Coronaviren, wie etwa dem SARS-CoV-2, unterscheiden können. Diese Spezifizität musste erst noch entwickelt werden. Allerdings sind die sicheren SARS-CoV-2-Antikörpertests schon bald auch in ausreichender Menge verfügbar.
Sind HIV-Patienten besonders gefährdet?
Die Verbreitung der SARS-CoV-2-Infektion könnte nach den bisherigen Erfahrungen bei HIV-Infizierten ähnlich wie bei HIV-negativen Menschen sein. Wir haben bis jetzt auch keine Daten, die zeigen, dass HIV-Infizierte Menschen anfälliger wären für COVID-19 oder für besonders schwere Verläufe. Es könnte sogar sein, dass die durch HIV abgeschwächten Abwehrmechanismen dem Zytokin-Sturm, der zu besonders schweren Verläufen von COVID-19 führt, entgegenwirken. Allerdings hängt ein höheres Risiko für schwere Verläufe von COVID-19 von bestimmten Faktoren wie dem Alter oder bestimmten Vorerkrankungen ab. Wenn man sich nun die Population der HIV-infizierten Menschen anschaut, ist mehr als die Hälfte über 50 Jahre alt und ein großer Anteil bringt diese Risiko-Zusatzerkrankungen wie etwa Bluthochdruck, Lungenveränderungen oder auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit. Daher gilt grundsätzlich das Gleiche wie bei den nicht-HIV-infizierten Menschen, nämlich die empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen gewissenhaft einzuhalten.
Soll man als HIV-Patient derzeit überhaupt Arzttermine wahrnehmen?
Wenn notwendig, unbedingt, um sogenannte Kollateralschäden zu vermeiden! Die getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung von SARS-CoV-2 sind sehr wichtig. Was wir allerdings zusehends beobachten ist, dass Menschen, die andere Krankheiten haben, sich zum Teil nicht mehr in Krankenhäuser oder zum Arzt trauen. Das ist ein Problem, das wir angehen müssen. Als Ärzte müssen wir hellhörig sein und unsere Patienten dahingehend informieren, dass sie, wenn es notwendig ist, kommen sollen.
Die Angst könnte nämlich zu sehr schweren Problemen führen. Bei HIV haben wir zwar das Glück, dass bei guten Therapien unsere Patienten relativ stabil sind und man bestimmte Termine durchaus auch verschieben kann. Allerdings ist es wichtig, die Medikamententherapie immer fortzusetzen und bei Problemen einen ärztlichen Ansprechpartner zu haben und auch aufzusuchen. Wir müssen besonders Acht geben, dass Patienten, die etwas anderes als COVID-19 haben, keine nachhaltigen Probleme bekommen.
Der Text basiert auf einer Pressemitteilung der Medizinische Universität Innsbruck.
Bildquelle: NIAID/flickr