Wenn die medizinischen Ressourcen knapp sind, wer wird dann behandelt – und wer nicht? Zu dieser schwierigen Moralfrage hat sich nun auch Spahn geäußert. Seine Haltung stößt auf schwere Kritik.
Eine gesetzliche Regelung zur Triage hält Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nicht für nötig, berichtet das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Das gehe aus einer Antwort des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) auf eine Anfrage der Grünen hervor.
Diese Entscheidung stütze sich auf eine gemeinsam erarbeitete Leitlinie ärztlicher Fachgesellschaften und eine Stellungnahme des Deutschen Ethikrates. „Der Staat darf menschliches Leben nicht bewerten, und deshalb auch nicht vorschreiben, welches Leben in einer Konfliktsituation vorrangig zu retten ist“, heißt es dort. Auch ein flächendeckender und katastrophaler Notstand rechtfertige keine Anpassung dieser Handlungsmaxime.
Die Fachgesellschaften schreiben in ihrer Leitlinie zum Thema: „Die Priorisierung von Patienten sollte sich deshalb am Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht orientieren, was nicht eine Entscheidung im Sinne der ‚best choice’ bedeutet, sondern vielmehr den Verzicht auf Behandlung derer, bei denen keine oder nur eine sehr geringe Erfolgsaussicht besteht.“ Das würde bedeuten, dass die Entscheidung über ein Menschenleben direkt in den Händen der behandelnden Ärzte liegt.
Unmittelbar drängt sich die derzeit vieldiskutierte Frage auf, welche Patienten man als Mediziner im Extremfall zu bevorzugen hat. Jedes Menschenleben ist gleich viel wert und das macht die Diskussion über Triage so schwer. Häufig werden die Faktoren Alter und Lebenserwartung in den Raum gestellt und genau so häufig wird diese Herangehensweise kritisiert. Wie sollen Ärzte entscheiden, wenn nicht genügend Beatmungsgeräte für alle Patienten vorhanden sind?
Die Grünen kritisieren die Antwort auf ihre Anfrage an das BMG besonders in Bezug auf die Therapie von Menschen mit Behinderung. „Wenn sich Ärztinnen und Ärzte bei Triage-Entscheidungen an die Empfehlungen der Fachgesellschaften und des Ethikrat hielten, hätten viele behinderte Menschen so gut wie keine Chance auf eine lebenserhaltende Behandlung“, zitiert das RND Corinna Rüffer, Grünen-Sprecherin für Behindertenpolitik.
Dass sich das BMG in seiner Entscheidung auf die Empfehlungen der Fachgesellschaften und des Ethikrats stützt, wird auch vom Forum behinderter Juristinnen und Juristen (FbJJ) kritisiert. Die Richtlinien stehen im Widerspruch mit den Werten des Grundgesetzes, so die Vertreter des FbJJ in einer Stellungnahme. Die Annahme, dass Ärzteverbände Regelungen zur Triage aufstellen dürften, sei falsch. „Stattdessen wäre es am Ethikrat gewesen, den Gesetzgeber an seine Pflicht zu erinnern, im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen Kriterien für die Abwägung aufzustellen und diese für die handelnden Personen im Gesundheitswesen für verbindlich zu erklären“, betonen die Autoren.
Laut Eugen Brysch, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Patientenschutz, ist der Bundesgesundheitsminister gar nicht in der Position, hier Vorgaben zu machen. Spahn dürfe als Abgeordneter keine Regeln für eine Triage aufstellen: „Denn nur das Parlament hat die demokratische Legitimation, ethische Regeln über die Verteilung von Lebenschancen festzulegen“, wird er zitiert. Umso überraschender, dass es bisher bei der schlichten Aussage „Gesetzgeberischer Handlungsbedarf zu diesen medizinischen Fragen besteht nicht“ seitens des BMG geblieben ist.
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