Deutschland sucht die Super-App im Kampf gegen COVID-19. Jetzt hat das Bundesgesundheitsministerium eine erste Entscheidung getroffen.
Über den Einsatz von Apps zur Eindämmung und Kontaktverfolgung bei COVID-19 wird gerade viel diskutiert. Welche die vom Bundesgesundheitsministerium empfohlene App in Deutschland werden soll, war lange unklar.
Jens Spahn richtete ein App-Chaos an, indem er unterschiedliche Apps ins Gespräch brachte. Jetzt soll die Wahl feststehen, wie Medien berichten – Missverständnisse inklusive. Das Rennen soll PEPP-PT gemacht haben. Die Abkürzung steht für Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing. Dabei handelt es sich nicht um eine App, sondern eine Technologie der Initiative PEPP-PT. Nationale Apps sollen an dem von der Initiative entwickelten Softwaregerüst andocken können. Es ist also ein Bausatz für Apps, der auf dem Nachverfolgungsprinzip basiert.
Neben Deutschland haben sich auch Österreich, Frankreich, Italien, Malta, Spanien und die Schweiz verpflichtet, bei der Entwicklung ihrer Corona-Apps auf den Pepp-PT-Bausatz zurückzugreifen. „Damit hätten wir schon mehrere hundert Millionen Anwender. Zudem haben mehr als 40 Länder weltweit ihr Interesse bekundet, mit PEPP-PT zusammenzuarbeiten“, sagt Chris Boos gegenüber Reuters. Er ist Mitgründer von PEPP-PT und gehört dem Digitalrat der Bundesregierung an.
Ein paralleler Einsatz mehrerer unterschiedlicher Apps würde für noch mehr Verwirrung sorgen als ohnehin schon herrscht. Es könnte also sein, dass die Entscheidung für PEPP-PT auch eine Entscheidung gegen die ursprüngliche Idee der Datenspende-App des Robert-Koch-Instituts ist. Bei diesem System setzt man nicht auf die Nachverfolgung von Kontaktpersonen bereits Infizierter, sondern auf Vitaldaten von Fitnesstrackern oder der Smartwatch, die sich bei einer Erkrankung an COVID-19 verändern (wir berichteten). Laut RKI-Präsident Wieler wurden in den USA ähnliche Apps bei Grippewellen erfolgreich eingesetzt.
Systeme, die Services von Google oder Apple in Anspruch nehmen, scheinen vom Tisch zu sein. „Es ist nicht die beste Lösung, wenn Apple und Google die Server besitzen, auf denen alle Kontakte und medizinischen Angaben von Bürgern weltweit hochgeladen werden“, kritisiert Julian Teicke gegenüber Reuters. Er ist Chef des Versicherungs-Startups Wefox und an der Entwicklung einer deutschen PEPP-PT-basierten Anwendung beteiligt.
Das RKI scheint trotzdem weiterhin an der Arbeit am App-Projekt involviert zu sein. „Wir sind bei der Corona-App auf einem guten Weg“, wird der digitalpolitische Sprecher der Unions-Bundestagfraktion Tankred Schipanski in Medienberichten zitiert. Ihm zufolge sei gerade eine PEPP-PT-basierte App in der Entwicklung. Beteiligt seien hier die Fraunhofer Gesellschaft, der Bundesbeauftragte für Datenschutz Ulrich Kelber, die Cybersicherheitsbehörde BSI und das Robert-Koch-Institut.
Beim PEPP-PT-Ansatz setzt man auf die Bluetooth-Technik, mithilfe der Handys von Personen ermittelt werden sollen, mit denen ein Corona-Infizierter Kontakt hatte. Bluethooth muss bei App-Besitzern also immer an sein. Dem Spiegel zufolge ist der Ablauf wie folgt: Auf dem Smartphone wird verschlüsselt eine Liste jener Handys gespeichert, die ebenfalls die App installiert und Bluetooth an haben und mindestens für 15 Minuten weniger als 2 Meter entfernt sind. Im nächsten Schritt diagnostiziert ein Arzt gegebenenfalls einen Nutzer als SARS-CoV-2-positiv. Der Infizierte muss dann in seiner App die Datennutzung freigeben – und die App-Nutzer aus der Liste des Infizierten erhalten eine Nachricht. Sie können sich daraufhin beim Gesundheitsamt melden und eventuell einen Corona-Test durchführen lassen.
Auf diese Weise soll auch eine länderübergreifende Kommunikation der Tracing-Apps möglich sein. Die Daten sollen zentralisiert gespeichert werden. Genau das ist aber ein wesentlicher Kritikpunkt an der Technologie.
Die einen sehen das Potenzial, die anderen die Risiken – insbesondere im Hinblick auf eine Verletzung der Privatssphäre. Die Initiatoren sehen keine Datenschutzprobleme bei ihrem Ansatz – Wissenschaftler hingegen schon. Kürzlich haben weltweit über 300 Experten aus den Bereichen der IT-Sicherheit einen offenen Brief zum Thema veröffentlicht, in dem sie vor der Verwendung von PEPP-PT warnen. Sie bevorzugen das DP-3T-Konzept, bei dem Daten nicht zentral abgespeichert, sondern lediglich auf den Smartphones abgelegt werden.
Auch eine Reihe deutscher Experten hat sich zu diesem Brief geäußert. „Ich halte diesen Brief und sein Anliegen für sehr wichtig. Tracing scheint ein sehr effektives Instrument gegen die Verbreitung von COVID-19 zu sein. Datenschutz und Privatheit sind aber auch elementare Grundrechte und dürfen hierbei nicht vergessen werden“, sagt etwa Prof. Konrad Rieck von der Technischen Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig. Unterschiedliche Einschätzungen in voller Länge findet ihr hier. Zudem veröffentlichte der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA) am Dienstag zwei neue Leitlinien zum Datenschutz während der Corona-Pandemie, die man hier und hier nachlesen kann.
„Wir brauchen eine Lösung vor Mitte Mai, so schnell wie möglich“, sagt etwa Teicke. „Es muss eine einzige Kampagne, eine einzige App geben, weil man ansonsten nicht 50 Millionen Downloads in vier Wochen erreicht.“ Ab wann es in Deutschland tatsächlich eine fertige App zum Installieren auf dem Handy geben wird, ist eine ungeklärte Frage. Wie sehr eine solche App im Kampf gegen das Coronavirus helfen kann, ist die nächste. Für die Bundesregierung kommt ausschließlich eine Nutzung auf freiwilliger Basis in Frage. Letztendlich wird es auch davon abhängen, wie gut über die App informiert wird und wie groß die Bereitschaft, sie zu verwenden, in der Bevölkerung sein wird.
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