Den Mundschutz dekorativ unter das Kinn geschoben sitzt mir die junge, freundlich lächelnde Kassiererin in meinem Lieblings-Supermarkt gegenüber, bzw. ich stehe, sie sitzt.
Einen schönen Kinnschutz haben Sie da, sage ich ihr, während ich meine Einkäufe auf das Band lege.Ja, den müssen wir jetzt tragen, entgegnet sie und tippt routiniert den Preis für meine Croissants ein.Ob es nicht sinnvoller wäre, den über Mund und Nase zu ziehen, frage ich sie mit einem Hauch freundlicher Ironie in der Stimme.Oh, das ginge nicht, sie würde dann Panikattacken bekommen, antwortet sie mit rührendem Ernst.Ich beruhige sie, dass ihr ja nicht wirklich etwas Schlimmes passieren kann, so unter dem Mundschutz.Sie bekäme dann aber Atemnot, meint sie und scannt 2 Gurken ab.Dann könne sie den ja auch ganz weglassen, meine ich und sortiere die Tomaten auf dem Fliessband hinter den Hartkäse.Das ginge nicht, klärt sie mich auf, ihr Chef schreibe im Moment vor, dass alle Kassierer einen Mundschutz tragen müssten.
Ich muss zugeben, dass diese Art des Tragens deutlich weniger anstrengend ist als das Schnaufen durch die FFP-Maske und auch die morgens sorgfältig aufgetragene Make-up-Schicht bleibt so unversehrt. Wenn man dann zum Ausgleich einfach die Luft anhält, ist der protektive Effekt sicher auch vergleichbar.Ganz nebenbei macht ihr Mundschutz, wie ich mir zu meiner Schande eingestehen muss, einen wesentlich besseren Eindruck als meine eigene alte Gurke, wollte sagen FFP-Maske, die ich als Mitglied der Risiko-Gang seit einer guten Woche zum Eigenschutz beim Einkaufen trage und die nach mehreren Tagen des Tragens eigentlich längst das Gnadenbrot verdient hätte: die Innenseite - ehemals strahlend weiss - gleicht durch Make-up-Spuren und verlängerte Tragezeit mittlerweile einer Terracottafliese - und frischer Frühlingsduft geht anders. Insgesamt besitze ich (obwohl zur medizinischen Kaste gehörig) nur 3 FFP-Masken und kann mich daher nur ganz schwer trennen.Ich überlege kurz, in eine Diskussion über Ressourcenschonung von Schutzausrüstung, Vorbildfunktion usw. einzusteigen - noch vor einer Woche hätte ich keine Sekunde gezögert und manch eine Diskussion mit dem Personal in Supermärkten/ Baumarkt und insbesondere auch der angemieteten "Security" im Eingangsbereich hätte bzgl. Blutdruckanhebung locker einen doppelten Espresso i.v. ersetzen können... Dann beschließe ich, es bei dieser freundlichen und irgendwie auch erheiternden Konversation einfach zu belassen. Ein ganz neues Verhaltensmuster für mich! Wäre sie nicht so furchtbar nett gewesen, wäre ich vermutlich wieder in alte Verhaltensmuster gerutscht.Gut gelaunt und mit optimalen eingestellten Puls- und Blutdruckwerten trete ich wieder in den Sonnenschein...