Der Hippocampus gilt als Sitz des Gedächtnisses. Doch nur wenn die Neuronen in dieser Hirnregion in einem bestimmten Rhythmus feuern, prägen sich neue Gedächtnisinhalte ein. Forscher konnten nun zeigen, wie es zu dieser Synchronisierung kommt.
Wenn wir uns neue Dinge merken, arbeiten die Nervenzellen im Hippocampus plötzlich im Gleichtakt. Sie feuern dann bis zu zehn Mal in der Sekunde und erzeugen so ein regelmäßiges Signal, das sich mithilfe der Elektroenzephalographie (EEG) als sogenannter Theta-Rhythmus detektieren lässt. Diese gleichförmigen Schwingungen mit einer Frequenz von rund vier Hertz haben Wissenschaftler nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Ratten, Mäusen, Hasen und anderen Säugetieren beobachtet. Gesteuert wird dieser Mechanismus von einer Region im Vorderhirn: Das mediale Septum dirigiert als eine Art zellulärer Taktstock die für die Gedächtnisbildung notwendigen Vorgänge im Hippocampus. Wie Experimente mit Versuchstieren zeigten, verringert sich die Stärke des Theta-Rhythmus deutlich, wenn das Septum nicht mehr richtig funktioniert. Gleichzeitig versorgt dieses Gehirnareal den Hippocampus auch mit dem Botenstoff Acetylcholin. Dass dieser Neurotransmitter für die Speicherung neuer Gedächtnisinhalte eine wichtige Rolle spielt, ist schon länger bekannt. „Wenn man mit geeigneten Wirkstoffen die Funktion von Acetylcholin blockiert, wird die Gedächtnisfunktion beeinträchtigt“, sagt Holger Dannenberg von der Klinik für Epileptologie der Universität Bonn. Auch können Inhibitoren des Enzyms Acetylcholinesterase, die den Abbau des Botenstoffs verlangsamen, die kognitiven Fähigkeiten von Patienten mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz in sehr geringem Umfang verbessern.
Allerdings war bisher unklar, wie die Acetylcholin-Ausschüttung mit der Taktgeber-Funktion des Septums zusammenhängt. Dannenberg und weitere Forscher der Universität Bonn haben diese Frage nun mithilfe eines Tiermodells geklärt. Wie sie in einem Artikel [Paywall] im Journal of Neuroscience mitteilen, sorgt erst das Wechselspiel von Acetylcholin ausschüttenden Nervenzellen und speziellen Taktgeberzellen im Septum dafür, dass die Nervenzellen im Hippocampus von Mäusen synchronisiert werden. Im Septum gibt es verschiedene Nervenzelltypen, von denen die Bonner Forscher zwei näher in Augenschein nahmen: cholinerge und GABAerge Nervenzellen, die jeweils die Botenstoffe Acetylcholin und GABA ausschütten. Die Nervenzellen dieser beiden Subtypen sind miteinander vernetzt, bilden aber auch Verbindungen in den Hippocampus aus. Dannenberg und seine Kollegen wollten herausfinden, ob die beiden Subtypen gleichrangig agieren oder eine der beiden die Führung übernimmt, damit im Hippocampus die Synchronisierung der Neuronen stattfindet. Um diese Prozesse im Detail untersuchen zu können, bedienten sich die Forscher einer Technik, die erst vor wenigen Jahren entwickelt wurde. Die Optogenetik verknüpft die Gentechnik mit Methoden der Optik und gestattet es, einzelne Zelltypen in einer bestimmten Gehirnregion getrennt voneinander zu beeinflussen. Mit ihrer Hilfe gelang es dem Forscherteam, die Bauanleitung eines lichtempfindlichen Proteins in das Erbgut der Acetylcholin ausschüttenden Nervenzellen zu schleusen und diese durch die Bestrahlung mit Licht gezielt zu stimulieren.
Für solche Experimente ist allerdings viel Fingerfertigkeit notwendig: Nachdem die Forscher die transgenen Mäusen mit Urethan narkotisiert hatten, mussten sie ein feines fiberoptisches Kabel ins winzigkleine Septum der Tiere einführen. Zusätzlich entfernten sie den betäubten Mäusen ein kleines Stück des Schädelknochens und setzten einen nur 15 Mikrometer dicken Chip vorsichtig in den Hippocampus. Er enthält 32 Elektroden, mit deren Hilfe man das Feuerverhalten der verschiedenen hippocampalen Neuronen bestimmen kann. Als die Forscher die cholinergen Nervenzellen im Septum der Versuchstiere mit Licht bestrahlten und dadurch aktivierten, ließ sich im Hippocampus der für die Gedächtnisbildung typische Theta-Rhythmus detektieren. Die Prinzipalzellen im Hippocampus feuerten nach der Stimulierung weniger, im Gegensatz zu den hemmenden Interneuronen, deren Feuerungsrate sich erhöhte; beide Subtypen taten dies im Rhythmus der Theta-Wellen.
Um herauszufinden, inwieweit die GABAergen Nervenzellen an diesen Prozessen beteiligt waren, wiederholten die Forscher das Experiment, injizierten diesmal aber zusätzlich das Alkaloid Atropin über eine feine Nadel in das Septum der Mäuse. Die Gabe von Atropin, welches das Wechselspiel zwischen cholinergen und GABAergen Nervenzellen unterbindet, führte zum Verschwinden der Theta-Wellen. Zwar zeigten die Neuronen im Hippocampus immer noch ein ähnliches Feuerungsverhalten wie im ersten Experiment, aber ohne einen strukturierten Rhythmus. „Die cholinergen Nervenzellen vermitteln, wie stark die Nervenzellen des Hippocampus feuern, aber für deren Synchronisierung im Theta-Rhythmus ist die Mitwirkung der GABAergen Nervenzellen erforderlich“, sagt Dannenberg. „Zusammen bewirken diese beiden Effekte, dass die Gedächtniszellen im Hippocampus sehr präzise und synchron ihre Aufgabe verrichten.“ Wahrscheinlich, so der Forscher, sei der Gleichtakt der Nervenzellen wichtig, um die verschiedenen Gedächtnisfunktionen wie Merken und Erinnern zeitlich zu koordinieren.
Bei anderen Experten stößt die Studie von Dannenberg und seinen Kollegen auf Zustimmung: „Die Forscher haben auf überzeugende Weise dargelegt, dass cholinerge Nervenzellen den Prozess der Gedächtnisbildung im Hippocampus zwar einleiten, jedoch die GABAergen Nervenzellen des Septums unverzichtbar sind, damit sich der Theta-Rhythmus im Hippocampus überhaupt manifestieren kann“, sagt Uwe Heinemann, Seniorprofessor im Exzellenzcluster NeuroCure der Berliner Charité. „Denn aus neuen Informationen kann der Hippocampus Gedächtnisspuren nur bilden, wenn möglichst viele Nervenzellen im Gleichtakt zusammen arbeiten.“ Die Veröffentlichung der Bonner Arbeitsgruppe stellt auch die Ergebnisse eines anderes Forscherteams auf eine breitere Basis: Die Wissenschaftler um György Buzsáki hatten bereits Ende vergangenen Jahres in einem Artikel in der Fachzeitschrift PNAS berichtet, dass die Stimulierung der cholinergen Nervenzellen die Theta-Wellen im Hippocampus verstärkt, ohne jedoch die Rolle der GABAergen Nervenzellen genauer zu betrachten. Buzsáki und seine Mitarbeiter führten ihre Experimente nicht nur an betäubten Mäusen, sondern auch an wachen Tieren durch. Dabei stellten sie fest, dass bei narkotisierten Mäusen die Effekte etwas schwächer ausfielen. Dannenberg wundert das nicht: „Im wachen Zustand sind die Neuronen im Hippocampus schon etwas aktiviert, wenn sie dann zusätzlich stimuliert werden, fällt die Veränderung der Feuerungsraten natürlich kleiner aus.“
Ob sich die Ergebnisse der beiden Arbeitsgruppen auch auf den Menschen übertragen lassen, ist noch unklar. Zwar gibt es auch beim Menschen vergleichbare anatomischen Verbindungen zwischen Septum und Hippocampus sowie ein ähnliches Aktivitätsmuster der Theta-Wellen bei der Gedächtnisbildung, doch die Technik der Optogenetik ist bei Weitem noch nicht ausgereift, um mit ihrer Hilfe einzelne Nervenzellarten in ausgewiesenen Arealen des menschlichen Gehirns gezielt zu analysieren. Frühere Studien haben bereits gezeigt, dass Versuchspersonen sich Wortpaare schlechter merken konnten, wenn sie einen Hemmer eingenommen hatten, der die Andockstellen von Acetylcholin blockierte. Bedingt durch die systematische Gabe des Wirkstoffs lässt sich auf diese Weise jedoch weder das Areal im Gehirn genau lokalisieren, wo Acetylcholin ausschüttende Nervenzellen ihre Rolle bei der Gedächtnisbildung spielen, noch bestimmen, mit welchen anderen Nervenzelltypen sie dabei in Wechselwirkung treten. Substanzen dagegen, die die Aktivität der cholinergen Nervenzellen erhöhen, verstärken wahrscheinlich nicht die Gedächtnisleistung bei gesunden Personen: „An der Gedächtnisbildung sind neben Acetylcholin noch andere Neuromodulatoren beteiligt“, sagt Heinemann. „Das Wechselspiel zwischen diesen Faktoren ist noch wenig verstanden.“ Eine permanente Erhöhung von Acetylcholin, so der Forscher, würde vermutlich eher die Gedächtnisbildung durcheinander bringen, als sie zu verbessern. Originalpublikation: Synergy of direct and indirect cholinergic septo-hippocampal pathways coordinates firing in hippocampal networks [Paywall] H. Dannenberg et al.; J Neurosci., doi: 10.1523/JNEUROSCI.4460-14.2015; 2015