Die chinesische Regierung propagiert ganz offen die traditionelle chinesische Medizin als wirksame Therapie bei COVID-19. Jeder Widerstand ist zwecklos.
In den letzten Wochen hat DocCheck viel über Wirkstoffe zur Therapie von COVID-19 berichtet. Es ging um Chloroquin, um Remdesivir – und darum, dass gerade jetzt viele methodisch schlechte Studien veröffentlicht werden. Manchmal ist die Studie statistisch zu schwach, machmal fehlt auch der ganze Placebo-Arm. Forscher diskutieren über Papers, und das ist gut so, denn Studien sind zu hinterfragen. Das sieht man in China anders.
Laut einem Bericht in Nature drängen hochrangige Regierungsbeamte und staatlich kontrollierte Medien darauf, Arzneimittel der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) bei COVID-19 einzusetzen. Die Branche macht einen Umsatz von mehreren Milliarden US-Dollar pro Jahr und erhält aggressive Unterstützung aus höchsten Kreisen: nicht nur materiell, sondern auch intellektuell.
Achtung – Aluhut auspacken, jetzt wird es schwurbelig: Laut TCM ist das sogenannte Qi die generelle Lebensenergie oder die Energie des Spirituellen. Professor Zhang Boli, er gehörte zu Chinas Corona-Task-Force, sagte, schwere Fälle könnten auf eine „schädliche Feuchtigkeit“ zurückgeführt werden, die dazu führe, „dass das Qi stagniert“. Kritik an solchen O-Tönen ist nicht erwünscht. Konträre Stimmen haben es in China ohnehin schwer.
Selbst die WHO spielt hier eine zwielichtige Rolle. Das sie sich nicht immer neutral verhält, kann hier nachgelesen werden. In den ersten Monaten des Ausbruchs hat die Agentur TCM-Drogen als „nicht wirksam gegen COVID-2019“ eingestuft und ergänzt, diese „können schädlich sein“. Der Text ist mittlerweile verschwunden, lässt sich über Web-Archive jedoch nachlesen. Ein Schelm, der Schlechtes dabei denkt.
Dass – wie chinesische Medien behaupten – die TCM-Forschung auf Hochtouren läuft, mag stimmen. Methodisch erinnert aber vieles eher an Miraculix' Zaubertrank und an geheime, gut verschlossene Rezeptur-Bücher.
Dazu werfe ich beispielhaft einen Blick in das chinesische Register für klinische Studien. „A real world study for traditional Chinese Medicine in the treatment of novel coronavirus pneumonia (COVID-19)“ klingt vielversprechend. Umso enttäuschender ist der Text. Schon die Einschlusskriterien sind schwach. Patienten mit klinischen Anzeichen bzw. epidemiologischen Hinweisen werden rekrutiert. Systematische PCR-Tests sucht man vergebens. Und bei „Intervention“ heißt es lapidar „Traditional Chinese Medicine“. Bei Beobachtungsstudien gibt es keine Placebogruppe, aber selbst die Therapie bleibt geheim.
Nicht besser sieht es bei Ergebnissen aus. Über PubMed findet man etwa das Paper „Treatment efficacy analysis of traditional Chinese medicine for novel coronavirus pneumonia (COVID-19): an empirical study from Wuhan, Hubei Province, China.“ Die Ergebnisse sind völlig unbrauchbar. Wieder handelt es sich um eine reine Beobachtungsstudie. Es werden Zahlen genannt, die ohne Placeboarm oder zumindest ohne historische Kontrollen mit ähnlicher Schwere keinerlei Aussagekraft haben.
Nun könnte man ja immer noch in biblischer Tradition argumentieren: „Der Glaube hat ihm geholfen“, modern eher Placebo-Effekt genannt. Das mag auf die Homöopathie zutreffen: Nichts hoch 30 ist immer noch nichts. Bei der TCH ist die Sache aber gefährlicher.
Es geht schließlich um konzentrierte Extrakte diverser Kräuter oder Pilze. Staatliche Medien Chinas nennen gleich sechs verschiedene TCM-Therapien, die bei COVID-19 helfen sollen. Enthalten die TCM-Drogen Ephedrin-Derivate, Pyrrolizidinalkaloide oder andere sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, ist der Schaden schnell da – vor allem beim geschwächten Körper eines COVID-19-Patienten.
Schlimm genug, dass China wenig von der evidenzbasierten Medizin und noch weniger von der Meinungsfreiheit hält. Es geht aber um mehr: Ein paar Klicks reichen aus und dubiose Kräutermischungen landen im Briefkasten. Was drin steckt und ob es gefährlich sein könnte, hinterfragen wohl die wenigsten Käufer.
Bildquelle: Bundo Kim, unsplash