Tuberkulose-Patienten warten derzeit noch wochenlang, bis ihre Krankheit endgültig diagnostiziert ist. Ein neues genombasiertes Verfahren spürt den Erreger und seine Resistenzen binnen weniger Tage auf. Für einen breiten Einsatz muss die Handhabung aber noch vereinfacht werden.
Tuberkulose gehört neben Aids und Malaria weltweit immer noch zu den häufigsten Infektionskrankheiten. Pro Jahr erkranken rund neun Millionen Menschen an dieser bakteriellen Erkrankung, eineinhalb Millionen sterben daran – fast immer in den ärmeren Länder und Regionen dieser Welt. In den reicheren Industriestaaten bleibt die Zahl der Neuerkrankungen dagegen gering. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts wurden 2013 in Deutschland 4.318 Tuberkulose-Fälle gemeldet. Die Behandlung der Krankheit ist langwierig und gestaltet sich aufgrund der zunehmenden Häufigkeit von multiresistenten Erregern immer schwieriger. Nun hat ein internationales Forscherteam ein neues Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe sich nicht nur voraussagen lässt, gegen welche Antibiotika Resistenzen bestehen, sondern auch welche dieser Arzneien gegen den jeweiligen Tuberkulose-Erreger wirksam sind. Wie die Wissenschaftler um Stefan Niemann in einem Artikel im Fachmagazin The Lancet Infectious Diseases berichten, basiert der Test auf der Bestimmung der Genomsequenz von rund 3.650 Tuberkulose-Stämmen. Das Erbgut des Tuberkulose-Erregers umfasst rund 4,5 Millionen Nukleotide und lässt sich dank moderner Geräte binnen weniger Tage sequenzieren.
Bisher isolierten Forscher den Auslöser der Tuberkulose meist aus dem Sputum der Patienten und mussten ihn mit speziellen Kulturverfahren anzüchten, um die Krankheit nachzuweisen und mögliche Resistenzen gegen Antibiotika zu ermitteln. „Bis ein Ergebnis vorliegt, vergehen bis zu sechs Wochen – wertvolle Zeit, die häufig eine effektive Behandlung der Patienten verzögert“, sagt Niemann, stellvertretender Direktor des Programmbereichs Infektionen am Forschungszentrum Borstel. Tuberkulose-Patienten erhalten zurzeit im Rahmen der Standardtherapie über einen Zeitraum von zwei Monaten eine Kombination der Antibiotika Isoniazid, Rifampicin, Ethambutol und Pyrazinamid. Anschließend wird die Behandlung für weitere vier Monate mit Isoniazid und Rifampicin fortgesetzt. Weist die diagnostische Analyse mögliche Resistenzen gegen eines oder mehrere dieser Medikamenten nach, stehen eine Handvoll weiterer Reserve-Antibiotika zur Verfügung, die allerdings in der Regel weniger wirksam und mit mehr Nebenwirkungen verbunden sind.
Gerade bei multiresistenten Erregern ist es nicht einfach, die richtige Kombination von Antibiotika zu treffen. Deshalb wollen die Forscher um Niemann einen Schritt weitergehen und mithilfe ihres neuen Verfahrens therapeutische Hinweise geben, welche Kombination von Antibiotika sich zur Behandlung eines bestimmten Erregers eignet. Dafür bestimmten sie im Rahmen ihrer Studien die Genomsequenz von 3.651 verschiedenen Tuberkulose-Erregern, die aus Deutschland, Großbritannien, Sierra Leone, Südafrika und Usbekistan stammten und von denen bekannt war, gegen welche Antibiotika schon Resistenzen aufgetreten waren. Bei der Sequenzierung wurden alle Veränderungen und Abweichungen im Erbguts jedes einzelnen dieser Tuberkulose-Stämme erfasst. Allerdings ist es keine einfache Sache, die so gefundenen Mutationen bestimmten Resistenzen zu zuordnen. Deshalb konzentrierte sich das Team um Niemann auf 23 Kandidaten-Gene, von denen schon vorher jeweils mindestens eine Resistenz verursachende Mutation beschrieben worden war. Mit Computerhilfe und einem speziellen Algorithmus analysierten die Forscher bei 2.099 Tuberkulose-Stämmen alle in diesen Kandidaten-Gene vorkommenden Mutationen und stuften diese entweder als Resistenz verursachend oder nicht ein.
Die so charakterisierten Mutationen sagten bei 89,2 Prozent der anderen 1.552 Tuberkulose-Stämme richtig voraus, ob diese Stämme empfindlich auf Antibiotika reagieren oder nicht. Dabei betrugen die über alle Antibiotika-Resistenzvarianten gemittelten Werte für die Sensitivität 92,3 Prozent und die Spezifität 98,4 Prozent. Da 10,8 Prozent der Stämme aus der Testreihe sich einer richtigen Vorhersage entzogen, nehmen die Forscher an, dass im Erbgut des Tuberkulose-Erregers noch weitere Gene stecken, deren Veränderung zu einer Resistenz gegen Antibiotika führen kann. Die in der Studie neu gefundenen Resistenzvarianten sollen Teil einer zukünftigen Datenbank werden, die Auskunft über alle validierten Resistenzvarianten gibt und auf die alle Forscher Zugriff haben sollen. „Wir können so eine Art Lexikon für Mutationen im Erbgut der Tuberkulose-Erreger erstellen“, sagt Niemann. „Findet man Veränderungen im genetischen Code eines Erregers, sind bestimmte Antibiotika nicht mehr wirksam und sollten daher nicht für die Therapie verwendet werden.“ Die Ergebnisse der bioinformatische Analyse, so der Forscher, seien sehr beeindruckend und bedeuteten einen enormen Fortschritt, insbesondere für die Behandlung von multiresistenten Erregern. Die Genomanalyse lasse sich erheblich einfacher durchführen und werde kostengünstiger als konventionelle Verfahren sein. Auch andere Experten teilen diese Meinung: „Die Untersuchung von Niemann und seinen Kollegen ist wegweisend in der Tuberkulose-Diagnostik“, sagt Katharina Kranzer, neue Leiterin des Nationalen Referenzzentrums für Mykobakterien in Borstel. „Das neue Verfahren könnte nicht nur die Diagnose des Erregers beschleunigen, sondern auch die phänotypische Resistenzbestimmung in der Kultur ergänzen, da diese bei einigen Antibiotika auch fehleranfällig ist.“
Bis die Methode im praktischen Arbeitsalltag von Ärzten Einzug hält, wird jedoch noch etwas Zeit vergehen: Denn noch muss der Erreger aus den klinischen Proben kurz angezüchtet werden, um eine ausreichende Menge für die Erbgutanalyse zu haben. „Wir sind gerade dabei, die Methode so weiterzuentwickeln, dass sich das Genom des Tuberkulose-Erregers ohne eine Kultivierung direkt aus der Probe sequenzieren lässt. Dann wäre die neue Diagnostik nicht nur für große Referenzlabors geeignet, sondern könnte auch dichter am Patienten eingesetzt werden“, berichtet Niemann. „Zusätzlich müssen noch klinische Studien stattfinden, die zeigen, dass die genombasierte Methode auch in der Klinik zum Nutzen der Patienten eingesetzt werden kann.“ Sind diese Studien erfolgreich, könnte das genombasierte Verfahren von Niemann und seinen Kollegen in Konkurrenz zu anderen molekularbiologischen Tests treten, mit denen man klinische Proben ohne den Zwischenschritt der Kultivierung rasch untersuchen kann. Sie sind seit wenigen Jahren auf dem Markt und werden insbesondere in Ländern eingesetzt, wo keine guten Möglichkeiten vorhanden sind, um die Tuberkulose-Erreger im Labor zu kultivieren. Zum Beispiel wird in Südafrika das automatisierte GeneXpert-Testsystem der Firma Cepheid in der Diagnose von Tuberkulose angewendet – mit seiner Hilfe gelingt es nicht nur, den Erreger binnen zwei Stunden nachzuweisen, sondern auch, ob dieser gegen Rifampicin resistent ist oder nicht.
Doch auch dieses Verfahren hat Nachteile: „Die Sensitivität ist relativ hoch, dennoch können durch den Test Patienten übersehen werden“, erklärt Kranzer. „Auch kann der GeneXpert Resistenzen gegen Isoniazid nicht erkennen, die in vielen Ländern mit einer Häufigkeit von mehr als zehn Prozent vorkommen. Cepheid plant eine verbesserte Version des Diagnosegeräts, die unter anderem über eine erhöhte Sensitivität verfügen soll.