Mit einer Analyse von zehn Millionen aktiven Genen aus Zahntaschen wurde die Bakterienzusammensetzung bei Parodontitis erforscht. Besonders auffällig: Ein orales Bakterium produziert nicht nur bei Entzündungen giftige Buttersäure, sondern auch bei gesunden Zähnen.
Im Endstadium führt die Parodontitis zu Zahnverlust und erhöht zudem das Risiko für Herzschlag, Rheuma, Fehlgeburten, Autoimmunkrankheiten und andere systemische Krankheiten. Um genau zu verstehen, wie eine Parodontitis entsteht, muss man die Aktivität des Biofilms, der sie verursacht, genau analysieren. „Bei den Mikroorganismen handelt es sich sowohl um gut untersuchte Pathogene, als auch um solche, die bisher als Begleitflora betrachtet wurden und als harmlos galten“, sagt Prof. Irene Wagner-Döbler, Leiterin der Arbeitsgruppe Mikrobielle Kommunikation am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig.
Sie und ihre Kollegen haben eine Metatranskriptionsanalyse durchgeführt. Dabei sequenzierten sie die Messenger-RNA sämtlicher aktiver Gene aller Bakterienarten der Periodontaltasche. Diese rund zehn Millionen aktiven Gene wurden anschließend mit bioinformatischen Methoden analysiert. „Entscheidend war dabei, dass wir die Genexpression in Bakteriengemeinschaften von Menschen mit Parodontitis mit derjenigen von gesunden Probanden verglichen haben“, sagt Wagner-Döbler. Dadurch konnten die Wissenschaftler zeigen, dass ein typischer Bewohner der Zahntasche, das Bakterium Prevotella nigrescens, seine Rolle verändert, je nachdem ob eine Paradontitis vorliegt oder nicht. „Sobald eine Parodontitis vorliegt, verwandelt sich das normalerweise harmlose P. nigrescens in ein sogenanntes „accessory pathogen“ und greift den Wirt an, genau wie die bereits bekannten Pathogene“, sagt Wagner-Döbler. Die Erkrankung wird dadurch weiter verschlimmert und lässt sich schwerer bekämpfen. „Ging man bisher davon aus, dass man nur die Leitkeime der Infektion ausschalten muss, um die Krankheit zu besiegen, so deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass das nicht ausreichend sein wird“, sagt Wagner-Döbler.
Eine weitere neue Erkenntnis betrifft die Rolle des oralen Bakteriums Fusobacterium nucleatum, das häufig in Zahntaschen vorkommt. Man hatte vermutet, dass F. nucleatum in einer entzündeten Zahntasche giftige Buttersäure produziert und dadurch zur Parodontitis beiträgt. Die Analyse der Genexpression zeigte aber, dass F. nucleatum immer Buttersäure produziert, bei Gesunden ebenso wie bei Kranken. Bei Kranken tragen allerdings noch eine Reihe anderer Bakterienarten zur Butyratproduktion bei und diese Bakterienart nutzt noch weitere biochemische Stoffwechselwege dafür. „Auch an diesem wichtigen Prozess sind unseren Ergebnissen zufolge gleich eine ganze Reihe von Bakterien beteiligt, die bisher nicht damit in Verbindung standen“, sagt Wagner-Döbler. Nach der Entnahme der Probe aus der Zahntasche wurde eine Illumina-Sequenzierung (Mitte oben) vorgenommen. Darunter sehen Sie ein Treponema, einer der gefährlichsten Erreger in der Zahntasche. Im Bild rechts sind die metabolischen Netzwerke dargestellt, die aus dem Metatranskriptom teilweise rekonstruiert werden konnten. © HZI / Wagner-Döbler Darüber hinaus gelang es den Forschern, Biomarker für Parodontitis zu identifizieren. „Wir haben drei Gene gefunden, die regelmäßig eine besonders hohe Genexpression zeigten, wenn Patienten an Parodontitis erkrankt waren“, sagt Wagner-Döbler. Diese drei Biomarker könnten nun in einer großen Patienten-Kohorte validiert werden und im Endeffekt ermöglichen, Parodontitis in einem frühen Stadium zu diagnostizieren, sodass eine Therapie sehr viel erfolgreicher wird. Die Forscher haben also zu einem grundsätzlich neuen Verständnis einer polymikrobiellen Biofilmerkrankung beigetragen und einen wesentlichen Schritt hin zu einer früheren Diagnose gemacht. Originalpublikation: Functional biomarkers for chronic periodontitis and insights into the roles of Prevotella nigrescens and Fusobacterium nucleatum; a metatranscriptome analysis Szymon P Szafrańsk et al.; Biofilms and Microbiomes, doi: doi:10.1038/npjbiofilms.2015.17; 2015