Das Produkt Vetigel® soll Blutungen in Minutenschnelle stoppen. Nach klinischen Daten suchen Ärzte aber vergebens. Und so bleibt es momentan bei veterinärmedizinischen Anwendungen. Armee-Labors verfolgen parallel eigene Ideen – und sind schon deutlich weiter.
Egal, ob am Arbeitsplatz, im Straßenverkehr oder im Kampfeinsatz: Bei größeren Blutungen droht aufgrund des Volumenverlusts ein hämorrhagischer Schock. Bei starken Verletzungen der Extremitäten bleiben Druckverbände oder Abdrücken. Innere Traumata lassen sich vor Ort kaum beherrschen. Im OP stehen Ärzten Gefäßklemmen, Fibrinkleber oder Elektrokauter zur Verfügung. Je schwerer das nächste Krankenhaus respektive Lazarett erreichbar ist, desto größer ist auch die Mortalität. Deshalb suchen Forscher schon lange nach Möglichkeiten, um Patienten direkt auf der Straße zu versorgen.
Die neueste Errungenschaft: Medien berichten mit großer Euphorie über Joe Landolina (22). Er hat bereits als 17-Jähriger im Labor seines Großvaters mit Algenextrakten experimentiert und bei zwei Innovationswettbewerben insgesamt 5.000 US-Dollar abgeräumt: eine vergleichsweise geringe Basis für Forschungsprojekte. Trotzdem gelang es ihm, Vetigel® zu entwickeln. Sein Präparat ahme die natürliche Wundheilung nach, schreibt Landolina als neuer CEO von Suneris. Spritzt man das viskose Gel auf Läsionen, bildet sich sofort ein dichtes Netz aus Polysacchariden pflanzlicher Herkunft über der Wunde. Die Blutung wird gestoppt. An dieser Struktur sollen später Fibrinoblasten weitere Aufbauarbeit leisten, wie aus der klassischen Wundheilung bekannt ist. Auch dieser Prozess soll laut Suneris beschleunigt werden; Beweise für ihre Hypothese bleiben die Wissenschaftler aber schuldig. Zusammen mit seinen Kollegen hofft Joe Landolina auf Einsatzmöglichkeiten in Krisenregionen oder bei Unfällen, um Patienten bis zur chirurgischen Versorgung am Leben zu halten.
Die Story hat alle Motive eines typisch amerikanischen Traums. Hinsichtlich belegbarer Fakten sieht es gleich viel schlechter aus. In PubMed oder ähnlichen Datenbanken tauchen keine Veröffentlichungen zu Vetigel® auf. Auch der Entwickler Joe Landolina wird nicht erwähnt. Registrierte Studien auf ClinicalTrials.gov? Fehlanzeige! Die US Food and Drug Administration (FDA) hat keine weiteren Informationen. Und nun? Landolina vermarktet sein Produkt ausschließlich für veterinärmedizinische Anwendungen, was mit deutlich geringeren Hürden verbunden ist. Pro Anwendung werden rund 30 US-Dollar fällig. Ob Patienten nicht nur Hund und Katze, sondern sich selbst behandeln, liegt in ihrem eigenen Ermessen. DocCheck hat bei Suneris nachgefragt, inwieweit klinische Daten zur Wirkung, aber auch zu unerwünschten Effekten vorliegen. Eine Antwort hat die Firma bis zur Veröffentlichung des Beitrags nicht gegeben. Erstaunlich wortkarg zeigt man sich auch bei Postings der Community. Gegenüber US-Medien äußert sich Joe Landolina, FDA-Vertreter würden ihm bereits 2016 die Erlaubnis für Tests an Menschen erteilen. Ob oder wann man mit einer Zulassung rechnen kann, steht in den Sternen. Zwischenzeitlich demonstriert er über Youtube, wie sich Steaks vor der Verblutung retten lassen.
Einmal mehr zeigt sich, dass gerade im Bereich der Notfallmedizin militäreigene Forschungseinrichtungen die Marschrichtung vorgeben. Vielleicht hat Joe Landolina tatsächlich ohne millionenschweres Budget der Armee ein neues Prinzip entdeckt. Warten wir auf Studiendaten.