Derzeit machen mich viele Leute wahnsinnig – in und außerhalb der Apotheke. Da sind zum Beispiel Ärzte und Apotheker, die nicht an das Coronavirus glauben. Oder Kunden, die unmaskiert hinter meine Plexiglasscheibe gucken.
Was zur Zeit abgeht, ist nicht mehr normal. Auf der einen Seite sterben haufenweise Menschen an COVID-19, auf der anderen Seite gibt es Menschen, die der Meinung sind, das Virus würde gar nicht existieren oder sei ungefährlich und alle Maßnahmen seien sowieso übertrieben. Leider gibt es auch Ärzte und Apotheker, die diese Meinung vertreten, sodass manche deren unsinnigen Aussagen für bare Münze nehmen könnten. Wenn es ein Arzt oder ein Apotheker sagt, dann muss es ja stimmen. Nicht unbedingt.
Bisher beklagen wir weltweit offiziell 315.000 Tote durch SARS-CoV-2. Alleine in Deutschland sind es knapp 7.900 Tote (Stand: 18.05.2020).
Bedacht werden muss, dass jeder als Corona-Toter gezählt wird, der infiziert war, unabhängig davon, ob er an dem Virus verstarb oder nicht und ebenso, dass viele, die zwar an COVID-19 gestorben sind, nie auf das Virus getestet wurden. Das heißt, dass die Zahlen theoretisch niedriger sein könnten, genauso gut aber auch höher. Das RKI geht jedoch von Letzterem aus. Wer genauer dazu nachlesen möchte, kann das hier tun.
Fakt ist in jedem Fall, dass Menschen an SARS-CoV-2 sterben. Warum manche dann behaupten, dass es das Virus gar nicht geben würde, entbehrt jeglicher Logik. Ich hatte ja schon im letzten Artikel von meiner USK (Ultra-Schwurbel-Kollegin) erzählt, die nun der Meinung ist, das Virus existiere gar nicht. Sie ist Apothekerin und ich bin geschockt.
Mittlerweile halten sich die meisten an die Maskenpflicht im Einzelhandel und tragen mindestens einen Schal um Mund (und Nase), wenn sie die Apotheke betreten. Die, die das nicht machen, fragen in den meisten Fällen, ob sie eine Maske erwerben können, da sie ihre zu Hause vergessen haben oder ihnen die Maske gerade kaputt gegangen ist.
Ein Herr, der sich brav bei uns in der Schlange anstellte, brauchte keine Maske, da er ja schließlich kerngesund sei. Dass er das gar nicht wissen und andere anstecken könnte, schien er nicht kapiert zu haben. Die anderen Kunden allerdings schon.
Einen Tag später kam ein Pärchen in die Apotheke. Beide trugen keine Maske. Der Mann streckte sein unmaskiertes Gesicht an meiner Plexiglasscheibe vorbei und fragte, was wir für Masken hätten.
Sofort bat ich ihn mit seinem Kopf doch bitte wieder hinter die Scheibe zu gehen. Wir haben die Dinger ja nicht zum Spaß da. Widerwillig war er bereit, einen Schritt zur Seite zu machen und sich hinter die Scheibe zu stellen. Ich fragte ihn also, welche Maske er haben wolle, den normalen Mund-Nasen-Schutz, um andere zu schützen, oder eine FFP2-Maske, mit der er auch sich selbst schützen könnte. Er antwortete in unfreundlichem Ton, dass er niemanden schützen müsse, das Coronavirus wäre ungefährlich und sowieso alles übertrieben und unsinnig. Wow. Okay. Ein Experte.
Nun noch genervter von ihm fragte ich, was das für eine unsinnige Aussage sei. Er blaffte zurück, dies sei die Aussage eines Arztes. Seine Aussage. Er sei Arzt. Aha. Okay. Den Eindruck hinterließ er nicht unbedingt. Als er die Masken bezahlte, sah ich in seinem Portemonnaie einen Arztausweis. Es schien also zu stimmen. Leider wollte er nichts rezeptpflichtiges kaufen, sodass ich keinen Blick auf seinen Namen werfen konnte, um ihn googlen zu können.
Wie stehen wohl die Quoten dafür, dass er ein homöopathisch arbeitender Arzt ist und wie dafür, dass er auch noch ein Impfgegner ist?
Die Diskussion ging leider noch eine Weile, er meinte, ich solle doch mal die Daten des RKI richtig interpretieren und die Grippe wäre eh viel gefährlicher. Und sein Auto größer als meines (okay, Letzteres hat er überraschenderweise nicht gesagt).
2017/2018 seien in Deutschland über 25.000 Menschen an Influenza gestorben und da habe man auch keine Masken getragen, deshalb mache es keinen Sinn, jetzt welche zu tragen. So lautete seine Schlussfolgerung. Ich erwiderte, dass man zu der Zeit mit Sicherheit weniger Tote gehabt hätte, wenn man auch damals Masken getragen hätte. Darauf ging er nicht mehr ein, sondern raus. War mir recht. Bye.
Wenn ich durch das Tragen von Masken Menschenleben retten kann, warum sollte ich mich weigern? Weil es gegen meine Grundrechte verstößt, wenn man mich dazu verpflichtet, Menschenleben zu retten?
Anfang der Woche hatten wir Besuch von einer netten Pharmavertreterin, die vorbildlich mit Mund-Nasen-Schutz im Gesicht die Apotheke betrat. Da wir hinter der Plexiglasscheibe keine Masken tragen (was auch nicht unbedingt klug ist, ich erwähnte es an anderer Stelle), meinte ich zu unserer PKA, die mit ihr die Bestellungen durchgehen sollte, dass auch sie nun eine tragen müsse, damit auch die Frau geschützt sei. Doch Frau Pharmavertreterin sah das nicht so ernst und setzte stattdessen lieber ihre Maske ab. Cool. Die beiden Damen unterhielten sich dann eine halbe Stunde lang und hielten auch keinen Abstand.
Mit Sicherheit wird sie auch in den anderen Apotheken keine Maske tragen. So kann sie das Virus schön von Apotheke zu Apotheke tragen und wir alle schließen, wenn wir infiziert sind.
#Superspreader
Was ich für wirklich problematisch halte, sind die Lockerungen. Aus wirtschaftlicher Sicht sind diese natürlich absolut verständlich, aber das wird Menschenleben kosten. Vor allem, weil viele Menschen der Meinung sind, dass die Lockerungen nur deshalb stattfänden, weil die Pandemie sich jetzt dem Ende zuneige. There is no glory in prevention.
Man merkt momentan auch ganz deutlich, dass die Menschen die ganzen Beschränkungen hinsichtlich Freunden und Verwandten nicht mehr aushalten und anfangen, sich wieder wie in der Vorcoronazeit zu verhalten. Selbst eine Ärztin erzählte mir, dass sie jetzt wieder ihre Mutter besuchen würde, da sie sich seit Monaten nicht mehr gesehen hätten. Ich verstehe das. Nur, falls sie durch ihren Besuch ihre Mutter infizieren sollte, wird sie sich bis an ihr Lebensende Vorwürfe machen, wenn sie dadurch ihre Mutter verliert. Es ist schwierig.
Wenn ich an die Demos denke, wird mir ganz anders. Tausende demonstrierten am 09. Mai in Stuttgart gegen die Beschränkungen der Grundrechte und die Maßnahmen gegen das Coronavirus. Der Grund für die Maskenpflicht sei, damit „das Volk das Maul hält“, schimpft ein Teilnehmer. Und Antonia glaubt auch nicht, dass die Masken uns schützen können und außerdem lächelt sie so gerne die Menschen an, wenn sie bei Lidl an der Kasse arbeitet. Und die sehen das halt jetzt nicht mehr. Mist.
Plötzlich ist jeder nach ein paar YouTube-Videos Virologe oder sonst ein Experte und weiß alles besser, als die, die studiert und jahrelange Praxiserfahrung auf dem Gebiet haben.
Aber auch in Berlin demonstriert das „Volk“:
Zur Zeit lassen viele Menschen ihre Masken fallen und zeigen uns ihr wahres Gesicht. Viele, die man für vernünftig gehalten hat, entpuppen sich plötzlich als #Covidioten. Wie soll man mit denen umgehen? Der Umgang mit meiner USK ist schon alleine wegen ihrer Aussagen zum Coronavirus für mich problematisch. Von ihrer Liebe zur Homöopathie möchte ich jetzt gar nicht erst anfangen.
Zum Glück habe ich weder im Freundeskreis noch in der Familie Menschen, die solche Gedanken an den Tag legen oder gar auf Demos wie die in Stuttgart oder Berlin gehen würden. Aber ich bin mir sicher, dass in diesen Zeiten einige Verbindungen zwischen den Menschen zerbrechen werden.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich noch nie so wenig Lust auf Apotheke hatte wie in den letzten Wochen. Wer mit Kunden arbeitet, weiß, dass diese auch mal anstrengend sein können. Aber momentan sind die Kunden, die nicht anstrengend sind, in der Minderheit. Und das kostet Energie. Sehr viel Energie. Mehr Energie, als ich mit Traubenzucker aus unserem Traubenzuckerfürkinderglas decken kann.
Wir alle wollen wieder einen normalen Alltag haben, nur müssen wir noch eine Weile durchhalten. Wenn jetzt einige meinen, sie könnten sich verhalten wie in der Vorcoronazeit, dann wird sich die Nachcoronazeit noch ein gutes Stückchen weiter nach hinten verschieben.
Wer will das schon? Ich nicht. Also haltet durch und passt auf euch auf!
#DerApotheker
Bildquelle: Dulcey Lima, unsplash