Welche Punkte muss man bei der Therapie von akuter respiratorischer Insuffizienz als Folge von COVID-19 unbedingt beachten? Wir gehen auf die wichtigsten Kernaussagen aus einem kürzlich veröffentlichten Positionspapier ein.
Na, auch schon den Kopf voll von COVID-19-Informationen, die stündlich hinterfragt werden? Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP) hat in erstaunlich kurzer Form ein Positionspapier veröffentlicht, in der sich der Therapie von akuter respiratorischer Insuffizienz bei COVID-19 angenommen wird. Dort finden sich auch klare Empfehlungen und Aussagen, die gemäß AWMF-Prozess erarbeitet wurden.
Das Positionspapier zur praktischen Umsetzung der apparativen Differenzialtherapie der akuten respiratorischen Insuffizienz bei COVID-19 ist in fünf Bereiche gegliedert:
Es lohnt sich, das ganze Papier zu lesen, wir gehen hier nur auf einige wenige Empfehlungen ein.
Zu Pathophysiologie, zeitlichem Verlauf und zur Prognose: Gleich als erste Kernaussage finden wir einen Hinweis auf die L- und H-Typen. Zwar wird betont, dass es für die beschriebenen Modelle noch keinen pathologisch-histologischen Beweis gibt, dennoch können sie in die Therapie miteinbezogen werden. Justus et al. haben sich mit diesem Thema schon befasst. Besonders sollte die kardiale Komorbidität beachtet werden, egal ob vorbestehend oder COVID-19-assoziiert, da diese sowohl den Verlauf als auch die Prognose maßgeblich beeinflusst.
Der zeitliche Verlauf lässt sich in drei Phasen aufteilen:
Die frühe Phase entspricht keinem typischen pneumogenen ARDS. Eine Einschätzung des Ausmaß der akuten respiratorischen Insuffizienz soll durch eine arterielle oder kapilläre Blutgasanalyse (BGA) bei Raumluft erfolgen und die Kalkulation des Sauerstoffangebotes beinhalten. Zur klinischen Einschätzung eines multiplen Organversagen sollen sowohl klinisches Monitoring (z.B. qSOFA-Score) als auch laborchemisches Monitoring zusammen mit einem weiteren Parameter des respiratorischen Versagens (etwa SaO2) erfolgen. Als Minimum der laborchemischen Werte werden genannt: D-Dimere, CRP, PCT, Thrombozyten, LDH, Troponin, Ferritin und NT-Pro-BNP.
Für Rettungsdienst und alle Bereiche des KH gleichermaßen relevant sind die Aussagen die zur Sauerstofftherapie getroffen werden. Jede Kernaussage ist dabei wichtig.
Aerosole im RaumZwar können Viren durch Aerosol transportiert werden, gleichzeitig nimmt die Vitalität der Viren schon im Aerosol ab:
„Untersucht man im Experiment gleichzeitig die Menge viraler RNA und die Menge an vitalem und damit potenziell infektiösem Virus bei Influenza A, so ist bereits nach 90 Minuten – trotz gleichbleibender Menge an viraler RNA – die Anzahl vitaler und damit infektiöser Viren um den Faktor 10² reduziert.“
Die Entstehung, Freisetzung, das Verhalten der Aerosole im Raum und die Deposition (also wo das Aerosol sich ablegt) der Aerosole nach erneuter Inhalation sind von Bedeutung. So wird festgehalten, dass Husten oder Niesen zwar die Austrittsgeschwindigkeit der Aerosole erhöht, jedoch die maximale Reichweite der Aerosolwolke sowohl bei Niesen und normalem Atmen bei 0,6 m liegt. Beim Husten ist die Reichweite 0,8 m.
Die Infektiösität ist weiterhin nicht allein von der Partikelmenge, sondern auch von der Viruskonzentration innerhalb des Aerogens abhängig. Diese Konzentration kann extrem stark differieren.
Das komplexe Verhalten der Aerosole im Raum ist von Luftfeuchtigkeit, Größe der Aerosole und der Durchlüftung abhängig. Die Infektiösität wird zusätzlich von der Vitalität des Virus im Aerosol beeinflusst. Auf der Basis von Influenza-Viren hat man in Untersuchungen festgestellt, dass in Räumen mit geringer Durchlüftung die normale Atmung eines Infizierten reichen kann, um infektiöses Aerosol im Raum zu produzieren. Ob es tatsächlich zu gefährlichen „Steady State Konzentrationen“ (also von andauernden Konzentrationen, die infektiös wären) von Viren in einem Raum kommen kann, hängt unter anderem von der Viruskonzentration im Patienten, in seinen Atemwegen, seinem Atem-Minuten-Volumen, der Größe des Raumes und der Belüftung ab.
Die Daten zur Infektionsgefahr bei der NIV-Therapie sind nicht wahnsinnig konkret und insgesamt nicht ganz so dramatisch, wie man zu Beginn der COVID-19-Vorbereitungen oft vernommen hat:
„Kernaussage 3.1: Offene Systeme bzw. Leckage-Systeme (sog. vented Masken) können die Abgaben von respirablen Partikeln erhöhen. Maskenleckagen spielen bei der Aerosolbildung eine eher untergeordnete Rolle. Geschlossene Systeme (sog. non-vented Masken) mit virendichten Filtern vor dem Exspirationssystem sind sicher und führen zu keiner vermehrten Aerosolbildung. Doppel-Schlauchsysteme mit virendichten Filtern im Exspirationsschlauch sind in Analogie ebenfalls sicher und führen zu keiner vermehrten Aerosolbildung.“
Die endotracheale Beatmung von infektiösen Patienten ist vermutlich sicher, wenn der Tubus keine Leckage hat und die Ausatemluft gefiltert wird. Die Intubation an sich ist sicher mit einem erhöhten Infektionsrisiko verbunden, adäquate, dicht sitzende PSA ist von entscheidender Bedeutung. Zum Absaugen sollte ein geschlossenes Absaugsystem genutzt werden, hier werden Rettungsdienste sicher nachrüsten müssen:
„Kernaussage 3.2: Für das Absaugen über Tubus bzw. Trachealkanüle sollen geschlossene Absaugsysteme angewendet werden. Bei invasiver Beatmung ist darauf zu achten, dass die Exspirationsluft entsprechend gefiltert wird. Fehlen entsprechende Filter im Beatmungsgerät, sollen virendichte Filter im Exspirationsschenkel eingesetzt werden.“
„Feststellung 3.1: Die endotracheale Intubation birgt ein hohes Infektionsrisiko. Prozeduren, bei denen das invasive Beatmungssystem geöffnet werden muss, sind mit einem erhöhten Infektionsrisiko verbunden.“
„Kernaussage 3.3: Mit persönlicher Schutzausrüstung (Augenschutz, FFP2- bzw. FFP-3 Maske, Kittel) kann eine Inhalationstherapie, NHF-Therapie, eine CPAP-Therapie oder eine NIV nach jetzigem Kenntnisstand vom Personal ohne erhöhtes Infektionsrisiko durchgeführt werden.“
Besonders bemerkenswert sind die Feststellungen zur Nasalen High-Flow-Therapie und zur Verneblung von Medikamenten:
„Feststellung 3.2: Eine nasale Highflow-Therapie (NHF) vergrößert die exspirierte Aerosolwolke um einige Zentimeter. Eine relevant vermehrte Abgabe infektiöser Aerosole im Vergleich zum spontan atmenden Patienten konnte weder in vitro noch in vivo bisher nachgewiesen werden.“
„Feststellung 3.3: Die Anwendung eines Düsenverneblers erhöht zwar die Aerosolmenge in der Raumluft. Es gibt jedoch kein erhöhtes Infektionsrisiko durch Düsenvernebler für das medizinische Personal. Inhalation von isotoner Kochsalzlösung reduziert die Abgabe von Aerosolen aus der Lunge deutlich.“
Wenig überraschend für die meisten Leser wiederum ist die Feststellung, dass die Sauerstoffinsufflation (ohne High-Flow, mit Flussraten von > 50 l/min) mit Brille oder Maske kein besonderes Risiko darstellt.
„Feststellung 3.4: Die Sauerstoffgabe über Maske oder Nasensonden führt zu keiner vermehrten Aerosolbildung. Verschiedene Sauerstoffsysteme (Nasensonden, Sauerstoff- Masken und Venturi-Masken) können die Luft bei der Exspiration unterschiedlich ablenken, nur bei Nasensonden mit hohen Sauerstoff-Flüssen ist die bei der Ausatmung gebildete Aerosolwolke in ihrer Reichweite größer als unter Spontanatmung.“
Man kann also sagen, dass mit adäquter Schutzausrüstung (PSA) und mit strenger Indikationsstellung bezüglich der endotrachealen Intubation ein gutes Schutzniveau erreicht werden kann. Als Anmerkung sei erlaubt, dass dies nur zutrifft, wenn die PSA adäquat ist, richtig angezogen wurde und auch richtig ausgezogen wurde. Hier sind sowohl die Ausstattung sowie die Trainings zum richtigen „donning“ und „doffing“ sehr heterogen (ich hoffe, die Herren haben FFP-konforme Bärte?).
Der vierte Bereich geht auf die Indikationen und Limitation der nicht-invasiven Beatmung ein. Gleich zu Beginn des Kapitels wird erwähnt:
„Jegliche Therapieeskalation setzt die Festlegung eines Therapiezieles im Rahmen des Patientenwillens voraus und sollte zu Beginn des Arzt-Patienten-Kontaktes erfragt und täglich überprüft werden.“
Da die Pathophysiologie anscheinend vom üblichen ARDS abweichen kann, ist auch bezüglich der CPAP/NIV-Therapie auf einige Dinge zu achten. Bereits bekannt ist, dass die NIV-Therapie bei mittelschwerem bis schwerem ARDS zu einem Therapieversagen bei über 50 % führt und hohe Tidalvolumina unter NIV sind mit einer erhöten Mortalität assoziiert. Da viele COVID-19-Patienten einen erhöhten Atemantrieb haben (um ihre Hypoxie zu korrigieren), könnten durch die Druckunterstützung sehr hohe intrapulmonale Durckschwankungen erfolgen. Gattinoni et al. empfehlen deshalb bei NIV-Patienten mit exzessiven inspiratorischer Atemanstrengung frühzeitig eine Intubation durchzuführen. CPAP oder NIV können in frühen Stadien und milden Formen des hypoxämischen Atemversagens genutzt werden. Bei Verschlechterung oder fehlender frühen Besserung sollte jedoch zur Intubation gegriffen werden. Hinweis von uns: NIV könnte dabei als überbrückende Maßnahme dienen, bis Material und Personal vorbereitet sind.
„Kernaussage 4.2: Die Pathophysiologie des hypoxämischen respiratorischen Versagens ist bei COVID-19 komplex und weicht nach aktueller Vorstellung von anderen Erkrankungen mit Hypoxämie ab. Vor diesem Hintergrund kann es zu einer akuten Aggravierung der Hypoxämie sowie auch zu einer raschen Zunahme der Dyspnoe und zu einer raschen klinischen Verschlechterung unter CPAP/NIV kommen. Aus diesem Grund soll ein ständiges Monitoring unter Intubationsbereitschaft gewährleistet sein.“
Zuletzt finden sich Empfehlungen zum Versorgungskontinuum, inklusive Aufnahmekriterien auf der Intensivstation und Therapieempfehlungen im Rahmen der Individualmedizin.
„Feststellung 5.1: Patienten mit COVID-19 und akuter respiratorischer Insuffizienz zeigen ein auch im intensivmedizinischen Verlauf heterogenes Erscheinungsbild und lassen sich nicht uniform in eine Kategorie des ARDS nach der Berlin-Definition einordnen.“
Wie bereits geschrieben sind hier nur die allerwichtigsten Aussagen und Feststellungen zitiert, das ganze Positionspapier sollte unbedingt gelesen werden.
Bildquelle: Pablo Hermoso, unsplash