Vor der Feuerbestattung werden sie aus dem Körper des Toten entfernt, bei der Erdbestattung mit ihm begraben: Die Rede ist von Herzschrittmachern. Können die alten Geräte recycelt werden und Menschenleben retten?
Herzrhythmusstörungen bereiten Kardiologen selten Kopfzerbrechen. Patienten erhalten einen Herzschrittmacher. Und bei Herzkammerflattern oder -flimmern sorgt ein implantierbarer Kardioverter/Defibrillator (ICD) für schnelle Hilfe. Die Implantationen sind längst zur Routine geworden. Liegt eine Indikation vor, erstatten Krankenkassen alle Leistungen. So ist zumindest die Lage in Deutschland.
In medizinisch unterversorgten Regionen wird genau das zum Problem: Nur wenige Menschen sind versichert, und die Kosten für das Einsetzen eines Schrittmachers kann fast keiner aus eigener Tasche zahlen. Arzneistoffe sind bei vielen Herzrhythmusstörungen auch keine Alternative. Deshalb liegt es nahe, Medizintechnik aus Industrienationen anderen Ländern zur Verfügung zu stellen.
Paul Khairy, Kardiologe am Montreal Heart Institute, Université de Montréal, ging einen recht ungewöhnlichen Weg. Er untersuchte die Implantation von Herzschrittmacher bzw. ICDs, die zuvor von Toten entnommen und wieder aufbereitet worden waren.
„Prinzipiell ist das eine vernünftige Sache – die einzige Alternative wäre die Unterversorgung“, sagt Dr. Stefan Waller zu DocCheck. Der Berliner ist Internist und Kardiologe. „Bedenken, dass es durch recycelte Geräte zu einem höheren Infektionsrisiko kommen könnte, wurden durch die Studie ausgeräumt.“
Waller ergänzt: „Generell war der Anteil der verwendbaren Geräte recht niedrig – es macht keinen Sinn, beispielsweise Schrittmacher zu verwenden, deren Batterie nach zwei Jahren leer ist.“ Er selbst sei von Kollegen oder Patienten noch nie darauf angesprochen worden; die Idee sei aber praktikabel. Sinnvoll wäre, dass Träger von Geräten ihre Spendenbereitschaft dokumentieren.
Zum Hintergrund: Schon seit 1983 sammeln Ärzte aus Montréal gebrauchte Herzschrittmacher und ICDs. Im Jahr 2003 bauten sie das „Heart to Heart“-Zentralregister auf, eine Datenbank, um alle Aktivitäten zu dokumentieren. Zuvor hatten Kollegen ein umfangreiches Protokoll zur Aufbereitung entwickelt:
Nur zehn Prozent der entnommenen Geräte eigneten sich für die erneute Verwendung; 90 Prozent landeten im Elektroschrott.
Bei der Studie selbst hat Khairy Daten aus Ländern des Implantationsprogramms mit Ergebnissen aus kanadischen Krankenhäusern verglichen.
28 Bestattungsunternehmen in der kanadischen Provinz Quebec gaben fast 14.000 gebrauchte Devices an das Montreal Heart Institute. Kanada erlaubt die Entnahme von ICDs post mortem durch Bestatter nach vorhandenem Einverständnis der Patienten selbst oder nächster Angehöriger.
1.051 Patienten erhielten aufbereitete Geräte. Sie kamen aus Mexiko (36,0 Prozent), aus der Dominikanischen Republik (28,1 Prozent), aus Guatemala (26,6 Prozent) und Honduras (9,3 Prozent). Eingesetzt wurden meist Herzschrittmacher (85 Prozent), seltener ICDs (15 Prozent). Die Teilnehmer waren 63,2 ± 18,5 Jahre alt, und 43,6 Prozent waren Frauen.
Der Grund für die Implantation war in 72 % der Fälle ein atrioventrikulärer (AV) Block, bei 13 % eine Sinusknotendysfunktion, bei 9 % eine Herzinsuffizienz, der Rest litt unter ventrikulärer Tachykardie oder hatte einen Herzstillstand überlebt. Ihnen wurden 3.153 Kontrollpatienten aus Kanada mit vergleichbaren Merkmalen gegenübergestellt.
Zwei Jahre nach der Implantation waren bei 21 Patienten (2,0 Prozent) in der „Recycling-Gruppe“ und bei 38 Patienten (1,2 Prozent) mit neuen Geräten Infektionen aufgetreten. Der Unterschied erwies sich nicht als statistisch signifikant. Die häufigsten Krankheitserreger waren Staphylococcus aureus und S. epidermidis. Es kam zu keinen technischen Schwierigkeiten. Deshalb befürwortet Khairy, Geräte aufzubereiten und einer Wiederverwendung zuzuführen.
Die Sache ist auch etwas heikel. Ältere Kollegen erinnern sich vielleicht an einen Skandal vor mehr als 40 Jahren. Zwischen 1976 und 1979 erhielten Kollegen Geld, wenn sie gebrauchte Herzschrittmacher von Toten in der Klinik entnahmen und wieder an einen niederländischen Hersteller zurückschickten.
Dieser prüfte die Geräte, sterilisierte sie und verkaufte sie dann zum Neupreis. Laut Spiegel hatten Krankenkassen mit der Praxis kein Problem. Es ging um erneute Transplantationen innerhalb Europas.
Die Zeiten ändern sich – inzwischen gibt es neue Argumente, die für ein Recycling sprechen: Laut einem Blog für Bestatter fordern manche – aber keineswegs alle – Krematorien, dass Herzschrittmacher beziehungsweise ICDs vor einer Feuerbestattung entfernt werden. Auch Hersteller sprechen sich dafür aus. Denn: Explodieren Batterien, können ältere Öfen beschädigt werden.
In Schweden beispielsweise wird die postmortale Entnahme von Gesundheitsbehörden sogar gefordert, wenn auch ohne Zweitverwertung, und kann von Patienten nicht verweigert werden.
In den Vereinigten Staaten gibt es keine Bundesgesetze, die sich auf das Eigentum an medizinischen Geräten nach dem Tod beziehen. In Kanada wurden Geräte in der Vergangenheit als Eigentum von Patienten oder deren nächsten Angehörigen betrachtet. Deshalb haben die Forscher bei ihrer Studie alle Schritte transparent dokumentiert.
Wie könnte ein Recycling-Programm bei uns aussehen?
Doch zurück nach Deutschland. Momentan sammelt Schrittmacher 4 life, ein Verein, gebrauchte Geräte für Menschen in Lateinamerika. Doch so mancher Herzschrittmacher und so mancher ICD wird weiterhin mit beerdigt.
Was könnte man tun? Idealerweise fragen Ärzte schon bei der Implantation von Devices eine mögliche Spendenbereitschaft ab. Der Patientenwille müsste schriftlich hinterlegt werden. Dazu bräuchte es eine erweiterte Form des Organspendeausweises.
Bildquelle: Kenny Orr, Unsplash