Die Bestimmung der Leichenliegezeit ist entscheidend für die Aufklärung von Verbrechen. Doch die gängigen Modelle weisen einige Schwächen auf. Niederländische Forscher haben nun einen neuen Ansatz entwickelt.
Die Bestimmung des Postmortem-Intervalls (PMI), der Zeit zwischen einem tödlichen Ereignis und dem Auffinden des toten Körpers, spielt eine Schlüsselrolle bei forensischen Untersuchungen. Es liefert entscheidende Informationen zur Rekonstruktion eines vermuteten Verbrechens. Häufig wird die Veränderung der Körpertemperatur erhoben, um daraus das PMI abzuleiten.
Hierfür gibt es zahlreiche Modelle, wobei der Goldstandard in der forensischen Praxis das sogenannte Henssge-Verfahren ist, das die Rektaltemperatur mit dem PMI in Relation setzt. Der Analyse liegt die Annahme zugrunde, dass die postmortale Rektaltemperatur eines jeden menschlichen Körpers einer typischen Abkühlungskurve folgt. Doch daraus ergibt sich auch einer der Limitationen dieses Ansatzes: Der zugrundeliegende Datensatz wurde unter standardisierten Bedingungen erfasst.
Darüber hinaus klassifiziert das Modell menschliche Körper nur nach ihrem Gewicht. Zwei Körper mit gleichem Gewicht, aber unterschiedlicher Körperzusammensetzung kühlen unterschiedlich schnell ab. Infolgedessen variieren die Unsicherheiten der PMIs, die mit Hilfe des Henssge-Nomogramms bestimmt werden, auf einer Zeitskala von 20 Stunden zwischen ± 3 und ± 7 Stunden.
Daher haben niederländische Forscher nun ein neues Modell entwickelt. Es beruht auf einer dreidimensionalen Repräsentation des Körpers: Es berücksichtigt unter anderem die Körperzusammensetzung, die Kontaktfläche und –arten sowie die teilweise Bedeckung durch Kleidung. Eine Vielzahl weiterer Faktoren – wie beispielsweise starker Bartwuchs oder lange Haare – kann ebenfalls im Modell berücksichtigt werden. Dadurch ist es auf viele verschiedene forensische Fälle anwendbar.
Zunächst überprüften die Forscher ihr Modell, indem sie die Veränderung der Hauttemperatur bei vier kürzlich verstorbenen Menschen erfassten und mit den entsprechenden Modellvorhersagen verglichen. Anschließend rekonstruierten sie aus diesen Datensätzen die PMIs für jeden Messzeitpunkt.
Im Vergleich mit den wahren Werten, die zwischen 5 und 50 Stunden lagen, zeigte sich eine gute Übereinstimmung. Der ermittelte Zeitpunkt wich den Forschern zufolge durchschnittlich 38 Minuten vom tatsächlichen Todeszeitpunkt ab, die maximale Abweichung betrug gut drei Stunden.
Damit erfreut sich die neue Methode einer höheren Genauigkeit als der bisherige Standard. Während die Annahmen zur Kühlung erfolgreich validiert werden konnten, wurden alle weiteren experimentellen Arbeiten in einer standardisierten Umgebung durchgeführt. Dadurch wurde die Variabilität vieler Umweltparameter deutlich reduziert. Folglich ist nun die Leistungsbewertung des Ansatzes in der forensischen Feldarbeit von größter Bedeutung, um den Mehrwert für die Praxis zu bestimmen. Darüber hinaus müsste die neue Methode noch an mehr Verstorbenen geprüft werden, da die Wissenschaftler in ihre Analyse bisher nur vier Verstorbene einbezogen haben.
Textquelle: Wilk et al. / Science AdvancesBildquelle: Timo Müller, Unsplash