Die Europäische Kommission will patentgeschützte Arzneistoffe in Ländern der dritten Welt leichter verfügbar machen. Ein entsprechender Vorschlag wurde jetzt an den Rat übermittelt. Ohne funktionsfähige Infrastruktur vor Ort hält sich der Mehrwert in Grenzen.
AIDS, Hepatitis C, Tuberkulose oder Malaria: Jahr für Jahr sterben schätzungsweise 13 Millionen Menschen an Krankheiten, die unter westlichem Maßstab behandelbar wären: ein komplexes Problem mit unterschiedlichen Einflussfaktoren. Das beginnt schon beim Thema Patentschutz: Einerseits gelten derartige Regelungen als Grundvoraussetzung für forschende Konzerne, andererseits verhindern sie über Jahre hinweg preisgünstige Generika in Entwicklungsländern.
Um patentgeschützte Originalia zu importieren, waren Länder bislang auf Einzelverträge angewiesen. Vor rund einem Jahr hat beispielsweise der indische Konzern Mylan Laboratories mit Gilead Science vereinbart, Sofosbuvir zu produzieren. Von der Regelung profitieren Menschen in 91 Ländern – sprich mehr als 50 Prozent aller Patienten mit Hepatitis C weltweit. Zuvor musste Novartis ebenfalls in Indien eine herbe Niederlage einstecken: Richter lehnten es ab, das Krebsmedikament Glivec® (Imatinib) zu patentieren.
Der Europäischen Kommission sind Entscheidungen nach dem Einzelfallprinzip schon lange ein Dorn im Auge. Jetzt hat sich Cecilia Malmström zu Wort gemeldet. Die Handelskommissarin plant Erleichterungen bei der Versorgung von Entwicklungsländern mit generischen Arzneistoffen. Kommissionsmitglieder unterstützen arme Staaten in ihrer Forderung, von Regeln für geistiges Eigentum bei Pharmaprodukten ausgenommen zu werden. Malmström: „Auch wenn Patente in Entwicklungs- und Schwellenländern zu Innovationen anregen, sollte das Recht an geistigem Eigentum kein Thema sein, wenn die Ärmsten der Welt dringend Behandlungen brauchen.“ Diese Ausnahme werde den am wenigsten entwickelten Ländern die erforderliche Rechtssicherheit geben, sich Generika zu beschaffen und sie zu produzieren.
Wie geht es jetzt weiter? „Ich bin zuversichtlich, dass der Rat diesen Vorstoß unterstützen wird und dass die EU bei der WTO in dem Bereich die Vorreiterrolle übernimmt“, ergänzt die Handelskommissarin. Vom Votum des Europäischen Rats Mitte Oktober hängt ab, wie sich die EU-Kommission beim WTO-Gremium für handelsbezogene Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS-Council) positionieren wird.
Kritiker werfen der EU-Kommission vor, Versorgungsprobleme in Ländern der dritten Welt nicht nachhaltig genug zu lösen. Ohne medizinische Einrichtung und ohne geeignete Distributionswege werden noch so innovative Präparate ihr Ziel verfehlen. Bestes Beispiel ist die „WHO Model List of Essential Medicines“ mit über 350 größtenteils patentfreien Wirkstoffen. Versorgungsengpässe stehen vor Ort trotzdem an der Tagesordnung, von Fälschungen ganz zu schweigen. Politisch instabile Systeme investieren ein bis zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in das Gesundheitssystem; europäische Länder geben das Fünf- bis Zehnfache aus. Politische Stabilität bleibt das vorrangige Ziel.