Künstlerischer Ausdruck ist die eine Seite, medizinisch berechtigte Einwände sind die andere. Meine Bedenken als Gynäkologin.
Tätowiert sind in Deutschland etwa 12 Prozent der Bevölkerung, Tendenz steigend. Unter den 16- bis 29-jährigen sind es bereits 23 Prozent. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten und jeder darf natürlich selbst entscheiden, wie er sein Äußeres gestalten möchte.
Kritisch wird es aber, wenn dabei gesundheitliche Schäden entstehen können. Es sollte zumindest der nötige Informationsbedarf gedeckt sein, auf dessen Basis jeder dann selbst dafür verantwortlich und bereit ist, eventuelle Folgen zu tragen. Ein Blick auf die Fakten.
Um eine hohe Farbbrillanz zu erreichen, werden in bunten Tätowierungen meist organische Pigmente verwendet. Problematisch sind dabei Spaltprodukte der organischen Farbmittel, wie krebserregende aromatische Amine, aber auch Konservierungsmittel und kanzerogene Schwermetalle. Diese können auch als Verunreinigungen vorliegen. Da über die Wirkung von Farbpigmenten im Körper derzeit wenig bekannt ist, ist eine sichere Verwendung letztendlich nicht abschätzbar. Pigmente, die auf keinen Fall angewendet werden dürfen, sind in der Tätowiermittel-Verordnung aufgeführt.
„Eine Positivliste mit gesundheitlich unbedenklichen Farben existiert bisher mangels aussagekräftiger wissenschaftlicher Daten nicht“, so das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Es gibt für Tätowierungsfarben keine eigene Zulassung, vielmehr ist der Hersteller für die Sicherheit der Mittel verantwortlich.
In den Jahren 2013 und 2017 wurden Tätowierungsmittel vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit gezielt auf Schwermetalle, Konservierungsstoffe sowie auf ihre Keimbelastung untersucht. Eine Vielzahl an Proben wurde dabei aus unterschiedlichen Gründen beanstandet. Besonders in schwarzer Tätowierungsfarbe konnten polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe nachgewiesen werden, die als kanzerogen gelten.
Die Farbpigmente werden in die mittlere Hautschicht (Dermis) gestochen und können sich anschließend in Blut- und Lymphgefäßen, Lymphknoten und im gesamten Körper verteilen.
Prinzipiell unterscheidet man eine akute Primärreaktion in Form von Schmerzen, Entzündungsreaktionen und Schwellungen. Unter einer Sekundärreaktion werden Lymphadenopathien, noduläre inflammatorische Gewebsreaktionen und mögliche Tumoren nach Wochen bis Jahre verstanden.
Eines der Hauptrisiken beim Tätowieren ist die Übertragung von Infektionen (etwa HIV, Hepatis B, bakterielle Wundinfektionen). Dies kommt bei der Verwendung nicht steriler Geräte oder verunreinigter Farbe vor. Außerdem wird die Barrierefunktion der Haut verletzt, was nachfolgende Infektionen begünstigt. Theoretisch existieren zwar Hygienevorschriften, die aber nicht immer ausreichend beachtet werden.
Die Farbstoffe können allergieauslösende Substanzen enthalten, die sich als lokale Hautreizungen oder, schlimmstenfalls, als Ganzkörperreaktion zeigen. Nickel ist das Kontaktallergen mit der höchsten Sensibilisierungsrate, es wurde ebenfalls in Tätowierungsstoffen nachgewiesen.
Besonders bedenklich stimmen folgende Ausführungen des BfR:
„Zwar finden sich in der Tätowiermittel-Verordnung Regelungen zu den potentiell krebserzeugenden aromatischen Aminen, weiterer Forschungsbedarf besteht allerdings noch zu der Frage, ob durch Stoffwechselprozesse oder Sonneneinstrahlung solche Verbindungen im menschlichen Organismus aus den Inhaltsstoffen von Tätowiermitteln freigesetzt werden können. Weiterhin fehlen toxikologische Daten dazu, ob Farbmittel in ihrer Verwendung als Tätowiermittel erbgutverändernde, krebserzeugende oder fruchtbarkeitsschädigende Wirkungen haben. Darüber hinaus könnten Farbpigmente in nanoskaligen Größen im Körper weiter verstoffwechselt und verteilt werden.“
Da sich die Farbstoffe im ganzen Körper verteilen, ist ein Übergang während der Schwangerschaft auf das Ungeborene möglich, ebenso in die Muttermilch. Kommt es beim Tätowieren zu einer Infektion, kann das während einer Schwangerschaft ebenfalls Auswirkungen auf das Kind haben.
Der Gynäkologe und Umweltmediziner Prof. Claus Schulte-Uebbing, München, schätzt Tattoos bezüglich ihres malignen gynäkologischen Potentials als gravierend ein. Insgesamt scheint das Risiko für Dysplasien und Karzinome im weiblichen Genitaltrakt durch genitalnahe Tattoos erhöht zu sein. Es gibt Hinweise, dass Farbpigmente das Wachstum von Vulvakarzinomen über die inguinofemoralen Lymphbahnen fördern können.
Bei brustnahen Tattoos können die Farbpigment-Gemische aus Schwermetallen und Aluminium über die axillären Lymphwege die Mammae erreichen und damit das Risiko für Mammakarzinome erhöhen. Weiterhin können endokrine Regelkreise durch Inhaltsstoffe der Tätowierungsfarben beeinflusst werden. Das hat Auswirkungen auf den metabolischen Stoffwechsel und letztendlich auf die Fertilität.
„Bei unseren Patientinnen mit Tätowierungen im Genital-, im Unterbauch- und Mammaebereich finden wir im Metall-Mobilisations-Test (DMPS-Test) überdurchschnittlich hohe Metallbelastungen. Viele dieser Patientinnen haben deutlich erhöhte DMPS-Mobilisations-Werte von Kupfer, Blei, Nickel, Arsen, Cadmium, Quecksilber und Aluminium“, so Schulte-Uebbing.
Kleidungsstücke kommen aus der Mode und irgendwann möchte man vielleicht Silber- statt Goldschmuck tragen. Tattoos, die man als 20-Jährige toll fand, überzeugen als 35-Jährige eventuell nicht mehr. Sich jedoch von einer Tätowierung, aus welchem Grund auch immer, zu trennen, ist gar nicht so einfach. Darüber nachdenken tun jedoch einige: Ungefähr ein Viertel der Betroffenen hat sein Tattoo schon einmal bereut, zeigen Statistiken.
Es gibt unterschiedliche Verfahren, um Tätowierungen wieder zu entfernen. Bei einer chirurgischen Exzision fürchtet man die erhöhte Infektionsgefahr, bei einer Lasertherapie die Freisetzung toxischer Spaltprodukte, die im Körper verbleiben können. Bisher durfte allerdings jeder, der ein Lasergerät und das Zertifikat über einen Laserschutzkurs besaß, diesen Eingriff vornehmen. Ab 2021 dürfen das nur noch Ärzte. Bedenken bleiben trotzdem bestehen – Hoffnung macht ein neues Verfahren der Technischen Hochschule Köln, das aus einer Kombination von Ultraschall und Laser besteht.
„Wir erhoffen uns vom Ultraschall mehrere Dinge: Er soll das Gewebe anregen und auflockern, damit sich die Farbpigmente leichter lösen. Darüber hinaus erwarten wir, dass die Farbpigmente durch die Kombination von Laser und Ultraschall besser zerkleinert werden“, so Projektleiter Axel Wellendorf.
Tattoos waren für mein Empfinden ursprünglich etwas Exotisches und eher Randgruppen vorbehalten. Aus medizinischer Sicht sehe ich sie zwar nach wie vor kritisch, bin aber aufgrund folgender Begegnungen offener geworden:
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