Um Resistenzbildungen bei der Krebstherapie zuvorzukommen, konnten Mechanismen, die Krebszellen immun gegen bestimmte Medikamente machen, aufgeklärt werden. Die Ergebnisse sollen für effiziente, zeitlich präzise abgestimmte Kombinationstherapien genutzt werden.
Krebszellen sind mittlerweile sehr umfassend auf Genmutationen untersucht. Am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien forscht der Mediziner und Molekularbiologe Johannes Zuber an neuen Möglichkeiten der zielgerichteten Krebstherapie. Er sucht systematisch nach sogenannten „targeted therapies“. Bereits 2011 fanden Zuber und ehemalige Kollegen am Cold Spring Harbor Laboratory (New York) in dem Molekül BRD4 eine derartige „Achillesferse“ bei akuter myeloischer Leukämie (AML), einer besonders aggressiven Form von Blutkrebs. Nun, vier Jahre später, sind bereits mehrere Hemmstoffe gegen BRD4 in klinischer Erprobung.
Trotz dieser ungewöhnlich raschen Entwicklung ist noch nicht klar, weshalb manche Krebsformen auf BRD4-Inhibitoren ansprechen und andere unempfindlich sind. „Selbst wenn wir eine eindeutige Schwachstelle des Krebses entdeckt haben, wissen wir oft nicht, warum die Zellen von diesem bestimmten Gen abhängig sind. Dieses Wissen brauchen wir aber, um zielgerichtete Therapien zu entwickeln und Patienten auszuwählen, die davon profitieren“, erklärt Zuber. Auch das BRD4-Gen erwies sich in dieser Hinsicht als große Herausforderung. Die IMP-Wissenschaftler erstellten Profile von empfindlichen und resistenten Zellen, um dem Problem auf den Grund zu gehen. Die Ergebnisse dieser gemeinsamen Anstrengung zeigen einen Mechanismus, mit dem Leukämiezellen ihrer Abhängigkeit von BRD4 entkommen können.
Als Regulator-Gen kontrolliert BRD4 die Aktivität hunderter Gene, die durch die Inhibitor-Behandlung abgeschaltet werden. Ein für Leukämiezellen besonders wichtiges Gen ist das Onkogen MYC, welches das unbegrenzte Wachstum der Zellen gewährleistet. Eine Blockade von MYC trifft den Krebs also an einer sehr empfindlichen Stelle. Wie sich in einem genetischen Screen zeigte, können Zellen mancher Leukämie-Arten allerdings eine „Ausweichroute“ aktivieren und Gene wie MYC wieder einschalten, obwohl BRD4 blockiert ist. Zellen, die auf diese Weise resistent gegen die Behandlung werden, gehen dabei ganz ähnliche Wege wie diejenigen Zellen, die gar nicht erst darauf ansprechen. „Es sah so aus, als lernten die anfangs sensitiven Zellen im Lauf der Zeit, was die resistenten Zellen bereits wissen“, fasst Philipp Rathert zusammen, der als Postdoktorand gemeinsam mit der Doktorandin Mareike Roth federführend an der Studie beteiligt war. Um die Regulation von MYC im Detail zu studieren, wurde die „STARR-seq“ Methode genutzt. Damit lassen sich sehr effizient DNA-Abschnitte aufspüren, die als Verstärker an der Genregulation beteiligt sind. Letztlich konnte dadurch geklärt werden, auf welchen Pfaden resistente Leukämiezellen das Gen MYC wieder aktivieren. Dieses detaillierte Wissen lieferte einen Anhaltspunkt, woran man gegen BRD4-Inhibitoren resistente Leukämieformen erkennen kann. Der Zusammenhang zwischen einem bestimmten Zellsignal und der Empfänglichkeit für die Therapie konnte bestätigt werden.
„Wir halten möglicherweise den ersten Biomarker in Händen, mit dem Ärzte den Erfolg einer Anti-BRD4-Therapie vorhersagen können“, kommentiert Johannes Zuber die Ergebnisse. Die neue Studie zeigte darüber hinaus, dass Zellen eine extrem große Plastizität bei der Genregulation besitzen und bei Blockade bestimmter Gene immer wieder neue Umwege aktivieren können. Neben bekannten Mechanismen der Resistenzbildung, wie Mutationen an Medikament-Bindungsstellen oder der Ausschleusung des Wirkstoffs aus den Zellen, werden hier neue Wege aufgezeigt. Die Forscher sind sicher, dass ein besseres Verständnis der Adaptionsmechanismen von Zellen zu neuen, wirksameren Kombinationstherapien führen wird, mit denen man den Krebs schließlich überlisten kann. „Wir konnten zeigen, dass Krebszellen sich unseren Therapieversuchen entziehen, indem sie sich immer wieder anpassen“, so Zuber. „Doch das Repertoire an Ausweichrouten ist begrenzt. Wenn wir diese Routen verstehen und vorhersagen können, werden wir stets mit der nächsten, passenden Therapie bereitstehen. So sind wir dem Krebs immer einen Schritt voraus!“ Originalpublikation: Transcriptional plasticity promotes primary and acquired resistance to BET inhibition Philipp Rathert et al.; Nature, doi: 10.1038/nature14898; 2015