2020 könnte ein Rekordjahr für Zecken werden. Durch milde Temperaturen breiten Zecken sich weiter aus und sind inzwischen fast ganzjährig aktiv. Wie sehr steigt dadurch die Bedrohung durch FSME und Borreliose?
Im Mai warnte das Deutsche Rote Kreuz: 2020 könnte ein Rekordjahr für Zecken werden. Aufgrund des milden Winters gäbe es mehr Zecken als in den Vorjahren. „Begonnen hat die Zeckensaison diesmal schon im März“, sagte Professor Peter Sefrin, Bundesarzt des Deutschen Roten Kreuzes.
Und damit steigt auch die Gefahr, sich mit Borreliose und FSME, die durch Zeckenstiche übertragen werden, zu infizieren.
Milde Winter und heiße, trockene Sommer sind in Deutschland inzwischen eher die Regel als die Ausnahme. Das begünstigt die Aktivität der Zecken, denn diese erwachen aus ihrer Winterstarre, sobald die Temperaturen an mehreren Tagen über 7 Grad Celsius liegen. Zecken könnten also in Zukunft vielleicht sogar das ganze Jahr aktiv bleiben. Schon 2016 stellte die Universität Hohenheim in einer Gartenstudie fest, dass Zecken inzwischen fast ganzjährig aktiv seien.
Zecken mögen es jedoch eher feucht. Somit sind zumindest Dürreperioden nicht die optimalsten Bedingungen für die lästigen Parasiten.
Gleichzeitig könnten durch den Klimawandel gestiegene Durchschnittstemperaturen die Verbreitung von Zecken in Höhenlagen begünstigen. Früher ging die Forschung davon aus, dass Zecken nur bis zu einer Höhe von 700 bis 800 Metern vorkommen. Untersuchungen in mitteleuropäischen Gebirgen zeigen jedoch, dass die Tiere inzwischen in Höhen von weit über 1.000 Metern existieren. Wanderer und Alpinsportler sollten sich dieser Gefahr bewusst sein.
Doch die jährliche Durchschnittstemperatur ist als Faktor nicht allein dafür ausschlaggebend, wie sehr sich Zecken vermehren. Auch die Vermehrung ihrer Wirtstiere, zu denen neben Rehen und Wildschweinen auch Vögel und Nagetiere zählen, beeinflusst die Größe der Zeckenpopulation. Finden die Tiere durch gute klimatische Bedingungen mehr Futter, vermehren sie sich und in der Folge auch die Zecken.
Was bedeutet dies nun für die Gesundheitsgefahr durch Zeckenstiche? Kommt es durch die Auswirkungen des Klimawandels zu steigenden Infektionszahlen im Hinblick auf Borreliose und FSME?
FSME zählt seit 2001 deutschlandweit zu den meldepflichtigen Erkrankungen. Das Robert-Koch-Institut (RKI) registriert also jede einzelne Infektion. Dadurch können die Infektionszahlen relativ genau nachvollzogen werden. „Fakt ist: FSME-Fälle unterliegen jährlichen Schwankungen“, erklärt Professor Jochen Süss, ehemaliger Leiter des nationalen Referenzlabors für durch Zecken übertragene Krankheiten an der Universität Jena.
Die Zahlen reichen von 195 Infektionen im Jahr 2012 bis zu 583 Fällen im Jahr 2018. „Diese starken Schwankungen in den registrierten Erkrankungszahlen entstehen, weil sehr viele unterschiedliche Faktoren die Zeckenaktivität beeinflussen können und auch der Mensch als potenzieller Zeckenwirt in unterschiedlicher Weise zur Verfügung steht.“
Zu den fünf Jahren mit den höchsten Infektionszahlen gehören die Jahre 2017, 2018 und 2019. Der Jahresrückblick des Deutschen Wetterdienstes zeigt, dass alle drei Jahre besonders warm und trocken waren. Doch auch schon 2006 gab es mit 546 Infektionsfällen den zweithöchsten Wert seit Beginn der Meldepflicht. Das Jahr 2006 war ebenfalls sehr warm, nur die Wintermonate zu Beginn des Jahres waren eher kalt.
Ein wirklicher Trend allein aufgrund gestiegener Durchschnittstemperaturen in den letzten Jahren kann nicht abgeleitet werden. Entscheidend für die hohen FSME-Infektionszahlen in warmen Jahren könnte nicht nur eine stärkere Vermehrung von Zecken sein, sondern vor allem, dass sich Menschen bei schönem Wetter häufiger in der Natur aufhalten, vermutet Marco Drehmann, der an der Universität Hohenheim zu Parasiten forscht.
Bemerkenswert ist jedoch auch, dass die Anzahl der FSME-Risikogebiete in Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten stark zugenommen hat. Theoretisch können Zecken im gesamten Bundesgebiet FSME übertragen. In den vergangenen zehn Jahren gab es in allen Bundesländern FSME-Fälle.
Deutlich wahrscheinlicher ist die Infektion jedoch in den sogenannten Risikogebieten. „Ein Landkreis wird vom RKI als FSME-Risikogebiet definiert, wenn innerhalb einer Periode von fünf Jahren mehr als eine FSME-Erkrankung pro 100.000 Einwohner auftritt“, erklärt Jochen Süss.
„Während bis 1998 63 Risikokreise nachgewiesen wurden, sind es 2019 bereits 164“, sagt der Forscher. In den vergangenen 19 Jahren, in denen man die Risikogebiete beobachtet habe, seien im Durschnitt 5,3 Risikokreise hinzugekommen.
Deutlich unübersichtlicher ist die Datenlage zur Borreliose. Denn Borreliose ist nicht in allen Bundesländern meldepflichtig. Epidemiologische Studien zeigen, dass 50–100 Fälle von Borreliose pro 100.000 Einwohner in Deutschland auftreten. Ob die Fälle in den letzten Jahren zunahmen, kann aufgrund der Datenlage aber nicht beurteilt werden.
Doch nicht nur auf die Infektionszahlen mit den hierzulande bekannten Erregern der Borreliose und der FSME könnten steigende Durchschnittstemperaturen durch den Klimawandel eine Auswirkung haben. Denn inzwischen fühlen sich in Deutschland offensichtlich auch ganz neue Zeckenarten wohl, die neue Krankheitserreger mit sich bringen können.
2018 beunruhigte der Fund von sieben Hyalomma-Zecken durch ein Team der Universität Hohenheim die Bevölkerung. Auch 2019 wurden weitere Exemplare gefunden. Bisher war die Hyalomma-Zecke vorwiegend in Asien, Nordafrika und im Mittelmeerraum einheimisch. „Wahrscheinlich wurde sie von Zugvögeln nach Deutschland gebracht“, vermutet Jochen Süss.
Die vermehrte Verbreitung der Hyalomma-Zecken ist besonders beunruhigend, da diese Zeckenart das sogenannte Krim-Kongo-Fieber übertragen kann. Dieses kann innere Blutungen verursachen und verläuft häufig tödlich. Die in Deutschland gefundenen Exemplare wurden auf das Virus untersucht, dabei konnte der Erreger nicht nachgewiesen werden.
Aber die Hyalomma-Zecken beherbergen außerdem ein Bakterium, das das sogenannte Fleckfieber auslöst. Dieses kann wohl schon heute von Hyalomma-Zecken in Deutschland übertragen werden. Untersuchungen der Universität Hohenheim zeigen, dass fast jede zweite der gefundenen Zecken die Bakterien in sich trug.
2019 soll sich erstmals ein Mensch in Deutschland durch einen Zeckenstich infiziert haben. Der Fall wird jedoch als Verdachtsfall eingestuft, da der Erreger zwar in der Zecke, jedoch nicht direkt in dem erkrankten Pferdehalter aus Nordrhein-Westfalen nachgewiesen werden konnte. Wird eine Fleckfieberinfektion frühzeitig erkannt, können Antibiotika helfen.
Zecken, die Erkrankungen übertragen, breiten sich also zunehmend in Deutschland aus. Ob dabei gestiegene Durchschnittstemperaturen durch den Klimawandel oder andere Faktoren die entscheidende Rolle spielen, kann derzeit noch nicht mit Sicherheit gesagt werden. Grund zur Panik besteht nicht.
Doch die Bevölkerung und insbesondere Mediziner sollten für die Gesundheitsgefahren durch Zecken weiterhin sensibilisiert werden. Die Bereitschaft, sich gegen FSME impfen zu lassen, ist außerdem nicht besonders hoch: Erhebungen des RKI zeigen, dass die Impfquoten in den Risikogebieten seit Jahren auf einem niedrigen Niveau stagnieren.
Mehr zu den Gesundheitsgefahren durch Zecken findet ihr in meinem Video auf mediclips: https://www.youtube.com/watch?v=hqWCVXZOtUs
Bildquelle: Jamie Street, unsplash