Die Ergebnisse der Ischgl-Studie liegen vor. Die vermutete hohe Rate nicht dokumentierter Corona-Fälle hat sich bestätigt.
79 Prozent der Ischgler hatten sich nach Einladung durch die Medizinische Universität Innsbruck bereit erklärt, vom 21. bis 27. April 2020 an der Studie teilzunehmen. So standen schließlich 1.473 ProbandInnen (1.259 Erw., 214 Kinder) aus 479 Haushalten für die PCR- und Antikörpertestung zur Ermittlung bestehender und überstandener Infektionen sowie für die Befragung zu Symptomen und Infektionsverlauf zur Verfügung.
Da es sich bei Ischgl um eine Gemeinde handelt, die aufgrund sogenannter Superspreading-Events überdurchschnittlich von der aktuellen Corona-Pandemie betroffen und infolge der strikten Quarantänemaßnahmen von der Umwelt abgeschlossen war, können aus der populationsbasierten Querschnittstudie wichtige Erkenntnisse zu Virus-Ausbreitung und Infektionsverlauf gewonnen werden.
Im Hinblick auf den erhobenen Nachweis von Antikörpern ist die Studie jedoch nicht repräsentativ für die österreichische Gesamtbevölkerung. „Es handelt sich hier um eine Leuchtturmstudie mit dankenswert sehr hoher Beteiligung der Ischgler Bevölkerung. Die Erkenntnisse werden dabei helfen, zukünftige Untersuchungen besser planen zu können und die Anwendung von Antikörpertests noch sicherer zu machen“, so der Rektor der Medizinischen Universität Innsbruck, Wolfgang Fleischhacker.
Die Seroprävalenz (Antikörper gegen SARS-CoV-2) der StudienteilnehmerInnen von Ischgl liegt bei 42,4 Prozent (bei Kindern unter 18 Jahren: 27 %). Das ist die zentrale Erkenntnis der Antikörper-Studie, die unter der Leitung der Virologin Dorothee von Laer, Direktorin des Instituts für Virologie an der Medizinischen Universität Innsbruck, durchgeführt wurde. „Wir haben es in Ischgl mit der höchsten, je in einer Studie nachgewiesenen Seroprävalenz zu tun. Auch wenn damit nicht von einer Herdenimmunität auszugehen ist, dürfte die Ischgler Bevölkerung doch zu einem Gutteil geschützt sein“, kommentiert von Laer das Ergebnis.
Der Anteil der seropositiv Getesteten liegt damit etwa sechs Mal höher (bei Kindern zehn Mal höher) als die Zahl der zuvor mittels PCR positiv getesteten Personen, die Rate der offiziell gemeldeten Fälle beträgt damit nur 15 Prozent der de facto Infizierten. Die Zahl der nicht dokumentierten Fälle, die aufgrund eines asymptomatischen oder milden Infektionsverlaufs nicht getestet wurden, lässt sich ausschließlich mit Antikörpertests nachweisen. „Eine hohe Rate nicht dokumentierter Fälle haben wir bereits vor Studienbeginn angenommen und sie hat sich nun, wie in anderen Hotspots auch, bestätigt“, so von Laer.
Auch für Peter Willeit, Epidemiologe an der Innsbrucker Universitätsklinik der Neurologie, hat die Untersuchung einen besonderen Stellenwert: „In keiner anderen Studie hatte ein so hoher Prozentsatz an StudienteilnehmerInnen Antikörper gegen SARS-CoV-2 im Blut. In Gröden lag der Prozentsatz beispielsweise bei 27 Prozent, in einer Studie in Genf bei etwa 10 Prozent. Besonders interessant an den Ergebnissen der Studie in Ischgl ist, dass ein Großteil der Personen mit Antikörpern erst durch die Studie als Coronafälle identifiziert wurde. Das unterstreicht, wie wichtig die Durchführung von Antikörper-Studien ist“, kommentiert Willeit.
Mittels Fragebogen konnten in der Studie auch vorsichtige Rückschlüsse auf den Infektionsverlauf erhoben werden. So berichtete ein Großteil der seropositiv getesteten Studienteilnehmer über Geschmacks- und Geruchsstörungen, gefolgt von Fieber und Husten. Unter den seropositiv getesteten Kindern verlief die Infektion meist asymptomatisch. Lediglich neun Erwachsene unter den Studienteilnehmern mussten im Krankenhaus behandelt werden.
Im Fokus der Studie stand außerdem die Anwendungssicherheit der Testverfahren zur Feststellung von Antikörpern. „Um die SARS-CoV-2 spezifischen Immunglobuline IgA und IgG im Blut nachweisen zu können, haben wir ein dreistufiges Verfahren mit maximaler Sensitivität und praktisch 100 Prozent Spezifität etabliert“, beschreibt von Laer die neue Teststrategie. Dabei wurden zwei hochsensitive ELISA-Tests (Immunassay-Verfahren, das auf einer enzymatischen Farbreaktion basiert) eingesetzt, deren negative Ergebnisse als endgültig negativ beurteilt wurden. Übereinstimmend positive Ergebnisse wurden als „Hinweis auf eine zurückliegende Infektion mit SARS-CoV-2“ beurteilt. War nur ein ELISA positiv, der andere negativ, wurde zur weiteren Abklärung ein Neutralisationstest durchgeführt.
Die Frage der Immunität bzw. wie lange Träger von SARS-CoV-2-Antikörpern vor einer Infektion geschützt sind, ist auch mit dieser Studie nicht geklärt. „Es wäre sicher sinnvoll, die Ischgler Kohorte weiterhin zu begleiten und die Seroprävalenz zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu untersuchen“, so Fleischhacker.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Medizinischen Universität Innsbruck.
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