Substitutionstherapien verbessern das Leben von Opioid-Abhängigen. Doch immer weniger Ärzte bieten die Behandlung an.
Eine Droge durch eine andere ersetzen, um die Sucht zu bekämpfen? Klingt zunächst unlogisch, ist aber für viele Menschen Realität. Nicht nur das: Die Substitutionstherapie ist bei Opioidabhängigkeit in vielerlei Hinsicht eine große Chance für die Patienten.
In Deutschland gibt es etwa 166.000 opioidabhängige Menschen – die vorwiegende Droge ist Heroin, die meisten Betroffenen sind männlich. Von der Substitutionstherapie machen ungefähr die Hälfte Gebrauch: 2018 lag die Zahl bei fast 80.000 substituierten Patienten.
Bei der Therapie bekommen die Abhängigen in der Regel täglich eine Dosis Heroin-Ersatz. Am häufigsten genutzt werden das vollsynthetische Methadon (mit sinkender Tendenz) und das R-Enantiomer Levomethadon, dessen Nutzung seit 2002 kontinuierlich zunimmt. Relativ stabil liegt Buprenorphin auf dem dritten Platz. Andere Medikamente werden nur in wenigen Fällen genutzt. Welche Therapie am sinnvollsten ist, entscheidet der Arzt im Einzelfall und in Absprache mit dem Patienten.
Vieles spricht für eine Substitutionsbehandlung. In der Klinik bekommen Betroffene einen sauberen Drogenersatz in einer kontrollierten Menge und können gleichzeitig auf Erkrankungen wie beispielsweise Hepatitis C getestet werden. Eine bundesweite Studie zeigte außerdem eine verbesserte Lebensqualität und verringerte Sterblichkeitsrate für substituierte Abhängige.
Auch politisch gesehen ist die Substitution ein wichtiges Instrument, erklärt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig. „Wer die Opioide von einem behandelnden Arzt verordnet bekommt, muss sie sich nicht auf einem illegalen Weg besorgen.“ Raus aus der Kriminalität – dabei geht es aber nicht mehr unbedingt darum, die Sucht zu überwinden.
Die Substitution ist über die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) geregelt. Früher musste es erklärtes Ziel der Patienten sein, die Drogensucht vollständig hinter sich zu lassen. Das kann problematisch werden: Nach allen Formen einer Entzugsbehandlung ist die Gefahr eines Rückfalls sehr hoch. Tatsächlich zeigte eine britische Studie, dass die Betroffenen zwei Jahre nach dem Ende einer Substitutionstherapie umso mehr Heroin konsumierten, je schneller sie das Methadon reduziert hatten. Dieser Erkenntnis trug die Änderung des BtMVV im Jahr 2017 Rechnung. „Eine Therapie kann nun auch auf unbestimmte Zeit durchgeführt werden, ohne das Ziel einer völligen Abstinenz vom Substitutionsmittel“, sagt Dr. Malte Bumb, kommissarisch leitender Oberarzt der Klinik für abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.
Das bedeute in vielen Fällen lebenslang, sozusagen als Normalzustand. Die Bundesärztekammer sieht als Prioritäten der Substitution zunächst das Überleben, dann die Reduktion des Suchtmittels. Außerdem geht es darum, die Patienten gesundheitlich und psychisch zu stabilisieren und ein soziales Netzwerk aufzubauen. Manche können wieder arbeiten und am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Die Verordnung sieht es hingegen nicht mehr als obligatorisch an, dass jeder Patient ein Leben ohne Substitution anstrebt.
Eine Einschränkung, mit der die meisten Substitutionspatienten leben: Sie müssen täglich zu ihrem Arzt oder der Klinik gehen, um sich dort ihr Medikament abzuholen. Das erschwert besonders einen Arbeitsalltag. Es gibt jedoch andere Möglichkeiten. „Wer mindestens drei bis sechs Monate ohne Konsum von zusätzlichen Drogen zuverlässig zur Substitution kommt und die Dosis stabil hält, kann auf ein ‚take home‘ eingestellt werden“, sagt Malte Bumb. Das bedeutet, der Patient bekommt in der Regel sechs Tagesdosen mit nach Hause. So muss er nur einmal pro Woche in die Ambulanz. Dafür ist ein großes Vertrauen zwischen Arzt und Patient nötig.
Seit Anfang 2019 können Ärzte Buprenorphin außerdem als Depot verabreichen. Es muss dann nur einmal pro Woche oder sogar pro Monat gespritzt werden – ein wertvoller Gewinn an Selbstständigkeit und Flexibilität, findet Malte Bumb. Er hat mit dem Präparat bereits gute Erfahrungen gemacht.
Auch für die Substitutionsärzte könnte es hilfreich sein, wenn die Abhängigen seltener zu ihnen kommen. Denn auf immer mehr Patienten kommen immer weniger Ärzte. „Für die Betroffenen ist das ein großes Problem“, erklärt Daniela Ludwig. „Entweder sie finden gar keinen Arzt, oder müssen weite Wege in Kauf nehmen.“ Besonders auf dem Land gibt es häufig lange Anfahrtswege.
Ludwig sieht ihre Aufgabe darin, bei den Ärzten Werbung für die Substitutionstherapie zu machen. Mit den Kassenärztlichen Vereinigungen möchte sie gemeinsam versuchen, die Last der einzelnen Ärzte abzumildern. In jedem Fall sieht Ludwig die Substitution als erstklassige Therapie bei Opioid-Sucht, die unbedingt gefördert und verbreitet werden sollte.
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