Ein guter Freund von mir arbeitet in der Autoindustrie. Beide Namen möchte ich bewusst nicht nennen und bitte um Verständnis dafür. Neben den allgemeinen Schutzmaßnahmen wie Abstand, Maske und Hygiene wurden seit einer Woche auch fast sämtliche Ventilatoren abgeschaltet. Es arbeiten nur noch die Absauganlagen an den Arbeitsorten, wo giftige Gase entstehen.
22:30 Uhr klingelt es an der Türe. An diesem Tag war's bei uns 31 Grad, natürlich abends nicht mehr. Mein Kumpel steht vor der Türe, kreidebleich, kalter Schweiß auf der Stirn und er zitterte. Ich erschrak, denn er sah aus, als würde er jeden Moment zusammen brechen. Mir blieb schier das Herz stehen. Ich stütze ihn sofort, um ihm zu helfen rein zu kommen. Bat ihn, sich hinzulegen. Er konnte kaum reden und sagte nur leise: "Nein. Wasser." Also gut, keine Diskussionen jetzt, daß sich beim Liegen der Kreislauf leichter erholt, ich half ihm, sich zu setzen. "Wieviel hast du getrunken heute?" "3 Liter" Ich spurtete los, um Wasser zu holen. "Hier ist Wasser, trink". Die 3 Liter bezogen sich nur auf die Arbeitszeit. Davor, zuhause, trank er auch schon Kaffee und Wasser. Dann rannte ich wieder los und holte Korodin-Tropfen. Auf einen Würfel Zucker tropfte ich 15 Tropfen. Er ist groß, geschätzt ca 1.85m, breite Schultern, muskulös mit leichtem Bauchansatz und wog schätzungsweise 100 bis 110kg. Bei der Masse und dem schlechten AZ hielt ich diese Überdosierung für angebracht. "Soll ich den Rettungsdienst holen?" Er "Nein, geht schon." Diese Antwort hatte ich schon erwartet, kenne ihn ja! "Hast du auch ausreichend gegessen?" "Ja, wie immer." Ich ließ ihn dann in Ruhe, damit er nicht weiter sprechen musste bis die Farbe in seinem Gesicht wieder zurück kehrte. Ich fragte ihn daraufhin wieder, ob er sich etwas hinlegen möchte, um sich auszuruhen. "Nein, alles gut, wird schon wieder". Seine Gesichtsfarbe war wieder da, aber er zitterte noch. Das Zittern brauchte ca eine dreiviertel Stunde bis es verging. Dann fing er an zu erzählen. "Seit kurzem haben sie neue Schutzmaßnahmen eingeführt , die Ventilatoren sind jetzt aus. Jetzt ist es noch heißer. Ich hab geschwitzt, dass nicht mehr schön war."
Zum Verständnis: Mein Zuhause liegt auf direktem Weg zu seiner Arbeit, ca in der Hälfte der Strecke. Er musste also nur anhalten, ohne jeglichen Umweg zu nehmen und das tat er, weil er das Gefühl hatte, es nicht mehr bis nach Hause zu schaffen. Zudem ist er ein Mensch, der mit Hitze nicht so kann. Er schläft im Winter ohne Heizung und mit gekipptem Fenster. Für mich völlig unvorstellbar wie man so etwas als angenehm empfinden kann, aber so ist er halt. Mich wundert nicht, dass es gerade ihn als Ersten erwischt hat, bzw. als Zweiten. Ein weiterer Mitarbeiter gehört zu der Risikogruppe und trug aus Angst vor einer Ansteckung freiwillig eine FFP2-Maske. Entweder hat man ihm nicht gesagt, dass er Pausen einlegen muss oder er hat es bewusst aus Angst heraus ignoriert. Der kippte letzte Woche um, aber noch während der Arbeit und aufgrund der falschen Benutzung der Maske. Es war das erste und letzte Mal, das er diese Maske trug, berichtete mein Kumpel.
Selbstverständlich macht es Sinn die Ventilatoren abzuschalten, denn sie verteilen das Virus mit all ihrer Kraft und machen so die Abstandsreglung fast schon überflüssig bzw. müsste man noch größere, vermutlich nicht mehr realistisch umsetzbare Abstände einhalten . Dafür wurde es aber in der Halle nur noch heißer und dämpfiger als zuvor.
Ein Dilemma. Auf der einen Seite, die wirklich notwendigen Schutzmaßnahmen, auf der anderen Seite, die erhöhte körperliche Belastung an den wirklich "heißen" Arbeitsplätzen. Und davon gibt's einige, schlecht isolierte Produktionshallen, Gießerei, Glasherstellung, Küchen...
Was wird sein, wenn der Hochsommer mit der Hitzewelle da ist?
Ob sie dann
a) die Schutzmaßnahmen wieder lockern, also z. B. die Ventilatoren wieder anschalten.
b) die Mitarbeiter Hitzefrei/Coronafrei bekommen
c) wenn nicht a und b, ob sie dann umfallen wie die Fliegen
d) trotz der erschwerten Umständen alles gut geht
oder e) eine weitere Möglichkeit, die mir noch nicht eingefallen ist, sein wird.
Dieser Beitrag soll nicht die Schutzmaßnahmen in Frage stellen, sondern lediglich daran erinnern, daß die Umsetzung nicht für jeden einfach ist.
Die Menschen, deren Arbeitsplatz bereits unter "normalen" Umständen körperlich herausfordernd ist, und sie trotzdem die Schutzmaßnahmen brav befolgen, wünsche ich beste Gesundheit und das sie den Sommer gut überstehen. Auch sie haben unseren Respekt (und Applaus) verdient.