Wissenschaftler haben ein neues Antibiotikum entdeckt, das seine Gegner auf zwei Arten außer Gefecht setzt: Wie ein Pfeil dringt es durch die Schutzhülle eines Bakteriums und verteilt dann ein tödliches Gift.
In der EU erkranken jährlich rund 670.000 Menschen an Infektionen durch antibiotikaresistente Erreger, ca. 33.000 Menschen pro Jahr versterben daran. Neue Antibiotika werden daher dringend benötigt. Besonders problematisch sind resistente gramnegative Bakterien. „Sie sind durch eine zusätzliche äußere Membran geschützt“, erklärt Prof. Till Schäberle, Projektleiter am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF). „Diese Hülle macht es den Wirkstoffen besonders schwer, an ihren Wirkort (ihr Target) zu gelangen.“
Trotz intensiver Forschung stockt die Entwicklung neuer Wirkstoffe. „Die Antibiotika-Entwicklungspipeline ist ausgetrocknet“, meint der Experte. „Die meisten Substanzen, die sich derzeit in der Entwicklung befinden, sind Derivate von bereits existierenden Klassen. Das heißt, bekannte Substanzen wurden nur leicht modifiziert und es kann durchaus sein, dass Bakterien auch gegen diese schnell Resistenzen entwickeln werden.“
Könnte Forschern der Princeton University ein Durchbruch gelungen sein? Bei dem Screening von über 33.000 Substanzen mit antibiotischen Eigenschaften entdeckten sie ein Molekül mit dem Namen SCH-79797. In ihrer Studie, die kürzlich in Cell erschien, berichten die Wissenschaftler, dass das Molekül nicht nur in der Lage ist, die Schutzschicht gramnegativer Bakterien zu durchlöchern, sondern auch einen essenziellen Stoffwechselweg in den Zellen zu hemmen. Es wirkt sowohl gegen gramnegative als auch grampositive Bakterien.
„Die Autoren haben eine hervorragende Leistung erbracht, den Wirkmechanismus des Moleküls aufzuklären“, kommentiert der Experte die Studie, an der er nicht beteiligt war. „Das Interessante ist, dass es einen doppelten Wirkmechanismus hat. Diese Kombination von zwei Wirkmechanismen in einem Molekül stellte sich als besonders effektiv heraus – deutlich besser als nur die Kombination der beiden Wirkmechanismen durch die Gabe zweier Substanzen.“
Überraschenderweise bildeten sich beim Einsatz dieses Moleküls im Labor nie Resistenzen, selbst bei denjenigen Erregern nicht, die bekanntermaßen schnell gegen Substanzen resistent werden – wie etwa E. coli. Das Molekül schien „unaufhaltbar“ zu sein (engl. irresistible). Die Wissenschaftler tauften die Verbindung daher Irresistin.
Bald zeigte sich allerdings ein großes Problem: Irresistin wirkte zwar gegen Bakterien, war aber auch für menschliche Zellen toxisch, wie sich in Zellkultur-Experimenten herausstellte. Mit einer optimierten Version des Ausgangsmoleküls konnten die Forscher das Problem beheben. „Die optimierte Variante war nun aktiver gegen Bakterien und auch > 100 mal potenter gegenüber Bakterienzellen als humanen Zellen gegenüber“, erklärt Schäberle das weitere Vorgehen des Teams. „Das heißt, dass die aktive Konzentration schneller erreicht wird, ohne toxische Effekte auf den Wirt zu haben.“ Mit der optimierten Substanz konnten sogar bereits mit N. gonorrhoeae infizierte Mäuse erfolgreich behandelt werden.
Die Autoren selbst sind optimistisch: „Wir hoffen, dass [die Entdeckung ] in Zukunft zu besseren Antibiotika – und neuen Arten von Antibiotika – führen wird“, wird der Hauptautor der Studie in einer Pressemitteilung zitiert. Noch ist es allerdings zu früh, darüber zu spekulieren, ob Irresistin es bis zur Marktreife schaffen könnte.
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