Egal ob Amphetamin-Derivate im Selbstversuch oder Homöopathika mit Tetrazepam-Zusatz: Heilpraktiker leisten sich so manchen Ausrutscher. Das neue Patientenrechtegesetz schützt Bürger zwar besser als bisher. Gefährliche Schwachstellen gibt es aber zur Genüge.
Am 4. September vergifteten sich 29 Heilpraktiker bei einer Tagung in Handeloh nahe Hamburg mit Amphetaminen. Staatsanwälten zufolge nahmen sie das verbotene Psychedelikum 2,5-Dimethoxy-4-ethylphenethylamin (2C-E) ein, bekannt als Aquarust. Neben Halluzinationen kam es auch zu Wahnvorstellungen, später zu Herzrasen und Atemnot. Nach der Erstversorgung brachten Ärzte alle Betroffenen in umliegende Krankenhäuser; einzelne Patienten mussten sogar fixiert werden. Wie es zu der Intoxikation kommen konnte, ist nach wie vor unklar. Sollte die Tagungsgruppe das Halluzinogen vorsätzlich als Behandlungsversuch eingenommen haben, drohen nicht nur juristische, sondern auch berufliche Konsequenzen.
Dass Alternativmediziner zu drastischen Substanzen greifen, kam in der Vergangenheit bereits vor. Ein Heilpraktiker hat 250 Patienten das Phantasiemedikament „Sedativa Forte“ verordnet. Es enthielt neben homöopathischen Bestandteilen Tetrazepam in nennenswerter Konzentration – fünf Milligramm pro Kapsel. Grund genug für das Amtsgericht Aurich, den Angeklagten wegen Anstiftung zur Abgabe von Arzneimitteln ohne ärztliche Verschreibung zu verurteilen. Ihr Strafmaß: acht Monate auf Bewährung. Der Heilpraktiker behauptete indes, er habe Tetrazepam 10.000-fach verdünnt einsetzen wollen, was ein ebenfalls beteiligter Apotheker dementierte. Der Pharmazeut hatte Kunden weder über den Inhaltsstoff informiert noch zu möglichen Gefahren beraten. Aufgrund unklarer Beweise blieb es vor dem Landgericht Aurich bei einem Freispruch (Az. 12 Ns 139/12). Diese Einschätzung teilte das Oberlandesgericht Oldenburg als nächsthöhere Instanz nicht (Az. 1 Ss 9/14). Jetzt muss die Beweisaufnahme am Landgericht wiederholt werden. Bei Tetrazepam handele es sich um einen „im Grundsatz verschreibungspflichtigen Arzneistoff“, so die Richter. Damit sei die europäische Rechtsprechung, Rauschmittel stellten keine Medikamente dar, nicht anzuwenden.
Beide Fälle liefen nach aktuellem Kenntnisstand glimpflich ab. Doch was passiert, sollte eine Behandlung zu schwerwiegenden Gesundheitsschäden führen? Zwar hat die Regierung mit ihrem Patientenrechtegesetz Bürger deutlich besser gestellt. Die Dokumentation gemäß Paragraph 630f BGB gilt bei Juristen als vertragliche Nebenpflicht. Ein Mindestmaß hinsichtlich des Umfangs ergibt sich aus dem Gesetzestext. Damit nicht genug: Aufklärungspflichten gemäß §630e BGB sind für Heilpraktiker ebenfalls relevant. Wer neue, bislang wenig erforschte Methoden anwendet, sollte Patienten vollumfänglich informieren und dies dokumentieren. Bei Tetrazepam fehlten entsprechende Aufzeichnungen, was zwischenzeitlich zur Pattsituation geführt hat. Patienten dachten, sie würden ein vermeintlich harmloses Homöopathikum einnehmen. Kommt es tatsächlich zu unerwünschten Effekten, greift § 630h BGB. Unterlässt es ein Heilpraktiker, wichtige Befunde zu erheben und zu dokumentieren, kann es zur Umkehr der Beweislast kommen. Ähnlich sieht die Situation bei fehlenden Unterlagen zu Aufklärungsgesprächen aus. Bleiben noch grobe Behandlungsfehler. Gelangt ein derartiger Fall vor Gericht, müssen Heilpraktiker belegen, dass ihre Behandlung nicht maßgeblich zum Schaden geführt hat.
Trotzdem ist das Patientenrechtegesetz nicht frei von nebulösen Grauzonen. In §630a BGB erwähnt der Gesetzgeber „allgemein anerkannte fachlichen Standards“ als Grundlage eines Behandlungsvertrags. Bei schulmedizinischen Therapien sind fachärztliche, wissenschaftlich gesicherte Therapien zweifelsohne das Maß aller Dinge. Doch wie lassen sich alternativmedizinische Methoden bewerten? Das Verwaltungsgericht Oldenburg hat sich mit der Problematik intensiv auseinandergesetzt (Az: 7 A 1324/08). Entscheidet sich ein Patient beispielsweise nach Abbruch fachärztlicher Therapien für den Heilpraktiker, so „weiß er in der Regel, dass dieser keine naturwissenschaftlich-fachmedizinische Kompetenz besitzt“, heißt es im Schriftsatz. „Der Heilpraktiker muss daher grundsätzlich nur begrenzt auf die unzureichende Erfolgskontrolle seiner Heilmethode aus fachmedizinischer Sicht hinweisen.“ Ihm bleibt aber nicht erspart, Patienten über Erfolgsaussichten und Nebenwirkungen aufzuklären.
Mit bekanntermaßen wirkungslosen oder schädigenden Verfahren wird die Grenze der Therapiefreiheit deutlich überschritten (OLG München, Az. 27 U 68/88). Insbesondere müssen Heilpraktiker selbst einschätzen, wo ihre Grenzen liegen. Sind sie nicht in der Lage, bei einem bestimmten Krankheitsbild fundierte Diagnosen zu stellen und sachgerechte Heilbehandlung einzuleiten, dürfen auch keine Versuche unternommen werden (Bundesgerichtshof, Az. VI ZR 206/90). Sollten Heilpraktiker auf invasive Behandlungsmethoden zurückgreifen, gelten für sie die gleichen Sorgfaltspflichten wie für Ärzte. Viele Laien kennen die Hintergründe aber nicht.