In meiner Praxis naht die erste Corona-Abrechnung, wir ziehen eine erste wirtschaftliche Bilanz. Überraschung: Die sieht nicht gut aus.
Vorangestellt: Ich bin ein gebranntes Kind. Auch nach über 10 Jahren KV-Abrechnungen bin ich immer noch nicht sicher, wieviel im Endeffekt dabei rumkommt. Bei jeder Abrechnung, die zurückkommt, bin ich auf das Schlimmste vorbereitet, nachdem ich einmal bei einem Fallzahlzuwachs von 15 % durch einen Fehler 15 % Honorar im Vergleich zum Vorjahr nicht mehr, sondern weniger bekam. Und das gleich für zwei Quartale hintereinander, da ich die nächste Abrechnung schon mit demselben Fehler abgegeben hatte. Damals wusste ich schon einmal nicht, wie ich die Rechnungen und Gehälter zahlen sollte. Und ich fürchte, genau das steht mir jetzt wieder bevor.
Die KV-Fälle meiner Praxis werden wahrscheinlich bei -20 % landen. Der initiale Einbruch des Aprils konnte nicht mehr aufgeholt werden. Klar, wir haben es nicht forciert. Vorsorgen wurden nur auf Zuruf und nur wenn es sich nicht vermeiden ließ, durchgeführt, DMPs verschoben und vertröstet. Wir haben nur gemacht, was wichtig und notwendig war. Nur wirklich wichtige Medizin. Das hat auch irgendwie gut getan.
Auch Einbestellung von Privatpatienten zum Check-Up, wie es wohl von manchem schon in der Hochzeit der Ansteckungsgefahr betrieben wurde, fand ich ethisch nicht vertretbar. Überhaupt – der Privatbereich scheint noch mehr eingebrochen zu sein als der Kassenbereich.
Also Fallzahlen von Quartal 2: GKV voraussichtlich -20 %. Gnädigerweise haben sich wohl KV und Krankenkassen in Nordrhein herabgelassen, die Verluste im Vergleich zum Vorjahr auf maximal -10 % zu beschränken. Das fühlt sich jetzt allerdings nicht so gut an. Denn eigentlich habe ich so viel und so intensiv gearbeitet wie noch nie in meinem Leben. Dazu die Belastung, über Woche den Fixpunkt für das Stadtviertel darzustellen und selber mit der eigenen Angst klarzukommen. Natürlich ist der Dank der Patienten das Wichtigste. Und der Stolz, das Ganze gut geschafft zu haben. Aber: Es ist nicht richtig.
Jaja, Ärzte verdienen zu viel und so. Aber nur mal zum Vergleich: Um auf das Gehalt eines Oberarztes in der Klinik zu kommen, müssen wir Niedergelassene uns ganz schön strecken. Und vor allem Patienten wie am Fließband abarbeiten. Ein volles Wartezimmer ist also Garant des Umsatzes. Und das ist schon der nächste Punkt. Wie sollen wir das bitte schön in den kommenden Monaten machen? Was für die Restaurants gilt, gilt für uns schon lange: Abstand halten, kurze Aufenthalte in Wartezimmer und Praxis, Schutz der Mitarbeiter und Patienten. Das Schlimmste wäre doch, wenn sich Patienten bei uns anstecken würden.
Die Frage stellt sich sowieso: Werden die Patienten strömen wie vorher? Oder wird sich das auf ein neues, vielleicht vernünftigeres Maß einpendeln? Denn dass die Patienten in Deutschland zu häufig zum Arzt gehen, ohne davon gesünder zu werden und länger zu leben, ist ja bekannt.
Die ersten Verhandlungen mit den Krankenkassen lassen Schlimmstes befürchten, soweit ich das mitbekommen habe. Mit kolportierten Millionen, ach was, Milliarden an Defiziten bringen sie sich in Stellung. Die vorgehaltenen Krankenhausbetten wurden inzwischen schön ausbezahlt und halfen offensichtlich, dass sich so manche Klinik sanieren konnte.
Aber was ist denn mit unseren vorgehaltenen Praxen? Für hunderte Millionen wurde Schutzkleidung gekauft, die uns dann irgendwann zur Verfügung gestellt wurde – nachdem wir vorher für Mondpreise selber kaufen mussten. Auch dieses Geld wird uns mit Sicherheit noch um die Ohren gehauen. Dazu sollen unzählige Test gemacht werden, größtenteils aus unserem Budget. Am besten noch, wie unlängst in Köln, massenhaft durch die Uniklinik durchgeführt. Weil ja so viele Kapazitäten ungenutzt waren. Nichts gegen Testungen, die wir übrigens auch in den Praxen durchführen können. Ich halte das für essenziell und wichtig in unserer derzeitigen Pandemie-Situation. Aber das darf nicht zu Kürzungen von unseren Honoraren führen.
Mit Grauen denke ich an die Abrechnungen ab Herbst. Aber das ist doch nicht das Schlimmste. Denn ich wüsste keinen Grund, weshalb die COVID-Fälle nicht spätestens zum Herbst hin wieder stark ansteigen sollten. Dann kann es natürlich sein, dass sich nicht so viele Patienten davon beeindrucken lassen wie im März und April und wir mehr zu tun haben werden. Das wird schlimm. Aber gut für den Geldbeutel.
Vielleicht auch werden starke Wellen kommen, wenn sich keiner mehr bemüßigt fühlt, sich und andere vor der vermeintlichen „Grippe“ zu schützen. Dann werden wir mit den COVID-Patienten viel zu tun haben, die dann von den Krankenhäusern nicht mehr versorgt werden können. Super, der Umsatz ist gesichert! Vielleicht können wir bei der Gelegenheit auch noch einen Check-Up machen.
Nein, so will ich nicht denken. Es ist Zeit, etwas zu ändern. Wir können nicht für so wenig pro Patient arbeiten wie bisher. Der Aufwand muss berücksichtigt werden. Die Gefahr muss berücksichtigt werden. Unsere Arbeit muss respektiert werden (ein Lieblingswort von mir)!
Wir müssen uns auf unsere Arbeit konzentrieren, die wir gut machen. Wir können in diesen Monaten (und eigentlich auch schon vorher) nicht jedem Cent hinterherhecheln. Nur als jüngstes Beispiel und weil es so absurd ist: Wie war das mit dem eArztbrief? „Förderung“ von 27 Cent bis zu einer Höchstgrenze von sage und schreibe 23,40 Euro – da zahle ich viel mehr für das Eintippen der Ziffern. Ganz zu schweigen vom Ärger und der latenten Übelkeit, die solche „Anreize“ inzwischen bei mir verursachen.
Die ersten Bürokratiemonster erheben sich wieder. Verordnungsdauern für medizinische Krankenpflege werden bemängelt, MDK-Anfragen wegen Krankmeldungen waren auch während des Lockdowns durchgehender Gast auf meinem Schreibtisch, immer gerne gesehen …
Die Welt wird nach der Corona-Pandemie eine andere sein. Das ist vielleicht aber die Gelegenheit, auch den Wildwuchs der Bürokratie und der Abrechnung mal richtig zu stutzen. Denn jetzt merkt man, was wirklich wichtig ist. Wenn wir uns in Zukunft darauf beschränken würden, wird das auch insgesamt nicht so viel kosten.
Es geht im kommenden Jahr um das Überleben von mancher Praxis. Jeder, der jetzt sagt, das betreffe ihn nicht, muss sich nur vorstellen, den 20 % Umsatzverlust ein Jahr lang durchzustehen. Denn solange wird die Pandemie mindestens noch dauern.
Und Geld wird für die nächste Welle nicht mehr da sein. Der Staat hat jetzt mit großen Kanonen sein Pulver verschossen. Bei Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise haben auch die Kassen sinkende Einnahmen. Jeder wird Einschnitte zu spüren bekommen. Das wird in der neuen Normalität noch ein großer Verteilungskampf werden um immer weniger Geld. Leider.
Deswegen: Lasst uns das Geld richtig verteilen. Und damit auch für die Zukunft die richtigen Zeichen setzen.
Über den Autor:Dr. Tim Knoop ist Facharzt für Innere Medizin und hausärztliche Versorgung. Er leitet eine hausärztliche internistische Praxis in Köln mit 24 Angestellten, davon 9 angestellte Ärzte.
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