Der Erbgut-Sensor cGAS wird durch kurze Doppelstrang-Stücke und Guanosine im Einzelstrang in der DNA von Retroviren aktiviert. Dem HI-Virus 1 gelingt es dabei, teilweise der Entdeckung vom Immunsystem zu entgehen, indem es Guanosine aus seiner DNA eliminiert.
Die angeborene Immunität beruht auf spezialisierten Rezeptoren, die fremde Strukturen, zum Beispiel Zellwand-Bestandteile von Bakterien oder auch das Erbgut von Viren, erkennen. Als Erbgut-Sensor fungiert dabei die zyklische GMP-AMP-Synthase cGAS. Wenn cGAS virale DNA erkennt, beginnt eine Kaskade, in deren Zug das Immunsystem aktiviert wird und sich die Zelle und ihre Nachbarn gegen die Virusinfektion wappnen. Die DNA vieler Viren ist doppelsträngig. Bislang dachte man, dass cGAS nur solche doppelsträngige DNA erkennen kann. Das Erbgut von Retroviren wie HIV-1 besteht dagegen aus RNA, die einzelsträngig ist. Wenn sich Retroviren in menschlichen Zellen vermehren, wird die RNA in DNA umgeschrieben. Auch diese ist dann aber einzelsträngig. Entsprechend groß war die Überraschung, als man entdeckte, dass cGAS auch durch das HI-Virus 1 aktiviert wird.
Den ersten Schritt zu einer Erklärung lieferten kürzlich verschiedene Arbeitsgruppen: Sie konnten zeigen, dass Einzelstrang-DNA sogenannte „Haarnadel“-Strukturen ausbilden kann. Solche DNA-Strukturen bilden dann also kurze Doppelstränge, und diese werden vom cGAS-Sensor detektiert. „Die Haarnadel-Strukturen, die sich bei HIV-1 ausbilden können, sind aber eigentlich zu kurz, um von cGAS erkannt zu werden“, sagt Dr. Martin Schlee. Der Forscher vom Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie am Uniklinikum Bonn ist Letztautor der Studie. Zusammen mit Kollaborationspartnern aus Bonn, München und Erlangen konnte seine Arbeitsgruppe nun zeigen, warum es dennoch funktioniert: cGAS erkennt zusätzlich zu dem kurzen doppelsträngigen Stück Guanosine im nicht verdrillten einzelsträngigen Stück. Dadurch wird die zelluläre Antwort deutlich verstärkt. „Wenn wir die Guanosine aus diesen Strukturen entfernen, kann die Zelle nicht mehr auf die einzelsträngige DNA reagieren“, erläutert Erstautorin Anna-Maria Herzner. „Wenn wir zusätzliche Guanosine einfügen, reagiert sie dagegen stärker.“
Interessanterweise ist die DNA, die während der HIV-1-Infektion entsteht, besonders arm an Guanosinen. „HIV-1-Viren scheinen durch das Immunsystem darauf selektioniert worden zu sein, Guanosine aus ihrer DNA zu eliminieren“, sagt Prof. Dr. Gunther Hartmann, Leiter des Instituts für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie sowie Sprecher des Exzellenzclusters ImmunoSensation. „Möglicherweise gelingt es ihnen so, einer Entdeckung durch die Zelle teilweise zu entgehen.“ Dass diese DNA-Erkennung tatsächlich von großer klinischer Bedeutung ist, zeigt eine neue Arbeit des Massachusetts Institute of Technology in Boston. Es gibt Menschen, die mit HIV-1 infiziert sind, das Virus aber so gut unterdrücken, dass es nicht mehr nachweisbar ist. Bestimmte Immunzellen dieser „Elite Controller“ reichern so viel HI-Virus-DNA an, dass diese – möglicherweise über die noch verbleibenden Guanosine – dennoch erkannt werden kann. Sie lösen so eine starke Immunantwort aus, die das Virus dauerhaft unterdrückt. Somit scheint das HIV-1-Erbgut auch in diesen Immunzellen über den von Dr. Martin Schlee und Kollegen entdeckten Mechanismus erkannt zu werden. Originalpublikation: Sequence-specific activation of the DNA sensor cGAS by Y-form DNA structures as found in primary HIV-1 cDNA Anna-Maria Herzner et al.; Nature Immunology, doi: 10.1038/ni.3267; 2015