Lassen sich hoch infektiöse Noroviren mit Zitronensaft entschärfen? Studien am Modellsystem zeigen, dass Citrate eine gewisse Aktivität haben könnten. Viele Fragen bleiben offen. Konsumenten freuen sich trotzdem über diese Erkenntnis.
Notstand durch Noroviren: Anfang September legten die Erreger ein Krankenhaus in Birkenfeld (Rheinland-Pfalz) lahm; wenige Wochen zuvor kamen Hibosbotschaften von einem Rheinschiff. Vor genau drei Jahren infizierten sich über 11.000 Menschen aus Ostdeutschland. Sie hatten kontaminierte Erdbeeren gegessen. Das Robert-Koch-Institut gibt für 2014 mehr als 75.000 gemeldete Fälle an – bei hoher Dunkelziffer. Altenheime oder Krankenhäuser gelten als besonders kritische Bereiche. Für Patienten mit Vorerkrankungen kann eine Gastroenteritis schnell gefährlich verlaufen.
Warum gerade Noroviren zum Problem werden, hat mehrere Ursachen. Biologen sprechen von einer großen Umweltstabilität. Noroviren überstehen minus 20 bis plus 60 Grad. In einem Teppichboden bleiben Partikel bis zu zwölf Tage lang infektiös. Aerosole mit Noroviren sind ebenfalls gefährlich; sie verbreiten sich einer Studie zufolge meterweit – selbst außerhalb von Patientenzimmern. Ihre Kontagiosität ist vergleichsweise hoch. Bereits zehn bis 100 Partikel können zur Infektion führen. Impfstoffe gibt es trotz erster Versuche im Labor noch nicht; die Antigendrift bereitet Probleme. Bleiben nur Maßnahmen zur Desinfektion mit geeigneten Wirkstoffen.
Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg berichten jetzt von Erfolgen mit Zitronensäure. Schon vor Jahren hatte Dr. Grant Hansman entdeckt, dass Citrate an die Kapselproteine von Noroviren binden. Diesen Zufallsbefund verfolgte er jetzt weiter. Da sich Noroviren in vitro nicht einfach züchten lassen, verwendete Hansman keine intakten Erreger, sondern „virus-like particles“, also Modellsysteme. Nach Zugabe von Citrat änderten diese Teilchen ihre Gestalt, was sich per Röntgenstrukturanalyse nachweisen ließ. Das organische Molekül war an Bindungsstellen zu finden, die bei Infektionen Relevanz haben. Hansman hofft jetzt auf ein „sicheres und gesundheitlich unbedenkliches Desinfektionsmittel“ für den Haushaltsbereich.
Die Laienpresse reagierte geradezu euphorisch. „Noroviren lassen sich mit Zitronensaft bekämpfen“ (Augsburger Allgemeine), „Das Mittel gegen Noroviren liegt in Ihrem Kühlschrank“ (Focus online) oder „Zitronen helfen gegen Brechdurchfall“ (MDR Nachrichten). Gibt es neben jedem Krankenhaus bald einen Obstladen? Tatsache ist, dass Grant Hansman mit reinem Citrat, einer Laborchemikalie, gearbeitet hat. Zitronensaft? Fehlanzeige! Inwieweit sich Citratlösung als Desinfektionsmittel oder sogar als Therapeutikum eignet, bleibt ebenfalls unklar. Die Forschergruppe hat lediglich mit Modellsystemen experimentiert. Zum Glück gibt es viruzide, wissenschaftlich geprüfte Desinfektionsmittel.