Das Medizinjournal „Vaccine“ widmete sich jüngst mit einer Sonderausgabe dem Thema Impfskepsis. Darin fordern Experten der WHO, dass sich Immunisierungsprogramme systematisch mit kritischen Stimmen zum Impfen auseinandersetzen – und zwar von Anfang an.
Der Berliner Masern-Ausbruch im Frühjahr dieses Jahres dürfte den meisten Ärzten noch lebhaft in Erinnerung sein. Dass das Thema Impfen und Impfskepsis nicht nur dann eine Erwähnung wert ist, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist und die Krise ihren Lauf genommen hat, zeigt die aktuelle Sonderausgabe von „Vaccine“. Dort beleuchten Experten beispielsweise, welche Rolle Impfskepsis bei der Limitierung von Durchimpfungsraten spielt. „Vakzine können nur dann die Gesundheit verbessern und Todesfälle verhindern, wenn sie auch genutzt werden“, erklärt Dr. Philippe Duclos, leitender Gesundheitsberater der WHO und Gast-Editor der Sonderausgabe. „Immunisierungsprogramme müssen hohe Durchimpfungsraten erreichen und halten. Impfskepsis ist ein Aspekt, dessen Einfluss zunehmend an Bedeutung für landesweite Impfprogramme gewinnt.“ Doch in der Sonderausgabe geht es nicht nur darum, die Tragweite des Problems zu erfassen, sondern vor allem darum, Lösungen zu finden.
Im Vorwort zur „Vaccine“-Sonderausgabe fassen die Autoren zusammen, welche Maßnahmen ihrer Meinung nach nötig sind, um dem Problem der Impfskepsis zu begegnen:
„Wie die jüngste Ebola-Krise tragisch gezeigt hat, ist der Dreh-und Angelpunkt von Erfolgen im Gesundheitswesen, Gemeinschaften einzubeziehen und Individuen davon zu überzeugen, ihre Gewohnheiten und ihr Verhalten zu ändern“, so die Autoren des Vorworts. „Dasselbe gilt für den Kampf gegen die Impfskepsis.“
Die Frage nach der Sicherheit von Impfstoffen kann nach Ansicht der WHO-Experten zwar eine wichtige Rolle bei der Impfskepsis spielen, doch ist es bei weitem nicht der einzige Einflussfaktor. Ein beliebtes Modell, um die Gründe für Impfskepsis zu untersuchen, ist das Drei-C-Modell: Hierin werden die möglichen Gründe für Impfskepsis einer von drei Kategorien zugeordnet – confidence, complacency und convenience. Zuversicht (confidence) bedeutet nicht nur, Vertrauen in die Sicherheit und Wirksamkeit eines Vakzins zu haben, sondern auch in das Gesundheitssystem und dessen Mitarbeiter sowie in die Entscheidungsträger, die über die notwendigen Vakzine urteilen. Selbstzufriedenheit (complacency) besteht dann, wenn das vermeintliche Risiko für durch Impfschutz vermeidbare Krankheiten gering ist und eine Impfung als unnötige Schutzmaßnahme angesehen wird. Gerade erfolgreiche Impfprogramme können zu erhöhter Nachlässigkeit beim Impfen führen, da Individuen die Risiken eines Vakzins gegenüber dem Risiko abwägen, an einer dann nicht mehr häufigen Krankheit zu erkranken. Convenience wiederum wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst, beispielsweise durch Verfügbarkeit, Erschwinglichkeit, Erreichbarkeit und wie hoch die Bereitschaft ist, für den Impfstoff zu bezahlen. Auch die Qualität der Leistung sowie Zeitpunkt, Ort und kultureller Kontext, in dem eine Impfung verabreicht wird, wirken sich auf die Impfentscheidung aus und können so zu Impfskepsis führen.
Die drei Cs sind nicht nur abstrakte Konzepte aus einem WHO-Bericht, sondern spielen auch in Deutschland eine wichtige Rolle bei der Entscheidung für oder gegen eine Impfung. Der 2012 veröffentlichten Infektionsschutzstudie der BZgA zufolge hat etwa ein Drittel (31 %) der befragten Deutschen zumindest teilweise Vorbehalte gegenüber dem Impfen, 8 % stehen dem Impfen eher ablehnend gegenüber – in Westdeutschland ist der Anteil der Impfskeptiker übrigens doppelt so hoch wie in Ostdeutschland. Als Gründe gegen eine Impfung gaben 48 % an, dass sie die Krankheit, gegen die sie geimpft werden sollten, als nicht besonders schwer einschätzten (complacency). 35 % verzichteten aus mangelndem Vertrauen in die Wirksamkeit auf eine Impfung, 33 % fürchteten sich vor Nebenwirkungen und ein Viertel der Befragten gab an, aufgrund von impfkritischen Medienberichten von einer Impfung abgesehen zu haben (confidence). 23 % war es einfach zu zeitaufwändig, extra für die Impfung einen Arzt aufzusuchen (convenience).
Da die Gründe für Impfskepsis vielfältig sind, gibt es auch keine Wunderwaffe gegen das Phänomen. Eine effektive Kommunikation ist aber eine Schlüsselmaßnahme, um Ängste abzubauen, Sorgen anzusprechen und die Akzeptanz von Impfungen zu erhöhen. Dass der Ärzteschaft hierbei eine entscheidende Rolle zukommt, zeigt ein Blick auf die 2011 veröffentlichte Elternbefragung der BZgA zum Thema „Impfen im Kindesalter“. In dieser bundesweiten repräsentativen Befragung von Eltern mit Kindern von 0 bis 13 Jahren gaben 35 % der Eltern an, einzelne Impfungen aufgrund von Vorbehalten abzulehnen („impfskeptische Einstellung“). Die Hauptinformationsquelle der Eltern waren Ärztinnen und Ärzte (93 %). Als weitere Informationsquellen folgten Printmedien wie Informationsbroschüren und Flyer (63 %), Gespräche mit anderen Eltern (41 %) oder mit einer medizinischen Fachkraft (40 %). Nur 26 % gaben damals das Internet als Informationsquelle an – der Anteil dürfte heute, 5 Jahre später, deutlich höher liegen. Doch Informationen können nur dann wirken, wenn sie auch gehört werden. Das Problem: Die Infektionsschutzstudie der BZgA hat gezeigt, dass Menschen, die dem Impfen generell eher ablehnend gegenüberstehen, auch mehrheitlich (94 %) kein Interesse an weiteren Informationen zum Thema haben. Trotzdem: Den Impfgegnern kampflos das Feld zu überlassen, kann und darf keine Lösung sein.