„Sonst bekomme ich doch immer noch Taschentücher dazu“, so die erstaunte Beschwerde einer Kundin in unserer Apotheke. In solchen Situationen kann ich mich nur schulterzuckend wiederholen: Wir dürfen das einfach nicht mehr.
Nun ist er endlich beigelegt, der scheinbar unendlich währende Kuschelsocken-Streit, der schon sechs Jahre lang die Gerichte beschäftigte. Um es kurz zu machen: Die Revision wurde abgelehnt, und es ist Apotheken weiterhin untersagt, ihren Kunden Geschenke für das Einlösen eines Rezeptes zu machen.
Im Grunde keine Überraschung, aber der ein oder andere Kunde hat das noch nicht verstanden, weil bei den Apotheken mit zweierlei Maß gemessen wird. Ausländische Apotheken dürfen das nämlich durchaus.
Das Urteil im Kuschelsocken-Streit erstaunt die Apothekenwelt nicht, denn es reiht sich ein in eine ganze Linie von gleichlautenden Entscheidungen. Alle gründen sich darauf, dass deutsche Apotheker ihren Kunden beim Erwerb verschreibungspflichtiger und sonstiger preisgebundener Arzneimittel keine geldwerten Vorteile gewähren dürfen. Dies regelt die Arzneimittelpreisverordnung.
Dieser Einheitspreis gilt sowohl für das Gewähren von Rabatten oder sonstigen Preisnachlässen als auch für Zuwendungen, Gutscheine und Werbegaben. Dabei gibt es auch keine Bagatellgrenze. Das mussten bereits früher schon viele Apotheker am eigenen Leib erfahren. Urteile gibt es dazu viele – im Grunde viel zu viele.
Am bekanntesten wurde das Ofenkrusti-Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) aus dem Jahr 2019. Hier händigte eine Apothekerin aus Darmstadt ihren Kunden im September 2014 einen Brötchen-Gutschein über „2 Wasserweck oder 1 Ofenkrusti“ aus, wenn diese ein Rezept bei ihr vorlegten. Dieser Gutschein konnte bei einer nahegelegenen Bäckerei eingelöst werden. Kläger war die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Auch die Ausgabe eines 1-Euro-Gutscheines als Rabatt für die nächste Bestellung in einer Berliner Apotheke wurde durch den BGH verboten.
Die Gründe für diese Urteile gegen die Apotheken liegen in § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG begründet. Der Verbraucher soll bei bei seiner Entscheidung, ob und welche Heilmittel er in Anspruch nimmt, durch die Aussicht auf Werbegaben, Gutscheine oder Rabatte nicht unsachlich beeinflusst werden. Zudem soll durch dieses Instrument ein möglicherweise ruinöser Preiswettbewerb zwischen deutschen Apotheken verhindert und damit die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sichergestellt werden.
Das sieht der BGH so streng, dass selbst die Abgabe einer Packung Taschentücher im Zusammenhang mit einem Rezept über ein verschreibungspflichtiges Medikament nicht mehr statthaft ist. Verboten ist eine Mitgabe nur dann nicht, wenn der Kunde sich noch etwas anderes aus der Sicht- oder Freiwahl der Apotheke mitnimmt, das nicht der Verschreibungspflicht unterliegt.
Den ausländischen Versandapotheken ist es indes weiterhin gestattet, ihren Kunden Boni zu gewähren, Gutscheine zu verteilen oder Gewinnspiele zu veranstalten, selbst wenn diese nur Rezepte dort einlösen. Das Gericht begründet dies mit dem „bislang geringen Marktanteil (…) der ausländischen Arzneimittelversender an der Abgabe von rezeptpflichtigen Arzneimitteln in Deutschland“. Wie lange dies jedoch noch als Begründung aufrecht erhalten werden kann – man schaue sich die derzeit steil ansteigenden Neukundenraten an – wird abzuwarten sein.
Ein Verständnis für dieses Messen mit zweierlei Maß haben weder die deutschen Apotheker, noch deren Kunden. Es ist beinahe zu einer täglichen Aufgabe geworden, den Kunden zu erklären, warum sie nun kein Geschenk mehr zu ihrem Rezept erhalten. „Früher habe ich immer etwas dazu bekommen. Und wenn es nur eine Packung Taschentücher war. Ich kann das nicht verstehen. Wenn ich das Rezept wegschicke, so wie meine Nachbarin, dann kann ich mir sogar noch eine Creme oder ein Päckchen Pflaster, oder eine Packung Ibuprofen kostenlos dazu auswählen!“
Was bleibt ist ein hilfloses Schulterzucken von unserer Seite – denn egal, was die Kundin ausführt, wir dürfen es einfach nicht mehr. Dass eine kostenlose Herausgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel den übermäßigen und nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch fördern kann und das wiederum für uns strafbar wäre, sei an dieser Stelle zusätzlich erwähnt.
Selbst nach langatmigen Erklärungsversuchen gibt es noch immer genügend Kunden, die uns das nicht glauben wollen. Um nicht immer das gleiche erläutern zu müssen, hält Youtube inzwischen ein Kurzvideo für diese Fälle parat. Darin erklärt Holger Wenzel von der Schlossapotheke Pappenheim die Sachlage in unter 2 Minuten. Jetzt sollte es wirklich jeder begriffen haben. Wirklich verstanden hat den Beweggrund für die unterschiedliche Rechtsauffassung und warum der ausländische Versandhandel darf, was wir nicht tun dürfen, hat trotzdem bisher noch niemand in der Apotheke. Weder vor, noch hinter dem HV-Tisch.
Bildquelle: Rosie Kerr, unsplash