Darmwürmer haben ausgeklügelte Methoden entwickelt, um das Immunsystem ihres Wirts „auszutricksen“. Das kann sich auf die Immunantwort gegenüber anderen Erregern auswirken – und so möglicherweise die Wirkung von Impfungen abschwächen.
Infektionen mit Darmwürmern sind ein weitreichendes Gesundheitsproblem: Schätzungsweise 20 Prozent der Weltbevölkerung sind davon betroffen. Viele von ihnen leben in tropischen Ländern, insbesondere im subsaharischen Afrika. Ein Befall mit Darmwürmern wie Rundwurm, Peitschenwurm oder Hakenwurm kann zu Mangelernährung und weiteren Gesundheitsproblemen führen. Besonders gefährdet sind Kinder und schwangere Frauen. Darmparasiten siedeln sich an Orten außerhalb der Zellen an, wo sie durch das Immunsystem ihres Wirts angegriffen werden können. Deshalb haben sie komplexe Mechanismen entwickelt, um die Immunreaktion ihres „Gastgebers“ zu umgehen oder zu unterdrücken. Diese Tricks könnten sich auch auf die Immunantwort des Körpers auf andere Erreger auswirken – und dadurch auch die Wirksamkeit von Impfungen beeinflussen. Die Zusammenhänge sind für Impfprogramme in Entwicklungsländern von Bedeutung – denn diese finden oft in Regionen statt, in denen Wurminfektionen gehäuft vorkommen. Ähnlich wie Darmparasiten können auch andere parasitäre Erkrankungen wie lymphatische Filariose – die durch Fadenwürmer in den Lymphgefäßen ausgelöst wird – oder Bilharziose komplexe Auswirkungen auf das Immunsystem haben und die Wirksamkeit von Impfungen, etwa einer Tetanus- oder Tuberkulose-Impfung beeinflussen.
Der Zusammenhang zwischen Darmwurm-Infektionen und der Immunantwort auf Impfungen wurde bisher erst in wenigen Studien untersucht. Sie zeigen, dass eine Infektion mit Spulwürmern die Immunantwort auf eine Cholera-Impfung reduziert und dass Darmparasiten die Immunreaktion auf einen Lebendimpfstoff gegen Tuberkulose vermindern. Zudem beobachtete ein Forscherteam um Dr. Meral Esen vom Institut für Tropenmedizin der Universität Tübingen, dass bei Kindern mit Darmwürmern die Immunantwort auf GMZ2, einen Impfstoffkandidaten gegen Malaria, negativ beeinflusst wurde [Paywall]. Untersuchungen an Tieren weisen auf ähnliche Zusammenhänge hin. So zeigten Mäuse, die mit einer Bandwurmart infiziert waren, eine geringere Antikörper-Antwort auf eine Pneumokokken-Impfung [Paywall]. Gleichzeitig waren sie anfälliger für eine Pneumokokken-Infektion, während die wurmfreie Gruppe nach der Impfung vollständig vor der Erkrankung geschützt war. Bei oralen Impfungen, etwa gegen Cholera- oder Tuberkulose, geht ein Teil der Effekte vermutlich darauf zurück, dass der Impfstoff schlechter aus dem Magen-Darm-Trakt aufgenommen wird. Allerdings lassen sich auch direkte Auswirkungen auf das Immunsystem nachweisen. So dominieren [Paywall] bei einer Wurminfektion T-Helfer-Zellen vom Typ 2 gegenüber Typ 1, während bei Gesunden beide Arten gleich häufig vorkommen. Gleichzeitig scheinen Darmwürmer Reaktionen der T-Zellen und B-Zellen zu unterdrücken. Dies könnte zu einer generell verminderten Reaktionsfähigkeit des Immunsystems führen. In einer aktuellen Studie im afrikanischen Gabun untersuchten Esen und ihr Team, wie sich eine einmalige Entwurmung auf die Immunantwort von Kindern auf eine Grippe-Impfung auswirkt. Dabei untersuchten sie 98 Schulkinder im Alter von sechs bis zehn Jahren. 21 Prozent waren mit Darmwürmern infiziert. Es zeigt sich, dass der Antikörper-Titer der Kinder, die mit dem Entwurmungsmittel behandelt worden waren, etwas höher war als in der nicht behandelten Gruppe – das Ergebnis war jedoch nicht statistisch signifikant. „In unserer Studie waren weniger Probanden als erwartet mit Würmern infiziert“, erläutert Sina Brückner, Erstautorin der Studie. „Zukünftigen Studien sollten die Zusammenhänge an größeren Stichproben untersuchen – und in Populationen, die stärker von Darmparasiten betroffen sind.“ Dennoch seien die Ergebnisse ein Hinweis darauf, dass sich ein Wurmbefall ungünstig auf die Wirksamkeit einer Grippeimpfung auswirkt.
Impfungen, die in den ersten Lebensmonaten gegeben werden, könnten noch durch einen weiteren Mechanismus beeinflusst sein: Da das Immunsystem bereits im Mutterleib geprägt wird, könnten Wurminfektionen der Mutter das Immunsystem des ungeborenen Kindes verändern – und so die Impfantworten von Babys und Kleinkindern vermindern, obwohl diese selbst nicht von Würmern befallen sind. So untersuchte ein amerikanisch-kenianisches Forscherteam, wie sich ein Parasitenbefall oder eine Malariainfektion der Mutter auf Impfungen gegen Diphterie, Tetanus, Hepatitis B und Haemophilus influenzae (Hib), den Erreger verschiedener Atemwegsinfektionen, auswirkt. Dabei waren Hakenwürmer, aber auch andere parasitäre Erkrankungen wie lymphatische Filariose und Malaria jeweils mit einer schlechteren Immunantwort auf die Hib-Impfung assoziiert. Infektionen mit mehreren Parasitenarten führten zu einer schlechteren Immunreaktion auf eine Hib- und Diphterie-Impfung. Auch Meral Esen und ihr Team untersuchen in einer aktuellen Studie, wie Wurminfektionen bei werdenden Müttern auf die Impfantworten der Kinder beeinflussen. Dabei geht es um die Auswirkungen auf Impfungen, die in den ersten Lebensmonaten gegeben werden, etwa gegen Tetanus, Diphterie und Keuchhusten. Erste Ergebnisse erwarten die Wissenschaftler Ende 2015. „Auf jeden Fall ist es wichtig, die Zusammenhänge zwischen Darmparasiten, Entwurmungen und Impfungen genauer zu verstehen“, betont Esen. „Das kann dazu beitragen, einen maximal möglichen Impfschutz zu erreichen.“
Obwohl die Zusammenhänge bisher noch nicht im Detail verstanden sind, könnten regelmäßige Entwurmungen in den am stärksten betroffenen Regionen sinnvoll sein. „Wurminfektionen kommen am häufigsten bei fünf- bis fünfzehnjährigen Kindern vor“, erläutert Brückner. „Bei ihnen ist das Risiko negativer Auswirkungen auf die Gesundheit hoch.“ So können die Parasiten zu Bauchschmerzen und Durchfall, Mangelernährung, Blutarmut und allgemeinem Schwächegefühl führen. „Oft haben die Kinder auch Probleme in der Schule, können sich schlechter konzentrieren und lernen schlechter“, so Brückner. Eine weitere Risikogruppe sind schwangere und stillende Frauen. Die WHO empfiehlt, in Regionen mit hohem Wurmvorkommen ein bis zwei Mal pro Jahr Entwurmungen durchzuführen. Sie sollten mit Maßnahmen zur Gesundheitserziehung und Verbesserung der Hygiene kombiniert werden. „Regelmäßige Entwurmungen sind eine relativ einfache und kostengünstige Maßnahme, um die Gesundheitsrisiken von Wurminfektionen zu reduzieren“, betont Esen. „Und die bisherigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich so auch die Schutzwirkung von Impfungen erhöhen lässt.“ Bisher werden die Empfehlungen der WHO allerdings nicht in allen betroffenen Ländern umgesetzt.