Bislang ging man davon aus, dass im Hippocampus bis ins hohe Alter neue Neurone entstehen. Diese These wird jetzt unter Neurowissenschaftlern und Medizinern diskutiert. Denn eine kürzlich veröffentlichte Studie stellt das Konzept in Frage.
Bislang ging man davon aus, dass im Gyrus dentatus, ein Teil der Gehirnstruktur des Hippocampus, bis ins hohe Alter neue Neurone entstehen. Dieser Bereich des Gehirns ist an Lern- und Gedächtnisprozessen beteiligt. Mit einer im März im Fachblatt Nature veröffentlichten Studie sorgten Wissenschaftler von der University of California nun für großes Aufsehen. Sie stellten mit den neu gewonnenen Erkenntnissen das Konzept der adulten Neurogenese in diesem Gehirnbereich in Frage.
Das Team um Shawn F. Sorrells untersuchte 37 post-mortem Gewebeproben von Spendern unterschiedlichen Alters. Mittels immunhistochemischer Methoden wurden junge Neurone beziehungsweise Progenitorzellen sichtbar gemacht. Die Zahl der jungen Neurone im Gyrus dentatus lag bei Neugeborenen bei durchschnittlich 1.618 (± 780) Zellen pro mm2 und nahm bei Einjährigen auf 292,9 (± 142,8) pro mm2 ab. Im Alter von sieben Jahren konnten nur noch 12,4 (± 5,3) Zellen pro mm2, im Alter von 13 nur noch 2,4 (± 0,7) pro mm2 nachgewiesen werden. In Gewebeproben älterer Spender im Alter von 18 bis 77 Jahre konnten die Forscher keine jungen Neurone mehr nachweisen. Ähnlich verhielt es sich mit der Zahl der proliferierenden Progenitorzellen. Auch diese nahmen im Laufe des Alters ab und verschmolzen nicht, wie bei Mäusen beobachtet, in der subgranulären Zone. Laut Autoren könnte das Verschmelzen ein wichtiger Prozess der adulten Neurogenese sein.
Im Fachmagazin Cell Stem Cell wurde kurz darauf eine Studie veröffentlicht, die diesen Ergebnissen deutlich widerspricht. Laut Autoren dieser Studie könne man sehr wohl davon ausgehen, dass die Neurogenese im Hippocampus noch bis ins hohe Alter stattfindet. Die Wissenschaftler um Maura Boldrini von der Columbia University untersuchten in ihrer Studie ganze Hippocampi von insgesamt 28 Verstorbenen im Alter von 14 bis 79 Jahren. Die Forscher suchten nach spezifischen Proteinen, die in unterschiedlichen Entwicklungsstadien von Neuronen produziert werden. Junge Neuronen produzieren zum Beispiel mehr vom Protein namens Ki-67, während neuronale Progenitorzellen vermehrt GFAP und SOX2 produzieren. Im Gyrus dentatus aller Gehirne fanden sie durch die Analyse dieser Proteine Hinweise auf die Anwesenheit junger Neurone, allerdings identifizierten sie weniger Progenitorzellen in den Gewebeproben älterer Probanden im Vergleich zu jungen Spendern – die Zellen waren dennoch zahlreich vorhanden. Laut Autoren könne man daher nicht davon ausgehen, dass Neurogenese im Hippocampus mit dem Alter abnimmt. Die Forscher fanden jedoch auch heraus, dass die Neuroplastizität im frontalen Gyrus dentatus bei älteren Probanden abnimmt. Darüber hinaus nimmt die Entwicklung neuer Blutgefäße in diesem Bereich bei älteren Spendern ab.
Die Identifizierung von jungen Neuronen oder Vorläuferzellen im Hippocampus gestaltet sich als technisch schwierig. Dass die Forscher um Sorrells keine dieser Zellen im Gyrus dentatus in den Gewebeproben Erwachsener gefunden haben, heißt aber nicht zwangsläufig, dass keine vorhanden waren. Die Gewebeproben wurden teilweise erst 48 Stunden nach dem Tod der Spender gesammelt und für die Analyse präpariert. Einsetzende Zersetzungsprozesse oder verwendete Chemikalien könnten eine Rolle gespielt und die Qualität des Gewebes beeinflusst haben. Das wirkt sich auf die Zuverlässigkeit der verwendeten Marker-Antikörper zur Sichtbarmachung der Zellen aus. Darüber hinaus wurde nicht über den physischen und mentalen Gesundheitszustand der Spender berichtet, welche ebenfalls die Neuronenentwicklung im Hippocampus beeinflussen kann. Ähnliche Einschränkungen sind auch in der Studie von Boldrini nicht zurückzuweisen. Zwar waren die Probanden zum Zeitpunkt ihres Todes mental wie physisch gesund und die Gewebeproben wurden innerhalb von 26 Stunden nach dem Tod analysiert. Trotzdem kann es bei der verwendeten Analyse-Methode zu Schwankungen in den Protein-Leveln oder falsch positiven Ergebnissen kommen. Um Klarheit über den Prozess der adulten Neurogenese beim Menschen zu gewinnen, müssen weitere Studien durchgeführt werden, so die Autoren beider Studien. Das Verständnis über die adulte Neurogenese ist besonders im Hinblick auf mögliche Therapien von neurodegenerativen Erkrankungen wichtig, aber auch, um die Effekte von psychischen Erkrankungen, Stress oder Gedächtnisverlust auf das Gehirn studieren zu können.