Zur Rose gab bekannt, die Online-Arztpraxis Teleclinic zu erwerben. Das ist raffiniert und setzt die Vor-Ort-Apotheke weiter unter Druck.
Deutschland im Jahr 2020. Meine Mutter benötigt aufgrund einer lang zurückliegenden Schilddrüsen-OP regelmäßig L-Thyroxin. Für die mittlerweile fast 80-jährige Dame bedeutet das: jedes Quartal zum Arzt, auf die Verordnung warten, dann zur Apotheke. Und eventuell später nochmals zur Apotheke, falls das Präparat nicht verfügbar ist.
In Städten mag der Service besser sein; im hintersten Niederbayern hat sie aber keine Wahl. Kein Wunder, dass sich Patienten Alternativen wünschen. Nur kommen Lösungen eben nicht von der deutschen Apothekerschaft, sondern von den ach so bösen Arzneimittelversendern.
Aktuellstes Beispiel ist die Teleclinic mit Sitz in München. Seit 2015 bietet sie Leistungen im Bereich der Telemedizin an. Das geht so: Man füllt online einen Fragebogen aus, macht Angaben zur Person sowie zu den Beschwerden – und zum Wunschtermin. Per Telemetrie-App meldet sich dann ein Facharzt zum Wunschtermin.
Schon vor der Corona-Krise erfreute sich das Modell großer Beliebtheit. Und in Pandemiezeiten verzeichnete die Teleclinic laut FAZ-Analysen große Zuwächse. Im März und April steigerte das Unternehmen seine Behandlungszahlen in einigen Wochen um 50 Prozent im Vergleich zur Vorwoche. Auch Krankschreibungen ohne direkten Kontakt waren zeitweise möglich.
Es geht aber nicht nur um Corona, denn der größte Impuls kam aus Berlin: Mit dem Patientendaten-Schutzgesetz wird die elektronische Verordnung von Rx-Arzneimitteln ab dem 1. Januar 2022 verpflichtend, wenn auch mit zahlreichen Ausnahmen. Das ist auch Oberhänsli bewusst – und hat ihn wohl dazu bewogen, jetzt die Teleclinic zu erwerben.
Die Costumer Journey endet nicht beim Arzt
Die Schweizer Zur Rose Group hat bekanntlich schon 2012 DocMorris gekauft. Der CEO spricht davon, „Menschen in die Lage zu versetzen, ihre Gesundheit zu managen“ und mit dem erweiterten Portfolio „Patientinnen und Patienten ein besseres Leben zu ermöglichen“. Sein Fazit: „Wir freuen uns sehr, dass Teleclinic zu einem integralen Bestandteil des digitalen Gesundheitssystems der Zur Rose-Gruppe in Deutschland und Europa wird.“
Oberhänsli hat den deutschen Markt im Auge, keine Frage. Immerhin erwartet er, dass bei bis zu 50 Prozent aller Konsultationen über die Telemetrie-Plattform auch ein E-Rezept ausgestellt wird. Das bestätigt auch Katharina Jünger, Gründerin der Teleclinic und ergänzt: „Wir haben in den vergangenen Monaten gemerkt, dass unsere Costumer Journey nicht beim Arzt aufhört, sondern beim Medikament.“
In einem Interview spricht Jünger noch von einer Plattform, auf der sich andere Apotheker anmelden, um Rezepte zu empfangen. Gemeint ist hier wohl apotheken.de, ein Portal des Deutschen Apotheker Verlags. Und genau der hat nach dem Kauf seine Zusammenarbeit prompt beendet.
„Wir sind den Apotheken vor Ort verpflichtet, die unsere Kunden sind“, wird Geschäftsführer Dr. Christian Rotta zitiert. Man wolle sich nicht zum „Steigbügelhalter für den Erfolg rein ökonomisch getriebener Plattformstrategien ausländischer Kapitalgesellschaft“ machen, heißt es in der Meldung. Im Mittelalter hätte man wohl gesagt: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.“
Klar bleibt: Auch im neuen Konstrukt haben Patienten eine freie Apothekenwahl. Das kommerzielle Makeln von Rezepten ist untersagt, siehe Patientendaten-Schutz-Gesetz. Wie Zur Rose solche Rahmenbedingungen technisch abbilden wird, muss man sehen.
Während Inhaber öffentlicher Apotheken Sturm gegen die Kooperation laufen, drängt sich eine Frage auf: Warum kam ein solches Projekt nicht aus berufsständischen Kreisen?
Nun ist Apothekern zu Gute zu halten, dass sie in zahlreichen Modellprojekten Apps für E-Rezepte, Vorbestell-Apps oder sichere Apps für Beratungschats erproben. Manche Tools sind auch schon im Praxisbetrieb. Aber es bleibt bei Insellösungen.
Zur Rose war eben – das muss man klar sagen – pfiffiger und hat den gesamten Prozess von der Diagnostik und der Verordnung über die Pharmakotherapie aus Patientensicht betrachtet. Und stichhaltige Beweise, dass es pharmakologische Sicherheitslücken gibt, konnte bisher niemand vorlegen.
Am Ende sind es die Patienten, die entscheiden, welche Versorgungsform am besten in ihr Leben passt. Ich ahne, dass meine Mutter den bequemen digitalen Weg wählen wird.
Bildquelle: Hans Reniers /Unsplash