In den Kliniken begegnet Medizinstudenten so manches. Oft wird man mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert. Und diese gibt es in deutschen Kliniken reichlich: 40.000. So viele Menschen sterben jährlich, nach Angaben der DGKH, in deutschen Kliniken aufgrund mangelnder Hygiene.
Jährlich rund eine Million Patienten infizieren sich bei Operationen mit Keimen. Die Hälfte aller Krankenhausinfektionen ist nach Ansicht der Fachleute dabei vermeidbar. Immerhin. 20.000 Menschen hätten eine Chance. Mit dem Armbruch ins Hospital, und dann gleich weiter zum Friedhof. So schnell kann's gehen mit dem Finale. Dass es überhaupt ein Thema ist, in einer Klinik aufgrund unsachgemäßer Umstände zu verscheiden, ist schon skandalös genug. Es geht aber leider noch massiver, wenn zum Beispiel aufgrund von Behandlungslücken eine schlimme Infektion entsteht oder vermeidbare Schmerzen bei der Vor- oder Nachsorge auftreten. Nehmen wir beispielsweise einen Armbruch bei minimal invasivem Eingriff, die Medizin leistet schließlich viel bei der Verbesserung der Behandlungsoptionen. Mit Nachlassen der Anästhesie zeigen sich jedoch heftigste Schmerzen, weil das Medikament falsch dosiert wurde. Statt Genesung noch Multiresistenz. Schnell ein paar Noteinläufe in die Venen. Und dann leider doch - aus und vorbei. Denn auch das ist das deutsche Kliniksystem: Was bei der OP zunächst prima läuft, kann sofort im Nachgang bei der Patientenbetreuung noch richtig fein versaut werden. Dabei sind die meisten Schmerzen gut zu vermeiden, es hat sich viel getan auf dem Revier der Schmerzvermeidung. Aber beim Einsatz schmerztherapeutischer Verfahren sowie bei der Dokumentation des schmerztherapeutischen Behandlungsverlaufs lässt sich so einiges durcheinander bringen. Und wir reden jetzt nicht von chronisch schmerzkranken Patienten, also der eigentlichen Domäne von Ärzten, die die Bezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“ führen dürfen.
Es geht nicht mehr so sehr um die humanitären Aspekte im Gesundheitssystem, sondern das monetäre Moment steht mehr und mehr im Vordergrund. Woran das liegt? Eine Antwort findet sich bei dem Prinzip der Fallpauschale, mit der seit 2004 verpflichtend im Gesundheitssystem buchhalterisch gearbeitet wird. Mit der Fallpauschale zog vor über zehn Jahren das Gesetz des Marktes in die deutschen Kliniken ein. Politiker, Krankenkassen und Gesundheitsökonomen hatten sich zuvor so ihre Gedanken gemacht und in andere Länder geschaut, in denen schon auf ähnliche Weise im Gesundheitswesen abgerechnet wurde. Australien arbeitet beispielsweise seit 1994 auf Basis zuvor definierter Pauschalen. Die Gesetze des Marktes, die Prinzipien der Ökonomie sollten jetzt auch in der Bundesrepublik ermöglichen, dass die Kosten gesenkt werden und die Krankenhäuser effektiver Standardsituationen lösen. Die am Durchschnitt orientierten Fallpauschalen lassen eine Klinik nur dann kostendeckend arbeiten, wenn alle Zimmer mitsamt Betten möglichst voll belegt sind. Und das möglichst kurz, damit schnell neue Patienten betreut werden können. Liegezeiten nennt sich das, was im System seitdem lieber kürzer als länger vorhanden sein soll. Sprich: Operation, kurze Nachsorge gemäß errechnetem Betreuungsschlüssel, und ab zum nächsten Kandidaten. Die einzelnen Disziplinen in der Medizin kommen damit unterschiedlich gut zurecht.
Domänen mit elektiven, also gut planbaren Eingriffen – wie z. B. die Kardiologie – schaffen das wesentlich besser als z. B. Kinderkliniken oder die Neurologie. Aber was noch schwerer wiegt: nicht jeder Patient ist gleich, nicht jede sich individuell ausprägende Erkrankung passt in das Schema der Fallpauschale. Schade eigentlich, aber dennoch kein Grund, von ihrem Diktat abzuweichen. Die muss dann eben – ganz im Sinne der Wirtschaftlichkeit – einfach optimiert werden. Eine wichtige Konsequenz der Ökonomisierung des Gesundheitswesens für Ärzteschaft und Pflege ist der Faktor Zeit. Genauer: der Mangel an Zeit. Es gibt hierbei eindeutige Belege, dass sich die Arbeitsverdichtung auf Seiten der Patientenversorgung niederschlägt. Das beginnt schon mit der Händehygiene. Die durch das Robert-Koch-Institut vorgeschriebenen Einwirkzeiten kriegen täglich Zehntausende von Pflegekräften überhaupt nicht stabilisiert. Und warum? Weil sie nicht genug Leute auf der Station sind. Sie können zwischen den einzelnen Patientenkontakten keine dreißig Sekunden Händedesinfektion betreiben. Diese Verdichtung der Arbeit ist sogar gewünscht im System, sie treibt die darin Agierenden an, erhöht die Schlagzahl, die Geschwindigkeit.
Besonders problematisch wirkt sich knappes Pflegepersonal vor allem bei pflegeintensiven Patienten aus, z. B. bei neurologischen Kandidaten mit Parkinson, Demenz oder anderweitigen Blessuren. Ein Präparat wird vergessen, eine Kanüle anders gelegt, eine Medikamentendosierung leider falsch übertragen. Lancet veröffentlichte jüngst eine Studie genau dazu. Die Zahlen belegen: Die gestresste Krankenschwester ist offenbar eine tödliche Gefahr. Mit jeder Person, die ein Pfleger zusätzlich zu betreuen hat, steigt das Risiko seines Patienten, innerhalb von 30 Tagen zu sterben. Und zwar um sieben Prozent. Die Krankenkassen diskutieren momentan, eine Mindestbesetzung an Pflegekräften festzuschreiben, zumindest für Kinderstationen. Immerhin: das Problem wird diskutiert. Ansonsten wirkt weiterhin erst einmal das Gesetz der Wirtschaftlichkeit. In Form von Kennzahlen, Effizienzsteigerungen als auch Medizincontrollern, die den Ärzten auf die Schliche kommen und schon noch Möglichkeiten finden, Stationen in Kliniken zu Profitcentern zu transformieren. Aus dem Mund von Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, liest sich das dann so: „Die Wirtschaftstheorie hat uns gesagt: Wir brauchen Anreize, um die Qualität zu verbessern. Das Ergebnis sehen wir heute. Wir sind sehr viel besser geworden. Aber wir zahlen auch einen Preis, es findet eine Verschiebung von Operationen und Operationsmöglichkeiten hin zu elektiven Eingriffen statt. Und es findet manchmal eine Patientenauswahl hin zu interessanteren, ökonomisch sich besser darstellenden Verfahren und Diagnosen statt.“
Professor Michael Isfort, Pflegewissenschaftler an der Katholischen Hochschule NRW in Köln, meint zum gleichen Aspekt, dass der umfangreiche Abbau von Pflegekräften neben dem Anstieg besonders lukrativer Eingriffe die wichtigste Reaktion auf die Einführung der Fallpauschalen sei. Die Richtung ist also klar: Ein Klinikbetrieb ist so umzugestalten, dass er langfristig überlebt. Dass er im Wettbewerb mit den anderen Marktteilnehmern sein Profil schärft. Der Markt regelt das. Er regelt den Erlös, er regelt die Preise. Was so ein Markt leider nicht regelt, ist die Qualität der Versorgung in den Krankenhäusern, von der Pflege bis hin zum operativen Eingriff. Aber genau das ist die Entwicklung einer ökonomisch ausgerichteten Medizin, in deren Umbau wir uns gerade befinden. Wer also nicht wirklich zwingend in eine Klinik muss, dem sei geraten: lieber weiträumig umfahren.