Goji-Beeren, Maca-Pulver oder Kudzu-Wurzeln: Pflanzen aus fernen Ländern erobern deutsche Haushalte. Diese Nahrungsergänzungsmittel sind nicht immer wirksam und harmlos, wie Hersteller gerne behaupten. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt – auch in der Beratung.
Ein großer Unterschied: Nahrungsergänzungsmittel (NEM) zählen zu den Lebensmitteln. Auf Konsumenten wirken viele Pülverchen trotzdem wie Medikamente – sie diskutieren in Foren über vermeintliche Effekte der Wunderpflanzen. Zulassungsverfahren wie bei Medikamenten gibt es nicht. Firmen haften nur bei gesundheitlichen Folgen, die nachweislich auf entsprechende Produkte zurückgeführt werden können. In vielen Fällen prüfen Hersteller neuartige Pflanzen vor deren Verwendung im Lebensmittelbereich nicht hinlänglich auf deren Unbedenklichkeit.
Eine Ausnahme stellen neuartige Lebensmittel (Novel Food) aus anderen Kulturkreisen dar, die vor Inkrafttreten der Novel-Food-Verordnung nicht in nennenswertem Umfang auf europäischen Märkten zu finden waren. Hier sind Zulassungsverfahren und Kennzeichnungspflichten vorgesehen. „Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die mit herkömmlichen Vermehrungs- oder Zuchtmethoden gewonnen wurden und erfahrungsgemäß als unbedenklich gelten, gehören nicht zum Geltungsbereich der Verordnung“, schreibt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Im Zweifelsfall hilft ein Blick in den Novel Food Catalogue bei der Einschätzung. Seit mehr als zehn Jahren hat auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) entsprechende Themen auf der Agenda. Mittlerweile existieren eine Leitlinie und ein Kompendium. In Deutschland geben die Anreicherungsverordnung, Anhang III, und die Stoffliste von Bund und Ländern einen Überblick. Die Liste A enthält Arten mit generellem Ausschluss, etwa Aristolochia, Aconitum, Datura/Brugmansia oder Ephedra. In der Liste B nennen Experten mehrere Pflanzen, die sich eingeschränkt für Lebensmittel eignen: Goji-Beeren (Lycium barbarum), Rosenwurz (Rhodiola rosea), Schlafbeeren (Withania somnifera), Kudzuwurzeln (Pueraria lobata), Erd-Burzeldorn (Tribulus terrestris) und Blutwurz (Potentilla erecta). Dazu einige Daten:
Goji-Beeren sind seit Jahren in Mode. Sie sollen reich an Antioxidantien sein und unser Immunsystem stärken – aber nicht mehr als deutlich preisgünstigere Äpfel, kritisieren Ernährungswissenschaftler. Laut einer Literaturarbeit der EFSA lässt sich derzeit keine evidenzbasierte Aussage zu besonderen antioxidativen Eigenschaften treffen. Verspeisen Konsumenten 50 Gramm der getrockneten Beeren, nehmen sie rund 66 Milligramm Zeaxanthin auf. Bei derartigen Mengen gibt es laut BfArM keinen Hinweis auf schädliche Effekte. Ob die Dosis zur Neuroprotektion ausreicht, ist zumindest denkbar.
Aus Sibirien kommt der Rosenwurz (Rhodiola rosea) in deutsche Lande. Die Bewohner verwenden Blätter und Wurzelstöcke nicht nur als traditionelles Gericht. Sie erhoffen sich davon auch mehr Konzentrationsvermögen und eine bessere Gedächtnisleistung. Wissenschaftler vermuten, dass Inhaltsstoffe hemmend auf die Monoamin-Oxidase wirken. Allerdings schwanken Studien der europäischen Arzneimittelagentur EMA zufolge stark in ihrer methodischen Qualität. Nahrungsergänzungsmittel oder Heilpflanze – eine Frage, die noch offen ist. EU-Experten stufen den Rosenwurz momentan als NEM ein. Untersuchungen mit Probanden, die maximal 1.800 Milligramm Trockenextrakt pro Tag eingenommen hatten, ergaben keinen Hinweis auf gesundheitliche Gefahren. Bei frischen Pflanzen lässt sich das cyanogene Glykosid Lotaustralin nachweisen. Um tatsächlich letale Dosen an Blausäure aufzunehmen müssten Verbrauher mehrere Kilogramm Pflanzenmaterial verspeisen.
Produkte für Sportler erhalten teilweise Kudzu-Wurzeln (Pueraria montana) oder Erd-Burzeldorn (Tribulus terrestris) als NEM. Eine übliche Tagesdosis von maximal 18 Gramm Kudzu-Wurzeln führt zur Aufnahme von 900 Milligramm Isoflavonen. Zum Vergleich: Bei normaler Ernährung nehmen Konsumenten ein bis zwei Milligramm pro Tag auf. Gesundheitliche Risiken sind je nach Dosis nicht auszuschließen. Das betrifft in erster Linie werdende oder stillende Mütter sowie Frauen in der Menopause. Der Erd-Burzeldorn wiederum soll als „natürliches Anabolikum“ wirken. Wissenschaftlich fehlen bislang handfeste Beweise. Ähnlich düster sieht die Sachlage bei Maca-Wurzeln (Lepidium meyenii) aus. In Foren loben User vermeintlich positive Effekte auf Körper und Geist. Das Pulver soll als natürliches Potenzmittel wirken. Verschiedenen Untersuchungen zufolge ändern sich im Körper zumindest keine Hormonspiegel. Bleibt als Kritik, dass Andenbewohner – von dort kommt die begehrte Knolle – weitaus höhere Mengen verspeisen als Konsumenten hier zu Lande.
Bleibt als Resümee, dass bei vielen NEM derzeit kaum hochwertige Daten vorliegen. Deshalb warnen Juristen, Beeren oder Pülverchen mit Heilversprechen in der Apotheke zu bewerben. Vor wenigen Monaten musste eine Kollegin aus Sachsen Lehrgeld zahlen. Sie verteilte als Marketing-Gag Curcuma und wies auf mögliche protektive Effekte gegen Alzheimer, Krebs oder Entzündungen hin. Prompt schalteten sich Verbraucherschützer ein, und besagte Kollegin stoppte ihre Kampagne. Anne-Katrin Wiesemann, Referentin Lebensmittelrecht bei der Verbraucherzentrale Sachsen, sieht dies nur als Teilerfolg. Ihrer Erfahrung nach nimmt die unzulässige und teilweise völlig überzogene Werbung mit Gesundheitsversprechen gerade für Pflanzenstoffe enorm zu. Verbraucher sollten sich nicht dazu verleiten lassen, Lebensmittel – sei es als Gewürz oder in einer Kapsel zur Nahrungsergänzung – in pharmazeutischem Kontext zu verwenden.