Kann das Hormon Oxytocin den Gedächtnisverlust aufhalten? Neurowissenschaftler sind unterschiedlichen Alzheimer-Therapien auf der Spur.
Oxytocin scheint nicht nur unser Sozialverhalten zu steuern, sondern auch unser Gedächtnis zu beeinflussen. Neurowissenschaftler untersuchen deshalb die Rolle des Hormons bei Demenzerkrankungen, insbesondere der Alzheimer-Krankheit. Die Hoffnung: den unweigerlich eintretenden Gedächtnisverlust zu stoppen.
Was genau Oxytocin mit unserem Gedächtnis macht, ist allerdings unklar. In der Vergangenheit wurden in Studien unterschiedliche Dinge festgestellt:
1. Oxytocin ruft bei Menschen Gedächtnisstörungen und eine amnestische Wirkungen hervor.
2. Je nach Persönlichkeit der getesteten Person kann Oxytocin die Leistung bei Gedächtnisaufgaben stärken oder schwächen.
Interessantes fanden Forscher in einer Post-mortem-Studie heraus: Menschen mit der Alzheimer-Krankheit wiesen höhere Oxytocin-Spiegel im Hippocampus auf, einem wichtigen Bestandteil für die Gedächtnisbildung. Das könnte bedeuten, dass ein erhöhter Spiegel in diesem Bereichen Gedächtnisprobleme verursachen könnte.
In einer aktuellen Studie allerdings zeigen japanische Forscher, dass sich Oxytocin möglicherweise positiv auf den Gedächtnisverlust bei der Alzheimer-Krankheit auswirken könnte – zumindest im Mausmodell haben sie Hinweise darauf gefunden.
An Gehirn-Schnitten von Mäusen zeigten die Neurowissenschaftler zunächst, dass Beta-Amyloid die synaptische Plastizität, genauer gesagt die Langzeitpotenzierung, im Hippocampus beeinträchtigt. Dazu versetzten sie die Gehirnproben mit Beta-Amyloid. Unter Langzeitpotenzierung versteht man eine langandauernde Verstärkung der synaptischen Übertragung. Dieser Prozess steht unmittelbar mit Lernen und dem Langzeitgedächtnis in Zusammenhang.
Gaben die Wissenschaftler zusätzlich zu Beta-Amyloid Oxytocin hinzu, konnten sie diese Beeinträchtigung wieder rückgängig machen. Oxytocin allein führte zu keiner Verbesserung der synaptischen Übertragung. Vermutlich fördert das Hormon bestimmte zelluläre Aktivitäten, die für die Stärkung des neuronalen Signalpotenzials wichtig sind, wie das Einströmen von Kalzium-Ionen.
Die Wissenschaftler schließen daraus, dass Oxytocin möglicherweise therapeutisch bei Gedächtnisverlust im Zusammenhang mit der Alzheimer-Krankheit eingesetzt werden könnte. Eine klinische Anwendung liegt damit aber aus offensichtlich vielen Gründen noch in weiter Ferne.
Für Prof. Richard Dodel, Neurologe von der Universität Duisburg-Essen und Experte der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) ist es noch zu früh, Aussagen über eine mögliche therapeutische Anwendung von Oxytocin zu treffen. Er verweist auf die Schwierigkeiten auf der Suche nach geeigneten Wirkstoffen. „Bis vor ein paar Jahren konzentrierte man sich bei der Wirkstoffentwicklung auf die Beseitigung der Proteinablagerungen im Gehirn. Doch fast alle Entwicklungen sind letztlich gescheitert.“
Das liegt wohl daran, dass der Auslöser für die Alzheimer-Krankheit sehr viel komplexer zu sein scheint als nur Klumpen von Beta-Amyloid im Gehirn. Einige Wissenschaftler gehen sogar soweit und bezweifeln, dass Beta-Amyloid-Plaques ursächlich eine zentrale Rolle spielen.
Prof. Dodel hält die Beta-Amyloid-Hypothese aber grundsätzlich nicht für falsch: „Wir können die Hypothese nicht fallen lassen, weil klare Evidenzen bestehen, die eine Rolle in der Entwicklung der Erkrankung belegen, z.B. genetische Formen der Alzheimer-Krankheit.“ Man dürfe immerhin nicht vernachlässigen, dass die Ansammlung von Plaques sehr häufig – wenn auch nicht in allen Fällen – mit dem Auftreten der Erkrankung korreliere.
Trotz der vielen Misserfolge haben die Studien einige wichtige Erkenntnisse geliefert: „Wir wissen jetzt, dass die Krankheit 20 oder sogar 30 Jahre vor Einsetzen der Symptome beginnt. Deswegen konzentriert man sich jetzt in der Forschung vor allem auf die Frühstadien der Erkrankung.“ So lässt sich vermutlich noch am ehesten ins Krankheitsgeschehen eingreifen.
Hier kommen auch mögliche Bluttests in Spiel, denn so ließen sich Patienten identifzieren, noch bevor erste Symptome auftreten – und das schneller und konstengünstiger als ein üblicher PET-Scan. „Ein Bluttest für Alzheimer wird kommen“, ist Prof. Dodel überzeugt. „Aber im Moment gibt es noch keinen Test, den man auch tatsächlich im klinischen Alltag anwenden könnte.“
Ganz ohne Behandlung müssen Patienten aber nicht auskommen. Die zur Verfügung stehenden Medikamente können den Verlauf der Erkrankung für eine gewisse Zeit stabilisieren, meint Prof. Dodel: „Mit Acetylcholinesterase-Hemmern und Memantin können wir die Erkrankung 7 bis 12 Monate ‚einfrieren‘.“
Trotz zahlreicher Rückschläge wird auch weiterhin intensiv an Wirkstoffen geforscht. In diesem Jahr befinden sich laut einer Studie 121 Wirkstoffe in klinischen Prüfungen, davon 29 in Phase-3-Studien.
Die neuen Erkenntnisse bezüglich Oxytocin sind zwar für die Forschung spannend, für die Klinik aber noch nicht relevant. Hier gibt es einen anderen Kandidaten, der plötzlich wieder Hoffnung macht. Die Rede ist von Aducanumab.
Der monoklonale Antikörper fördert den Abbau von Beta-Amyloid. Auch er schien zunächst zum Misserfolg zu werden: Nachdem erste Phase-3-Studien abgebrochen wurden, da man vermutete, die primären Endpunkte nicht zu erreichen, ist man nach erneuter Durchsicht der Daten zuversichtlicher: Im Juli gab Biogen bekannt, den Zulassungsantrag bei der FDA eingereicht zu haben.
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