Eine Veränderung in der Genregion FTO hemmt die Fettverbrennung und kann zu Adipositas führen. Mutationen im IRX3- und IRX5-Gen bringen die Vorläuferzellen dazu, sich zu Fettspeicherzellen zu entwickeln und zugleich die Fähigkeit der Fettverbrennung zu verlieren.
Über 500 Millionen Menschen weltweit, davon rund 15 Millionen in Deutschland, leiden unter Adipositas. 2007 wurde ein Bereich innerhalb eines Gens, des so genannten FTO-Gens, als wichtigster genetischer Kandidat für Übergewicht entdeckt. Trugen Menschen diesen Bereich, hatten sie ein erhöhtes Risiko, übergewichtig zu werden. Bisher konnte aber nicht geklärt werden, über welchen Mechanismus diese Genregion beim Menschen Übergewicht verursacht. Mit Hilfe des „Roadmap Epigenomics Project“ untersuchten die Wissenschaftler der TUM, des MIT und der Harvard Medical School in Boston anhand von bioinformatischen Methoden zuerst, in welchen Gewebetypen die FTO-Region am stärksten angeschaltet oder auch epigenetisch verändert war. „Viele Studien haben versucht die FTO-Region mit Gehirnbereichen in Verbindung zu bringen, die den Appetit oder die Neigung zu körperlicher Aktivität kontrollieren“, erklärt Dr. Melina Claussnitzer, die als Hauptautorin die Studie leitete und unter anderem als Wissenschaftlerin an der TUM tätig ist. „Wir konnten jetzt zeigen, dass die regulatorische Region innerhalb von FTO am stärksten in Vorläuferstufen von Fettzellen wirkt – unabhängig von Schaltkreisen im Gehirn.“ Die Wissenschaftler vermuteten deshalb, dass fehlgeschaltete Prozesse in den Vorläuferzellen für die Entstehung von Übergewicht verantwortlich sein könnten. Sie untersuchten Proben aus Fettgewebe von Menschen, die entweder die normale oder die Risikoregion des FTO-Gens trugen. Das Ergebnis: Nur in der Risiko-Gruppe waren zwei bestimmte Gene – IRX3 und IRX5 – angeschaltet.
„Für uns war diese Erkenntnis hochinteressant. Weitere Experimente zeigten, dass IRX3 und IRX5 einen Prozess aktivieren, der die Vorläuferzellen dazu bringt, sich in Fettspeicherzellen zu entwickeln und die Fähigkeit zur Fettverbrennung zu verlieren“, ergänzt Prof. Hans Hauner, Professor für Ernährungsmedizin an der TUM. „Dieser Effekt verändert offenkundig das Energiegleichgewicht und kann zu Übergewicht beitragen.“ Nachdem die Forscher diesen Prozess verstanden hatten, gelang es ihnen auch, ihn gezielt zu beeinflussen: Schalteten sie IRX3 oder IRX5 in Kulturen mit menschlichen Fettgewebs-Vorläuferzellen an, aktivierten sie das Fettspeicherprogramm. Waren die beiden Gene dagegen nicht aktiv, verbrannten die Zellen Fett und erzeugten Hitze. Anschließend konnten sie die Ergebnisse auch in Tierexperimenten bestätigen: Mäuse, bei denen Irx3 in Fettzellen ausgeschaltet wurde, hatten einen erhöhten Stoffwechsel und nahmen unter einer Hochfett-Diät nicht zu.
Doch nicht nur den Mechanismus, sondern auch die exakte genetische Ursache konnten die Forscher in ihrer Studie entschlüsseln. Sie fanden eine einzige Position innerhalb der Region des FTO-Gens, die bei der Risiko-Variante verändert war. Reparierten die Wissenschaftler in menschlichen Fettzellen diesen Defekt mit neuesten gentechnischen Methoden, funktionierten sie wieder normal und steigerten die Fettverbrennung und Wärmebildung, statt Fett zu speichern. Die Entschlüsselung der Verbindung von FTO und Übergewicht vergleicht Melina Claussnitzer mit der Aufdeckung eine Verbrechens: „Der Hauptverdächtige FTO ist in Wahrheit nicht der tatsächliche Täter. Unsere neuen Methoden konnten jetzt zwei Täter, IRX3 und IRX5, die zuerst nicht unter Verdacht standen, überführen.“ Sie ergänzt: „Die größte Herausforderung war für uns jedoch drei Dinge zu entschlüsseln: das Tatwerkzeug, d.h. eine genetische Variante in einer schwer auffindbaren Region, den Tatort, d.h. die Fett-Vorläuferzellen, und den Tatbestand, d.h. die Hemmung der Fettverbrennung.“
Dafür musste eine neue Methodik entwickelt werden, mit der sich Claussnitzer und Letztautor der Studie, MIT Professor Manolis Kellis intensiv beschäftigten. Die beiden Forscher wenden diese Methodik nun auch für eine Vielzahl weiterer Erkrankungen in Zusammenarbeit mit dem MIT und der Harvard Medical School an. „Es gibt tausende von genetischen Assoziationen innerhalb des Genoms, die mit verschiedensten Erkrankungen in Verbindung gebracht wurden und deren Mechanismus vollkommen unbekannt ist, da sie innerhalb von Regionen des Genoms lokalisiert sind, die nicht für Proteine kodieren und in der Vergangenheit sogar als Junk oder Müll tituliert wurden. Unsere Methode dient als ein Modell, um Studien zur Aufklärung genetischer Signale zukünftig zu beschleunigen. Dies könnte den Weg für eine personalisierte Medizin für Adipositas oder Typ 2 Diabetes eröffnen“, kommentiert Claussnitzer. Originalpublikation: FTO obesity variant circuitry and adipocyte browning in humans Melina Claussnitzer et al.; New England Journal of Medicine, doi: 10.1056/NEJMoa1502214; 2015