Ich sehe ihn in letzter Zeit wieder häufiger: Diesen Riss, der durch manche Beziehungen geht. Aktueller Auslöser für diese Brüche ist, wie könnte es anders sein, Corona.
Es ging vor fünf Jahren los und der Auslöser war die Flüchtlingskrise. Zuerst war mir das nicht so klar, aber jetzt, im Rückblick, war das der Startpunkt.
Beruflich habe ich ja mit sehr vielen Menschen zu tun und wenn jemand etwas länger bei uns in der Praxis ist, dann besteht normalerweise eine Vertrauensbasis. So erfährt man, was die Menschen wirklich denken. Und da bemerkte ich ihn das erste Mal, diesen Riss. Ein Riss, der durch Beziehungen ging.
Im Gegensatz zu oberflächlichen Bekanntschaften zeichnen sich Freundschaften dadurch aus, dass man durchaus mal geteilter Meinung sein kann. Das setzt die Beziehung einer Spannung aus, aber es killt sie nicht.Mit dem Flüchtlingsthema änderte sich das. Zumindest in meinem Erleben.Plötzlich hörte ich von Freundschaften, engen Bindungen, die vielleicht schon ein Leben lang Bestand hatten und jetzt auf der Kippe standen.
Beim Thema Flüchtlinge gab es plötzlich keinen Kompromiss mehr, auf den sich die Freunde einigen konnten. Entweder man war auf der Seite derer, die den Menschen Hilfe und Aufnahme zukommen lassen wollten, oder auf der Seite derer, die Angst vor Infiltration durch Fremde hatten.
Wer auf einer Pegida-Demo war, traf sich nicht mehr auf ein Bier mit seinem Freund, der Integration befürwortete. Früher war man links oder rechts, war Sozi, Liberaler, Grüner oder Konservativer. Das gemeinsame Bier hat meistens doch geschmeckt. Aber das Eingeständnis, AfD zu wählen, ließ das dann meistens nicht mehr zu.
Menschen, die solche belasteten Freundschaften aufrechterhalten und bewahren wollten, haben versucht, diese Themen auszuklammern. „Reden wir nicht über bestimmte Sachen, das tut unserer Freundschaft nicht gut.“
Manchmal klappt das ja. Aber oft läuft der Film dann doch in den Köpfen weiter. „Mein Gegenüber steht für etwas, das ich total ablehne.“ Dieser Gedanke lässt sich nicht so leicht zum Schweigen bringen.
Jetzt, in Corona-Zeiten, ist es wieder so. Vielleicht noch einen Tick krasser. Der Graben zwischen denen, die rational und besonnen bleiben und denen, die sich dem süßen Rausch des „Ich weiß etwas, das du nicht weißt“ hingeben, ist tief.
Es gibt kaum eine Möglichkeit, das aus der Beziehung rauszuhalten. Was bei den Flüchtlingen noch ging, klappt bei Corona nicht mehr: Flüchtlinge waren für viele noch „die“, Corona, das sind jetzt für alle erkennbar „wir“. Und dabei bist du auf der einen oder auf der anderen Seite.
Und eine Brücke über den Graben? Wie soll die aussehen? Anlässlich der diversen Corona-Leugner und Maskenverweigerer-Demos wird in der Presse immer wieder gefordert, man solle mehr „miteinander reden“. Kommunikation ist ja nie schlecht, es ist nur die Frage, was man sich davon verspricht. Denn das Problem ist, dass es hier keine Kompromissbildung geben kann. Es ist nicht mehr Standpunkt gegen Standpunkt, sondern es ist das Gegenüber von richtig und falsch, von ja und nein, von Realität und Illusion. Und zwischen diesen beiden ist kein sinnvoller Kompromiss denkbar.
Gut, ich will es nicht ganz so negativ stehen lassen. Verblendung kann weichen. Desinformation kann ausgeglichen werden. Die ganze Psychotherapie basiert darauf, dass man Menschen, die sich in eine Sackgasse verrannt haben, da rausbegleitet. Durch Reden, aber vor allem durch eine vertrauensvolle Beziehung.
Aber das hat Grenzen. Sobald eine Wahnbildung eingesetzt hat, ist jede Diskussion über den Inhalt des Wahns zwecklos. Ich weiß, jetzt werden wieder einige kommen und genau über diesen Punkt diskutieren wollen. Aber das ist Unsinn. Denn genau das ist das Wesen und der Kern des Wahns: Er ist unkorrigierbar. Solange der Wahn besteht, ist der Wahnhafte absolut überzeugt. Er kann nicht am Wahninhalt zweifeln, denn sonst wäre es kein Wahn.Man könnte mit ihr oder ihm stunden-, tage-, oder wochenlang reden und diskutieren. Die Wahngewissheit würde nicht weichen.
Bleibt nur die Frage, wie viele von den erwähnten Corona-Leugnern, welcher Couleur auch immer, verblendet sind und wie viele wahnhaft (diejenigen, die gezielt auf dieser Welle mitschwimmen, um ihre sinistren Ziele zu erreichen, klammere ich an dieser Stelle mal aus). Mit den Verblendeten würde das Gespräch lohnen, zumindest vielleicht. Mit den Wahnhaften wäre eine Diskussion über Inhalte verschwendete Zeit.
Glauben Sie das jemandem, der es seit über 30 Jahren doch immer wieder tut und immer zum gleichen Ergebnis kommt: Wahn ist durch Argumentation nicht korrigierbar. Was mich wieder zum Ausgangspunkt bringt.
Wenn meine Freundin oder mein Freund, meine Schwester, mein Bruder oder sonst jemand, der mir am Herzen liegt, zu den Verblendeten gehört: Argumentieren, Aufklären, Diskutieren, sich Umarmen.
Gehört sie oder er zu den Wahnhaften: Dann bleibt nur die Hoffnung, dass die Beziehung das irgendwie überlebt. Ohne irreversiblen Schaden zu nehmen.Wie kann ich das unterscheiden? Eben dadurch: Der Verblendete kann zweifeln, sich unsicher sein. Der Wahnhafte vermag das nicht, er ist sich unverrückbar sicher.
Wir müssen uns daran gewöhnen, dass unser Reflex, Kompromisse erzielen zu wollen, uns hier nicht weiterhilft. Wir stehen entweder auf der Seite der Vernunft oder auf der Seite eines emotionalen Kurzschlusses, der die Vernunft außen vor lässt. So sehr ich persönlich ein Fan des „sowohl-als-auch“ bin, in manchen Bereichen gibt es eben doch nur ein „entweder-oder“.
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