In der SARS-CoV-2-Pandemie leisten Ärzte Schwerstarbeit. Dennoch gibt es unter Medizinern ein kleines Grüppchen an Corona-Leugnern. Das ist nicht in Ordnung, finde ich. Die Kammern sollten einschreiten.
Ärzte genießen in der Bevölkerung großes Vertrauen. Das hat einmal mehr die Versichertenbefragung 2020 gezeigt. Gut so, möchte man da sagen; denn die Arztpraxis sollte schließlich der Ort sein, wo Patienten verlässliche Informationen und evidenzbasierte Therapien erhalten. Doch gerade in der Corona-Pandemie zeigt sich, dass es unrühmliche Ausnahmen gibt.
Hier handelt es sich nicht um abgehobene Möchtegern-Philosophen, die vor Urzeiten mal Medizin studiert haben, sondern um Ärzte mittleren Alters mit eigener Praxis oder mit einer Anstellung im Krankenhaus.
In Kassel treibt zum Beispiel der Urologe Jens Bengen sein Unwesen. Er hält SARS-CoV-2 für ein Hirngespinst der Regierung beziehungsweise der Medien. Und so versucht der Arzt, die vermeintlichen Opfer auf seine Weise zu unterstützen. Zeitweise bot Bengen Atteste zum Download an, um der Makenpflicht zu entgehen.
Via Twitter berichtet ein User von einer seltsamen Begegnung mit seinem Hals-Nase-Ohren-Arzt: „Ich war mit meiner Tochter beim HNO, der breit erklärt hat, warum Corona total unkritisch ist, er es selber hatte und war ja nix, und Maßnahmen überzogen, etc. Bei ‚Bill Gates Impflobby‘ hab ich ausgezoomt. Ja - ein Arzt und HNO“, heißt es in seinem Posting.
Zwar lässt sich der Wahrheitsgehalt solcher Meldungen nicht überprüfen. Doch einzelne Ärzte veröffentlichen selbst äußerst fragwürdige Statements.
Via YouTube berichtet Wolfgang Wodarg über Corona. Besonders fatal: Er ist Lungenfacharzt und glaubt nicht an die Gefahr von SARS-CoV-2. Vielmehr hält der Mediziner neuartige Coronaviren für ähnlich schlimm wie Grippeviren. Dass er als Lungenfacharzt so manche Patienten davon überzeugen kann, dass Corona-Viren harmlos sind, halte ich für sehr wahrscheinlich.
Bei Recherchen via Twitter fallen immer wieder drei Namen auf: Walter Weber, Heiko Schöning und Olav Müller-Liebenau, drei Ärzte aus Hamburg. Sie posten regelmäßig, viel und schräg. Einige Highlights im negativen Sinne:
„Die Maske schützt wissenschaftlich aufgrund der höchsten Evidenzstufen nicht vor dem Virus“, erklärt Weber in einem Video. „Die Hotspots (…) sind positive Tests, keine Erkrankten.“ Und man wisse, dass Tests zu 85 Prozent (!) falsch positiv sein könnten.
Und weiter: „Die Impfung, die jetzt geplant ist, (…) ist eine gentechnische Manipulation, wir werden dabei gentechnisch manipuliert, selbst die besten Forscher wissen nicht, was dabei rauskommt.“ Möglich seien Autoimmunkrankheiten, Krebskrankheiten, und das wisse man erst in fünf bis zehn Jahren. „Frau Merkel gibt also die deutsche Bevölkerung der Pharmazie als Laborratten zur Verfügung.“ Weber hoffe, dass es „auch die Ärzte mal kapieren“.
Schöning nimmt auch kein Blatt vor den Mund. Stichwort Pandemie: „Es ist sogar bewiesen (…), dass diese Panik nicht nötig gewesen wäre. Und es ist unverantwortlich, dass das medial so ausgebreitet worden ist.“ Erwiesen sei, dass Menschen in Angst ein viel schlechteres Immunsystem hätten und viel anfälliger für Krankheiten seien. In Hannover spricht er von einer „Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht“.
Gemeinsam firmieren Weber, Schöning und Müller-Liebenau unter „Ärzte für Aufklärung“. Das impliziert schon mal, andere Mediziner, das RKI oder die WHO würden nicht aufklären. Schlimm genug; gleichzeitig versorgen sie laut Recherchen von Report Mainz Corona-Skeptiker mit Gefälligkeitsattesten; teils ohne persönlichen Kontakt. Und auf Anti-Corona-Demos sind sie auch präsent.
Claus Köhnlein, Arzt aus Schleswig-Holstein, geht noch weiter. Schreckensbilder aus dem italienischen Bergamo, damals mussten COVID-19-Opfer vom Militär abtransportiert werden, hält er für „Fake-Aufnahmen“ und für „miese Propaganda“.
„So deutlich haben sich bisher noch keine Wissenschaftler und Mediziner an die Bevölkerung gewandt“, schreibt eine Userin unter Posings der „Ärzte für Aufklärung“. Und genau hier liegt das Problem.
Grundsätzlich darf man zwei Dinge nicht verwechseln: Sachliche Kontroversen sind Teil der Medizin. Die Wissenschaft hat sich während der Corona-Pandemie im Zeitraffertempo weiterentwickelt – man denke nur an die Studien zu möglichen Arzneistoffen bei COVID-19. Große Hoffnungsträger wie Chloroquin oder Hydroxychloroquin sind sang- und klanglos untergegangen. Aber jede Vermutung muss früher oder später mit Studiendaten untermauert werden.
Genau das tun die Corona-kritischen Ärzte nicht. Sie behaupten beliebige Dinge, nennen generell aber keine Quellen, und spielen mit dem Experten-Status: „Ich bin Arzt, ich habe Recht.“ Patienten wiederum freuen sich über vermeintlich ehrliche Worte. Mediziner genießen in der Bevölkerung einen Expertenstatus; ihre Aussagen werden nicht hinterfragt.
Hier nach staatlicher Hilfe zu rufen, wäre verfehlt. Wäre es nicht Aufgabe von Organen der Selbstverwaltung, solche Ärzte zu kontrollieren? Ich habe bei der Bundesärztekammer und bei den Landesärztekammern aus Baden-Württemberg, Hessen, Hamburg und Nordrhein nachgefragt – mit Hinweis auf aktuelle Äußerungen von Ärzten. Zurückgemeldet haben sich nur die BÄK und die LÄK BW.
„Das Berufsrecht ist kein geeignetes Instrument, die Grundrechte des Arztes im Allgemeinen einzuschränken und eine Art Zensur auszuüben“, schrieb die LAK BW. „Insoweit unterliegt der Arzt – wie jeder andere Bürger des Landes – dem allgemeinen Rechtsrahmen.“
Weiter heißt es, die Meinungsfreiheit werde von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes sehr weit ausgelegt. Sie sei keineswegs auf einen Maßstab des „Vertretbaren oder Vernünftigen“ beschränkt. „Ebenso verhält es sich mit der Wissenschaftsfreiheit. Grundsätzlich erlaubt sie auch, wissenschaftlich längst überholte Positionen weiterhin zu vertreten“, heißt es weiter.
Erteilung und Entzug einer Approbation sei nicht Aufgabe der Ärztekammer, sondern des Regierungspräsidiums Stuttgart.
Die BÄK relativiert: „Die grundgesetzlich verbriefte Meinungsfreiheit in Deutschland gilt natürlich auch für Ärztinnen und Ärzte. Die gewissenhafte Ausübung des Arztberufs erfordert aber die Beachtung des anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse (vgl.: § 2, Abs 3 der MBO-Ä).“
Mit Blick auf sogenannte „Gefälligkeitsatteste“ zur Befreiung von der Maskenpflicht wird ebenfalls auf die ärztliche Berufsordnung hingewiesen. Darin sei klar geregelt, dass Ärztinnen und Ärzte bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren hätten.
„Auch wenn es hier keine konkreten Vorgaben gibt, dürfte es der notwendigen Sorgfalt entsprechen, den Patienten vor Ausstellung des Attestes zu untersuchen“, heißt es weiter. „Sofern Ärztinnen und Ärzte bei der Ausstellung von Attesten nicht sorgfältig verfahren, kann dieses Gegenstand berufsrechtlicher Maßnahmen gegen sie sein.“
Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, gerade in schwierigen Zeiten. Doch für mich gibt es Grenzen: Wenige schwarze Schafe im weißen Kittel, die am lautesten blöken, diffamieren einen ganzen Berufsstand. Das darf nicht sein.
Bildquelle: Claudio Schwarz | @purzlbaum/Unsplash