In Deutschland ist eine neue Zeckenart aufgetaucht, die ursprünglich nur am Mittelmeer zu finden war. Wissenschaftler stellt der Fund vor eine Reihe von Fragen: Können die Tiere das FSME-Virus oder hierzulande unbekannte Krankheitserreger übertragen?
Äußerlich ist Ixodes inopinatus eher unauffällig: Nur 3 bis 4 mm groß, schwarzbraun, Beinchen und Brust sind leicht behaart. Vielleicht liegt es auch daran, dass sich diese Zeckenart nahezu unbemerkt in nördlicheren Regionen Europas ausbreiten konnte. Entdeckt hatten Ixodes inopinatus im vergangenen Jahr Wissenschaftler vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München. Die Mikrobiologen überwachen seit Jahren die Zeckenpopulationen in Deutschland. Dabei interessieren sie sich speziell für solche Arten, die als Überträger der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) in Frage kommen. In Deutschland ist das bislang vor allem Ixodes ricinus, umgangssprachlich auch Gemeiner Holzbock genannt.
Im vergangenen Jahr sammelten die Forscher Zecken in Gebieten, in denen besonders viele Zecken das FSME-Virus in sich tragen. Sie fanden Ixodes inopinatus (I. inopinatus) nicht nur in Immenstetten und anderen süddeutschen Wäldern, sondern auch in Österreich und Rumänien. Nach der Auswertung ihrer Funde stand für die Forscher fest, dass es sich in Immenstetten um eine stabile Population von I. inopinatus handelt, die sich dort etabliert hat. Nun stellt sich die Frage nach der möglichen Gefahr, die von der Zeckenart ausgeht.
Was für I. inopinatus als Übeträger von FSME-Viren spräche, wäre zum einen die nahe Verwandtschaft mit dem Gemeinen Holzbock, so Virologe Gerhard Dobler vom Bundeswehrinstitut in München. Aber auch, dass die I. inopinatus in den FSME-Herdgebieten gefunden wurde. Zunächst sammeln die Forscher nun weitere Zecken. Mit einem hochauflösenden Digital-Mikroskop können sie die noch lebenden Tiere im Labor zuverlässig nach ihrer Art unterscheiden: „Momentan sind wir die einzigen, die die technischen Möglichkeiten dazu haben“, sagt Dobler. Wenn es sich um I. inopinatus handelt, werden die Exemplare getötet und auf Viren hin untersucht.
Ob er bereits fündig wurde, will Dobler vorerst nicht verraten: „Unsere Ergebnisse sind noch nicht veröffentlichungsreif.“ Die laufende Studie sei zunächst nur ein erster Schritt. Denn selbst wenn Ixodes-inopinatus-Exemplare Träger des FSME-Virus sind, heißt es nicht automatisch, dass diese auch in Deutschland in relevantem Ausmaß das FSME-Virus übertragen. Es gilt dann, zu untersuchen, ob sie ein stärkerer oder schwächerer Überträger als I. ricinus sind. Um zu beurteilen, ob Populationen der neuen Zeckenart sich auf die Verbreitung der FSME auswirken, ist es auch wichtig, zu wissen, ob die neue Art den Gemeinen Holzbock in Zukunft verdrängen wird. Oder ob beide nebeneinander existieren werden. Bis es dazu Erkenntnisse gibt, kann es noch lange dauern.
Neben Ixodes inopinatus wurde im vergangenen Jahr zudem ein weiterer möglicher neuer Überträger für das FSME-Virus in Deutschland ausgemacht: So sind in der Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus) FSME-Viren nachgewiesen worden. Die Auwaldzecke breitet sich seit einigen Jahrzehnten innerhalb Europas nach Westen hin aus. Wird es durch neue Zeckenarten zu mehr FSME-Erkrankungen kommen? Rainer Oehme © privat „Eher nicht“, sagt Rainer Oehme, Zeckenexperte vom Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg. Denn sie ist hierzulande nach wie vor deutlich geringer vertreten als der Gemeine Holzbock. Oehme glaubt auch, dass sie seltener Virusträger ist: „In unseren Proben aus Baden-Württemberg haben wir nichts gefunden.“ Zudem zieht die Auwaldzecke Tiere als Wirt dem Menschen vor. Eine Infektion wäre daher vor allem über die Milch solcher Tiere möglich. Aus Osteuropa sind Infektionen mit Ziegen-Rohmilch bekannt, in Deutschland steckten sich im vergangenen Jahr zwei Personen auf diese Weise mit FSME an. Allerdings ist Ziegen-Rohmilch in Deutschland alles andere als ein Grundnahrungsmittel. Und eine Ansteckung über Kuhmilch ist unwahrscheinlich: Die meisten Milchkühe sind eingestallt und Zecken nicht ausgesetzt. Zudem werden große Mengen an Milch von den Molkereien vermischt, so dass kontaminierte Milch extrem verdünnt werden würde. „Es gibt keine Daten dazu, ob der Gehalt von Viren in der Kuhmilch für eine Infektion ausreichen würde“, sagt Oehme. Auch die Ixodes inopinatus Population in Deutschland ist für Oehme kein Grund zur Sorge. „Nach dem heutigen wissenschaftlichen Stand können längst nicht alle Ixodes-Arten das FSME-Virus überragen. Ich gehe davon aus, dass vorerst der Gemeine Holzbock der Hauptüberträger in Deutschland bleibt.“ Auch der Statistik zufolge haben neue Zeckenarten in Deutschland keine Auswirkung auf das Infektionsrisiko. So ist bisher keine Zunahme der nach wie vor seltenen FSME-Erkrankungen zu verzeichnen.
Die in Europa nach wie vor häufigste durch Zecken übertragene Infektionskrankheit ist eine andere: Die Borreliose. Den um die 300 Erkrankungen an FSME in Deutschland stehen zwischen 40.000 und 120.000 Neuerkrankungen pro Jahr mit Borrelien gegenüber. Und anders als FSME-Viren können diese wahrscheinlich von allen Ixodes-Arten übertragen werden. Hat man auch diese Gefahr im Blick? Ein Projekt, das sich speziell dieser Frage widmet, gibt es laut Robert Koch-Institut (RKI) nicht. Es dürfe schwer sein, genügend Material dafür zu finden, da die Anzahl von I. inopinatus selbst in deren Verbreitungsgebiet in Deutschland eher gering sei, so die Antwort der Fachabteilung. Es sei daher auch „eher eine akademische Frage“, ob I. inopinatus ein kompetenter Vektor für Borrelien sei. „Für den Fall, dass wir I. inopinatus finden, werden wir diese aber natürlich auf Borrelien untersuchen“, so das Robert-Koch-Institut. Es sammelt derzeit monatlich Zecken in Regionen im Münsterland, Berlin und Frankfurt/Oder. Die gefundenen Zecken werden gegen etwa 10 Krankheiterreger getestet. Gerade bei eingewanderten Arten sei es dabei grundsätzlich interessant, ob auch neue Pathogene eingeschleppt würden. Experten warnen seit Jahren davor, dass zukünftig tropische Krankheiten in Europa auftreten könnten, die von blutsaugenden Insekten übertragen werden. Sie beobachten etwa mit Sorge die Ausbreitung der asiatischen Tigermücke Aedes albopictus in Europa, die in wärmeren Regionen das West-Nil-Virus, das Dengue-Virus, oder das Chikungunya-Virus auf den Menschen überträgt. Aedes albopictus gelangt unter anderem mit dem Warenverkehr aus Südeuropa nach Deutschland. Andere Mückenarten, wie die ägyptische Tigermücke, werden in Autoreifen aus Asien hierher verschifft. Das durch den Klimawandel milder werdende Wetter erlaubt es den Mücken, in wärmeren Regionen Deutschlands heimisch zu werden. Tropische Zeckenarten werden im Gefieder von Zugvögeln eingeschleppt. Befürchtet wird in Europa die Verbreitung von Hyalomma-Zeckenarten. In anderen Regionen der Welt kann Hyalomma marginatum Viren des potentiell tödlichen Krim-Kongo-Fiebers übertragen, zudem weitere Viren, wie die Erreger des West-Nil-Fiebers, und bestimmte Rickettsien-, Babesien- und Theilerienarten.
Oehme selbst konnte im vergangenen Jahr ein weibliches Exemplar identifizieren. Ein Landschaftsgärtner aus Tübingen hatte Hyalomma marginatum auf seiner Hose entdeckt. „Weil der Mann sich selbst etwas auskannte, hatte er die Zecke zur Untersuchung eingeschickt“, sagt Oehme. Nach Deutschland sei die Zecke vermutlich im Nymphenstadium mit einem Zugvogel gelangt und habe bei vergleichsweise milden Temperaturen überlebt. „Die Wahrscheinlichkeit, dass eine solche Zecke ein ebenfalls eingeschlepptes männliches Exemplar findet und sich vermehrt, ist aber äußerst gering“, sagt Oehme. Damit Zecken eine Krankheit in einer neuen Region verbreiten können, müssen gleich mehrere Bedingungen erfüllt sein. Nicht nur müssen genügend Exemplare dorthin gelangen, sondern sie müssen auch alle Jahreszeiten überstehen und sich erfolgreich fortpflanzen. Selbst dann ist immer noch nicht sicher, ob sich unter den neuen Umweltbedingungen die gleichen Viren in den Zecken vermehren wie in den Tropen und von ihnen auf den Mensch übertragen werden können. Anders als bei Mücken, mit einem vergleichsweise schnellen Generationswechsel, dauert die Vermehrung der Zecken erheblich länger – und damit ihre Anpassung an eine neue Umgebung. Ein Generationswechsel könne mehrere Jahre in Anspruch nehmen. „Sollte es irgendwann doch einmal zu einer Einschleppung tropischer Krankheiten durch Zecken kommen, würden wir das wahrscheinlich nicht mehr erleben“, sagt Oehme.